gleich hinkte ein jeder seiner Unterthanen: wer nicht theatralische Geschicklichkeit genug in den Beinen besaß, einen hinkenden Gang natürlich nachzuahmen, der verrenkte sich den Fuß, schlug sich einen Knochen daran ent- zwey, zerschnitt eine Sehne, eine Ader, oder gebrauchte ein ander Mittel, wie es einem dienlich und bequem schien, sich zu lähmen. Als sich das ganze Land auf diese Art ge- brechlich und dem großen Neguz ähnlich ge- macht hatte, so kam man erst auf die Frage, mit welchem Fuße der mächtige Kaiser eigent- lich hinke. Weil man in der ersten Hitze an diese wichtige Bedenklichkeit nicht gedacht hatte, so hinkte dieser auf die rechte, jener auf die linke Seite: zu ändern stund es bey denen nicht, die eine wirkliche Lähmung dem Neguz gleich machte: jede Partey mußte also mit Gewalt das Recht des Fußes durchsetzen, an welchem sie hinkte. Das ganze Reich zerfiel sogleich in zwo Faktionen, die mit der uneingeschränktesten Wuth sich verfolgten, be- kriegten, ermordeten; das ganze Land war Ein Krieg; man vergoß sein Blut gern zur Ehre seines Kaisers, um auszumachen, ob das abissinische Reich mit dem rechten, oder
gleich hinkte ein jeder ſeiner Unterthanen: wer nicht theatraliſche Geſchicklichkeit genug in den Beinen beſaß, einen hinkenden Gang natuͤrlich nachzuahmen, der verrenkte ſich den Fuß, ſchlug ſich einen Knochen daran ent- zwey, zerſchnitt eine Sehne, eine Ader, oder gebrauchte ein ander Mittel, wie es einem dienlich und bequem ſchien, ſich zu laͤhmen. Als ſich das ganze Land auf dieſe Art ge- brechlich und dem großen Neguz aͤhnlich ge- macht hatte, ſo kam man erſt auf die Frage, mit welchem Fuße der maͤchtige Kaiſer eigent- lich hinke. Weil man in der erſten Hitze an dieſe wichtige Bedenklichkeit nicht gedacht hatte, ſo hinkte dieſer auf die rechte, jener auf die linke Seite: zu aͤndern ſtund es bey denen nicht, die eine wirkliche Laͤhmung dem Neguz gleich machte: jede Partey mußte alſo mit Gewalt das Recht des Fußes durchſetzen, an welchem ſie hinkte. Das ganze Reich zerfiel ſogleich in zwo Faktionen, die mit der uneingeſchraͤnkteſten Wuth ſich verfolgten, be- kriegten, ermordeten; das ganze Land war Ein Krieg; man vergoß ſein Blut gern zur Ehre ſeines Kaiſers, um auszumachen, ob das abiſſiniſche Reich mit dem rechten, oder
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gleich hinkte ein jeder ſeiner Unterthanen:
wer nicht theatraliſche Geſchicklichkeit genug
in den Beinen beſaß, einen hinkenden Gang
natuͤrlich nachzuahmen, der verrenkte ſich den
Fuß, ſchlug ſich einen Knochen daran ent-
zwey, zerſchnitt eine Sehne, eine Ader, oder
gebrauchte ein ander Mittel, wie es einem
dienlich und bequem ſchien, ſich zu laͤhmen.
Als ſich das ganze Land auf dieſe Art ge-
brechlich und dem großen Neguz aͤhnlich ge-
macht hatte, ſo kam man erſt auf die Frage,
mit welchem Fuße der maͤchtige Kaiſer eigent-
lich hinke. Weil man in der erſten Hitze an
dieſe wichtige Bedenklichkeit nicht gedacht
hatte, ſo hinkte dieſer auf die rechte, jener
auf die linke Seite: zu aͤndern ſtund es bey
denen nicht, die eine wirkliche Laͤhmung dem
Neguz gleich machte: jede Partey mußte alſo
mit Gewalt das Recht des Fußes durchſetzen,
an welchem ſie hinkte. Das ganze Reich
zerfiel ſogleich in zwo Faktionen, die mit der
uneingeſchraͤnkteſten Wuth ſich verfolgten, be-
kriegten, ermordeten; das ganze Land war
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/303>, abgerufen am 22.11.2024.
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