Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

und von den Vögeln des Himmels zerstückt
werden! Kein Jüngling soll eine einzige
Strophe auf meinen Hintritt singen! kein Lieb-
haber eine Thräne auf meine erblaßten Wan-
gen tröpfeln und sie wieder aufküssen! --
Nichts, alles nichts! alles nichts! alles ist
aus! Ich muß sterben, unbeklagt sterben!
-- Belphegor, du hast Recht: das lächer-
liche thörichte Leben ist nicht werth, daß
man es durchlebt, weil man es so bald mis-
sen muß. Ich habe von Heiden, Juden
und Christen leiden müssen, und die gräuli-
chen Keile waren alle eins: aber ich habe
auch Freuden genossen, und da ich sie wie-
der zu erlangen hoffe, so soll ich gar sterben!
sie auf ewig missen! -- O du tolles abge-
schmacktes Leben! wärst du nur schon vor-
über! -- Sie weinte bitterlich.

Beide wollten sterben; allein da der Tod
mit seiner saumseligen Hülfe nicht allzeit auf
die erste Bitte erscheint, so kam indessen zu
Stillung ihrer Schmerzen sein Bruder --
der Schlaf.

Bey ihrem Erwachen, das etwas spät
des Tages darauf erfolgte, sahen sie einen
Trupp Kanote nicht weit von ihrer Insel in

Ord-

und von den Voͤgeln des Himmels zerſtuͤckt
werden! Kein Juͤngling ſoll eine einzige
Strophe auf meinen Hintritt ſingen! kein Lieb-
haber eine Thraͤne auf meine erblaßten Wan-
gen troͤpfeln und ſie wieder aufkuͤſſen! —
Nichts, alles nichts! alles nichts! alles iſt
aus! Ich muß ſterben, unbeklagt ſterben!
— Belphegor, du haſt Recht: das laͤcher-
liche thoͤrichte Leben iſt nicht werth, daß
man es durchlebt, weil man es ſo bald miſ-
ſen muß. Ich habe von Heiden, Juden
und Chriſten leiden muͤſſen, und die graͤuli-
chen Keile waren alle eins: aber ich habe
auch Freuden genoſſen, und da ich ſie wie-
der zu erlangen hoffe, ſo ſoll ich gar ſterben!
ſie auf ewig miſſen! — O du tolles abge-
ſchmacktes Leben! waͤrſt du nur ſchon vor-
uͤber! — Sie weinte bitterlich.

Beide wollten ſterben; allein da der Tod
mit ſeiner ſaumſeligen Huͤlfe nicht allzeit auf
die erſte Bitte erſcheint, ſo kam indeſſen zu
Stillung ihrer Schmerzen ſein Bruder —
der Schlaf.

Bey ihrem Erwachen, das etwas ſpaͤt
des Tages darauf erfolgte, ſahen ſie einen
Trupp Kanote nicht weit von ihrer Inſel in

Ord-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0209" n="203"/>
und von den Vo&#x0364;geln des Himmels zer&#x017F;tu&#x0364;ckt<lb/>
werden! Kein Ju&#x0364;ngling &#x017F;oll eine einzige<lb/>
Strophe auf meinen Hintritt &#x017F;ingen! kein Lieb-<lb/>
haber eine Thra&#x0364;ne auf meine erblaßten Wan-<lb/>
gen tro&#x0364;pfeln und &#x017F;ie wieder aufku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en! &#x2014;<lb/>
Nichts, alles nichts! alles nichts! alles i&#x017F;t<lb/>
aus! Ich muß &#x017F;terben, unbeklagt &#x017F;terben!<lb/>
&#x2014; Belphegor, du ha&#x017F;t Recht: das la&#x0364;cher-<lb/>
liche tho&#x0364;richte Leben i&#x017F;t nicht werth, daß<lb/>
man es durchlebt, weil man es &#x017F;o bald mi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en muß. Ich habe von Heiden, Juden<lb/>
und Chri&#x017F;ten leiden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und die gra&#x0364;uli-<lb/>
chen Keile waren alle eins: aber ich habe<lb/>
auch Freuden geno&#x017F;&#x017F;en, und da ich &#x017F;ie wie-<lb/>
der zu erlangen hoffe, &#x017F;o &#x017F;oll ich gar &#x017F;terben!<lb/>
&#x017F;ie auf ewig mi&#x017F;&#x017F;en! &#x2014; O du tolles abge-<lb/>
&#x017F;chmacktes Leben! wa&#x0364;r&#x017F;t du nur &#x017F;chon vor-<lb/>
u&#x0364;ber! &#x2014; Sie weinte bitterlich.</p><lb/>
        <p>Beide wollten &#x017F;terben; allein da der Tod<lb/>
mit &#x017F;einer &#x017F;aum&#x017F;eligen Hu&#x0364;lfe nicht allzeit auf<lb/>
die er&#x017F;te Bitte er&#x017F;cheint, &#x017F;o kam inde&#x017F;&#x017F;en zu<lb/>
Stillung ihrer Schmerzen &#x017F;ein Bruder &#x2014;<lb/>
der Schlaf.</p><lb/>
        <p>Bey ihrem Erwachen, das etwas &#x017F;pa&#x0364;t<lb/>
des Tages darauf erfolgte, &#x017F;ahen &#x017F;ie einen<lb/>
Trupp Kanote nicht weit von ihrer In&#x017F;el in<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ord-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0209] und von den Voͤgeln des Himmels zerſtuͤckt werden! Kein Juͤngling ſoll eine einzige Strophe auf meinen Hintritt ſingen! kein Lieb- haber eine Thraͤne auf meine erblaßten Wan- gen troͤpfeln und ſie wieder aufkuͤſſen! — Nichts, alles nichts! alles nichts! alles iſt aus! Ich muß ſterben, unbeklagt ſterben! — Belphegor, du haſt Recht: das laͤcher- liche thoͤrichte Leben iſt nicht werth, daß man es durchlebt, weil man es ſo bald miſ- ſen muß. Ich habe von Heiden, Juden und Chriſten leiden muͤſſen, und die graͤuli- chen Keile waren alle eins: aber ich habe auch Freuden genoſſen, und da ich ſie wie- der zu erlangen hoffe, ſo ſoll ich gar ſterben! ſie auf ewig miſſen! — O du tolles abge- ſchmacktes Leben! waͤrſt du nur ſchon vor- uͤber! — Sie weinte bitterlich. Beide wollten ſterben; allein da der Tod mit ſeiner ſaumſeligen Huͤlfe nicht allzeit auf die erſte Bitte erſcheint, ſo kam indeſſen zu Stillung ihrer Schmerzen ſein Bruder — der Schlaf. Bey ihrem Erwachen, das etwas ſpaͤt des Tages darauf erfolgte, ſahen ſie einen Trupp Kanote nicht weit von ihrer Inſel in Ord-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/209
Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/209>, abgerufen am 04.05.2024.