Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

"Meinen Bruder!" -- Weg war Belphegor,
ehe er das Wort noch völlig aussprach, oder
ihn zurückhalten konnte -- gerade auf den
Mann zu, den er für den Bruder des Unglück-
lichen hielt. Er ereilte ihn, faßte ihn bey dem
Halse und kündigte ihm seinen Untergang,
die Strafe für seine Unbarmherzigkeit und
seinen unbrüderlichen Neid an. Der Andre,
der während des Prozesses eine reiche Wittwe
durch List zu seiner Frau gemacht hatte und
sich izt wohlbefand, rief einen Trupp Arbei-
ter zu Hülfe, die in einem nahen Busche Holz
für ihn fällten. Sie kamen mit allen Werk-
zeugen der Rache, Kuitteln, Aexten, Beilen,
schlugen den übermannten Belphegor vom
Kopf bis auf die Füße blau, die linke Hand
morsch und ein großes Loch in den Hirnschä-
del: so verließen sie ihn.

Der Mann, um dessentwillen er sich allen
diesen Schmerzen ausgesezt hatte, wagte sich
nicht in die Nähe des Streites, blieb furcht-
sam in der Ferne stehn, so lange es Schläge
sezte, und schlich langsam zu seinem Verfech-
ter hin, als die Gefahr vorüber war. Er
beklagte ihn herzlich und versprach mit der
gerührtesten Dankbarkeit, sich seiner anzu-

nehmen,

„Meinen Bruder!‟ — Weg war Belphegor,
ehe er das Wort noch voͤllig ausſprach, oder
ihn zuruͤckhalten konnte — gerade auf den
Mann zu, den er fuͤr den Bruder des Ungluͤck-
lichen hielt. Er ereilte ihn, faßte ihn bey dem
Halſe und kuͤndigte ihm ſeinen Untergang,
die Strafe fuͤr ſeine Unbarmherzigkeit und
ſeinen unbruͤderlichen Neid an. Der Andre,
der waͤhrend des Prozeſſes eine reiche Wittwe
durch Liſt zu ſeiner Frau gemacht hatte und
ſich izt wohlbefand, rief einen Trupp Arbei-
ter zu Huͤlfe, die in einem nahen Buſche Holz
fuͤr ihn faͤllten. Sie kamen mit allen Werk-
zeugen der Rache, Kuitteln, Aexten, Beilen,
ſchlugen den uͤbermannten Belphegor vom
Kopf bis auf die Fuͤße blau, die linke Hand
morſch und ein großes Loch in den Hirnſchaͤ-
del: ſo verließen ſie ihn.

Der Mann, um deſſentwillen er ſich allen
dieſen Schmerzen ausgeſezt hatte, wagte ſich
nicht in die Naͤhe des Streites, blieb furcht-
ſam in der Ferne ſtehn, ſo lange es Schlaͤge
ſezte, und ſchlich langſam zu ſeinem Verfech-
ter hin, als die Gefahr voruͤber war. Er
beklagte ihn herzlich und verſprach mit der
geruͤhrteſten Dankbarkeit, ſich ſeiner anzu-

nehmen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0052" n="32"/>
        <p>&#x201E;Meinen Bruder!&#x201F; &#x2014; Weg war Belphegor,<lb/>
ehe er das Wort noch vo&#x0364;llig aus&#x017F;prach, oder<lb/>
ihn zuru&#x0364;ckhalten konnte &#x2014; gerade auf den<lb/>
Mann zu, den er fu&#x0364;r den Bruder des Unglu&#x0364;ck-<lb/>
lichen hielt. Er ereilte ihn, faßte ihn bey dem<lb/>
Hal&#x017F;e und ku&#x0364;ndigte ihm &#x017F;einen Untergang,<lb/>
die Strafe fu&#x0364;r &#x017F;eine Unbarmherzigkeit und<lb/>
&#x017F;einen unbru&#x0364;derlichen Neid an. Der Andre,<lb/>
der wa&#x0364;hrend des Proze&#x017F;&#x017F;es eine reiche Wittwe<lb/>
durch Li&#x017F;t zu &#x017F;einer Frau gemacht hatte und<lb/>
&#x017F;ich izt wohlbefand, rief einen Trupp Arbei-<lb/>
ter zu Hu&#x0364;lfe, die in einem nahen Bu&#x017F;che Holz<lb/>
fu&#x0364;r ihn fa&#x0364;llten. Sie kamen mit allen Werk-<lb/>
zeugen der Rache, Kuitteln, Aexten, Beilen,<lb/>
&#x017F;chlugen den u&#x0364;bermannten Belphegor vom<lb/>
Kopf bis auf die Fu&#x0364;ße blau, die linke Hand<lb/>
mor&#x017F;ch und ein großes Loch in den Hirn&#x017F;cha&#x0364;-<lb/>
del: &#x017F;o verließen &#x017F;ie ihn.</p><lb/>
        <p>Der Mann, um de&#x017F;&#x017F;entwillen er &#x017F;ich allen<lb/>
die&#x017F;en Schmerzen ausge&#x017F;ezt hatte, wagte &#x017F;ich<lb/>
nicht in die Na&#x0364;he des Streites, blieb furcht-<lb/>
&#x017F;am in der Ferne &#x017F;tehn, &#x017F;o lange es Schla&#x0364;ge<lb/>
&#x017F;ezte, und &#x017F;chlich lang&#x017F;am zu &#x017F;einem Verfech-<lb/>
ter hin, als die Gefahr voru&#x0364;ber war. Er<lb/>
beklagte ihn herzlich und ver&#x017F;prach mit der<lb/>
geru&#x0364;hrte&#x017F;ten Dankbarkeit, &#x017F;ich &#x017F;einer anzu-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nehmen,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0052] „Meinen Bruder!‟ — Weg war Belphegor, ehe er das Wort noch voͤllig ausſprach, oder ihn zuruͤckhalten konnte — gerade auf den Mann zu, den er fuͤr den Bruder des Ungluͤck- lichen hielt. Er ereilte ihn, faßte ihn bey dem Halſe und kuͤndigte ihm ſeinen Untergang, die Strafe fuͤr ſeine Unbarmherzigkeit und ſeinen unbruͤderlichen Neid an. Der Andre, der waͤhrend des Prozeſſes eine reiche Wittwe durch Liſt zu ſeiner Frau gemacht hatte und ſich izt wohlbefand, rief einen Trupp Arbei- ter zu Huͤlfe, die in einem nahen Buſche Holz fuͤr ihn faͤllten. Sie kamen mit allen Werk- zeugen der Rache, Kuitteln, Aexten, Beilen, ſchlugen den uͤbermannten Belphegor vom Kopf bis auf die Fuͤße blau, die linke Hand morſch und ein großes Loch in den Hirnſchaͤ- del: ſo verließen ſie ihn. Der Mann, um deſſentwillen er ſich allen dieſen Schmerzen ausgeſezt hatte, wagte ſich nicht in die Naͤhe des Streites, blieb furcht- ſam in der Ferne ſtehn, ſo lange es Schlaͤge ſezte, und ſchlich langſam zu ſeinem Verfech- ter hin, als die Gefahr voruͤber war. Er beklagte ihn herzlich und verſprach mit der geruͤhrteſten Dankbarkeit, ſich ſeiner anzu- nehmen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/52
Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/52>, abgerufen am 22.11.2024.