Gefühle der Widrigkeiten wütete meine Seele, wie ein Betrunkener; alles war mir schwarz, ich deklamirte, aber ich räsonnirte nicht Itzt da sich durch dein Wiedersehn meine Aus- sichten erheitern, da der Taumel des widri- gen Gefühls verfliegt, itzt tritt eine Stille ein, die tausendmal quälender als der Sturm ist -- überlegtes Räsonnement in dem trüben Tone, in welchem ich vorher de- klamirte: kurz, ich bin aus dem Getümmel der Schlacht, Wunden und Schmerzen her- ausgerissen worden, um an mir selbst zu nagen. Soll dieses Zweck oder Mittel von einem künftigen Zwecke seyn? -- und so wird wohl der letzte, auf dem alles abzielt, der Tod seyn. --
Wer weiß, wozu Dir das gut ist, Brü- derchen? sprach Medardus. Du mußt nur Muth schöpfen --
Lieber Mann! heißt das nicht zu einem lahmen Fuße sagen: hinke nicht? -- Führe ich die Federn meines Denkens und Em- pfindens an der Schnute, um sie nach Wohlgefallen lenken zu können? --
Brüderchen, mir war bange, als ich in dem Palaste zu Niemeamaye mitten unter
den
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Gefuͤhle der Widrigkeiten wuͤtete meine Seele, wie ein Betrunkener; alles war mir ſchwarz, ich deklamirte, aber ich raͤſonnirte nicht Itzt da ſich durch dein Wiederſehn meine Aus- ſichten erheitern, da der Taumel des widri- gen Gefuͤhls verfliegt, itzt tritt eine Stille ein, die tauſendmal quaͤlender als der Sturm iſt — uͤberlegtes Raͤſonnement in dem truͤben Tone, in welchem ich vorher de- klamirte: kurz, ich bin aus dem Getuͤmmel der Schlacht, Wunden und Schmerzen her- ausgeriſſen worden, um an mir ſelbſt zu nagen. Soll dieſes Zweck oder Mittel von einem kuͤnftigen Zwecke ſeyn? — und ſo wird wohl der letzte, auf dem alles abzielt, der Tod ſeyn. —
Wer weiß, wozu Dir das gut iſt, Bruͤ- derchen? ſprach Medardus. Du mußt nur Muth ſchoͤpfen —
Lieber Mann! heißt das nicht zu einem lahmen Fuße ſagen: hinke nicht? — Fuͤhre ich die Federn meines Denkens und Em- pfindens an der Schnute, um ſie nach Wohlgefallen lenken zu koͤnnen? —
Bruͤderchen, mir war bange, als ich in dem Palaſte zu Niemeamaye mitten unter
den
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Gefuͤhle der Widrigkeiten wuͤtete meine Seele,
wie ein Betrunkener; alles war mir ſchwarz,
ich deklamirte, aber ich raͤſonnirte nicht
Itzt da ſich durch dein Wiederſehn meine Aus-
ſichten erheitern, da der Taumel des widri-
gen Gefuͤhls verfliegt, itzt tritt eine Stille
ein, die tauſendmal quaͤlender als der
Sturm iſt — uͤberlegtes Raͤſonnement in
dem truͤben Tone, in welchem ich vorher de-
klamirte: kurz, ich bin aus dem Getuͤmmel
der Schlacht, Wunden und Schmerzen her-
ausgeriſſen worden, um an mir ſelbſt zu
nagen. Soll dieſes Zweck oder Mittel von
einem kuͤnftigen Zwecke ſeyn? — und ſo
wird wohl der letzte, auf dem alles abzielt,
der Tod ſeyn. —
Wer weiß, wozu Dir das gut iſt, Bruͤ-
derchen? ſprach Medardus. Du mußt nur
Muth ſchoͤpfen —
Lieber Mann! heißt das nicht zu einem
lahmen Fuße ſagen: hinke nicht? — Fuͤhre
ich die Federn meines Denkens und Em-
pfindens an der Schnute, um ſie nach
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/235>, abgerufen am 04.05.2024.
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