linken Beine hinken sollte. Endlich wur- de man des Aufruhrs überdrüßig und wollte die Entscheidung des Streites dem großen Neguz auftragen, der allein mit Zuverlässig- keit berichten könne, welcher von seinen Füßen lahm sey. Es geschah; und man erfuhr, daß der Kaiser gar nicht hinke, sondern auf einem Auge blind sey. Wirklich hatte sich auch das ganze Hoflager von dem Nächsten nach dem Kaiser bis auf den untersten Stall- knecht aus Ergebenheit gegen ihren Herrn das linke Auge ausstechen lassen; und nur aus Neid, Misgunst und Unterscheidungs- sucht war von den Höflingen das Gerücht von dem Hinken des Kaisers ausgesprengt worden, damit der Hof allein mit dem Vor- zuge einer wahren Aehnlichkeit mit dem Ne- guz prange. Aus alberner Begierde vergaß das tumme Volk sich zu erkundigen, welches Auge ihrem Monarchen fehlte, sondern sie lie- fen haufenweise wie in einer Trunkenheit zu- rück, und jeder stach oder stieß sich ein Auge aus. Manche nahmen aus Oekonomie das schlechteste unter ihren beiden dazu; die na- türlich Blinden ersparten sich den Schmerz und ließen es bey ihrer angebornen Aehnlich-
linken Beine hinken ſollte. Endlich wur- de man des Aufruhrs uͤberdruͤßig und wollte die Entſcheidung des Streites dem großen Neguz auftragen, der allein mit Zuverlaͤſſig- keit berichten koͤnne, welcher von ſeinen Fuͤßen lahm ſey. Es geſchah; und man erfuhr, daß der Kaiſer gar nicht hinke, ſondern auf einem Auge blind ſey. Wirklich hatte ſich auch das ganze Hoflager von dem Naͤchſten nach dem Kaiſer bis auf den unterſten Stall- knecht aus Ergebenheit gegen ihren Herrn das linke Auge ausſtechen laſſen; und nur aus Neid, Misgunſt und Unterſcheidungs- ſucht war von den Hoͤflingen das Geruͤcht von dem Hinken des Kaiſers ausgeſprengt worden, damit der Hof allein mit dem Vor- zuge einer wahren Aehnlichkeit mit dem Ne- guz prange. Aus alberner Begierde vergaß das tumme Volk ſich zu erkundigen, welches Auge ihrem Monarchen fehlte, ſondern ſie lie- fen haufenweiſe wie in einer Trunkenheit zu- ruͤck, und jeder ſtach oder ſtieß ſich ein Auge aus. Manche nahmen aus Oekonomie das ſchlechteſte unter ihren beiden dazu; die na- tuͤrlich Blinden erſparten ſich den Schmerz und ließen es bey ihrer angebornen Aehnlich-
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linken Beine hinken ſollte. Endlich wur-
de man des Aufruhrs uͤberdruͤßig und wollte
die Entſcheidung des Streites dem großen
Neguz auftragen, der allein mit Zuverlaͤſſig-
keit berichten koͤnne, welcher von ſeinen Fuͤßen
lahm ſey. Es geſchah; und man erfuhr,
daß der Kaiſer gar nicht hinke, ſondern auf
einem Auge blind ſey. Wirklich hatte ſich
auch das ganze Hoflager von dem Naͤchſten
nach dem Kaiſer bis auf den unterſten Stall-
knecht aus Ergebenheit gegen ihren Herrn
das linke Auge ausſtechen laſſen; und nur
aus Neid, Misgunſt und Unterſcheidungs-
ſucht war von den Hoͤflingen das Geruͤcht
von dem Hinken des Kaiſers ausgeſprengt
worden, damit der Hof allein mit dem Vor-
zuge einer wahren Aehnlichkeit mit dem Ne-
guz prange. Aus alberner Begierde vergaß
das tumme Volk ſich zu erkundigen, welches
Auge ihrem Monarchen fehlte, ſondern ſie lie-
fen haufenweiſe wie in einer Trunkenheit zu-
ruͤck, und jeder ſtach oder ſtieß ſich ein Auge
aus. Manche nahmen aus Oekonomie das
ſchlechteſte unter ihren beiden dazu; die na-
tuͤrlich Blinden erſparten ſich den Schmerz
und ließen es bey ihrer angebornen Aehnlich-
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/304>, abgerufen am 03.05.2024.
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