ckung meinen Zorn sonst reizte? Worinne bes- ser? -- blos daß ich nicht würgte und mor- dete; ich bin der Neidische, der Habsüchtige, der Unterdrücker gewesen, der sie insgesamt sind, nur daß der Neid mehr Mitleid in mir zu bekämpfen hatte als bey jenen, daß die Stärke meines Mitleids durch weniger Gele- genheiten weniger abgeschliffen ist, als bey jenen. Vielleicht -- eine traurige Vermu- thung! -- dürfen nur mehrere Reize, mehrere Verblendungen meiner Vernunft vorgehalten, die Fälle meines Lebens mit den Umständen andrer mehr zusammengeschlungen, verwickel- ter werden; vielleicht darf nur alsdann in der Bemühung für mein Jnteresse, für mein Recht dieses feurige enthusiastische Gefühl der Menschenliebe, dieser Schwung der Einbil- dungskraft niedergedrückt werden; und ich bin so hartherzig, so fühllos wie die Unbarm- herzigen, die ich tadle. Konnte ich es schon so sehr gegen meinen Fromal seyn? konnte der Neid so sehr alle Stimmen in mir über- schreyen? -- Doch bis zur Unterdrückung -- nein, so weit ist mein Herz nicht böse noch schwach. -- Neid? -- leider muß ichs zu- geben, daß ein blendendes Nichts, betäuben-
ckung meinen Zorn ſonſt reizte? Worinne beſ- ſer? — blos daß ich nicht wuͤrgte und mor- dete; ich bin der Neidiſche, der Habſuͤchtige, der Unterdruͤcker geweſen, der ſie insgeſamt ſind, nur daß der Neid mehr Mitleid in mir zu bekaͤmpfen hatte als bey jenen, daß die Staͤrke meines Mitleids durch weniger Gele- genheiten weniger abgeſchliffen iſt, als bey jenen. Vielleicht — eine traurige Vermu- thung! — duͤrfen nur mehrere Reize, mehrere Verblendungen meiner Vernunft vorgehalten, die Faͤlle meines Lebens mit den Umſtaͤnden andrer mehr zuſammengeſchlungen, verwickel- ter werden; vielleicht darf nur alsdann in der Bemuͤhung fuͤr mein Jntereſſe, fuͤr mein Recht dieſes feurige enthuſiaſtiſche Gefuͤhl der Menſchenliebe, dieſer Schwung der Einbil- dungskraft niedergedruͤckt werden; und ich bin ſo hartherzig, ſo fuͤhllos wie die Unbarm- herzigen, die ich tadle. Konnte ich es ſchon ſo ſehr gegen meinen Fromal ſeyn? konnte der Neid ſo ſehr alle Stimmen in mir uͤber- ſchreyen? — Doch bis zur Unterdruͤckung — nein, ſo weit iſt mein Herz nicht boͤſe noch ſchwach. — Neid? — leider muß ichs zu- geben, daß ein blendendes Nichts, betaͤuben-
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ckung meinen Zorn ſonſt reizte? Worinne beſ-
ſer? — blos daß ich nicht wuͤrgte und mor-
dete; ich bin der Neidiſche, der Habſuͤchtige,
der Unterdruͤcker geweſen, der ſie insgeſamt
ſind, nur daß der Neid mehr Mitleid in mir
zu bekaͤmpfen hatte als bey jenen, daß die
Staͤrke meines Mitleids durch weniger Gele-
genheiten weniger abgeſchliffen iſt, als bey
jenen. Vielleicht — eine traurige Vermu-
thung! — duͤrfen nur mehrere Reize, mehrere
Verblendungen meiner Vernunft vorgehalten,
die Faͤlle meines Lebens mit den Umſtaͤnden
andrer mehr zuſammengeſchlungen, verwickel-
ter werden; vielleicht darf nur alsdann in
der Bemuͤhung fuͤr mein Jntereſſe, fuͤr mein
Recht dieſes feurige enthuſiaſtiſche Gefuͤhl der
Menſchenliebe, dieſer Schwung der Einbil-
dungskraft niedergedruͤckt werden; und ich
bin ſo hartherzig, ſo fuͤhllos wie die Unbarm-
herzigen, die ich tadle. Konnte ich es ſchon
ſo ſehr gegen meinen Fromal ſeyn? konnte
der Neid ſo ſehr alle Stimmen in mir uͤber-
ſchreyen? — Doch bis zur Unterdruͤckung —
nein, ſo weit iſt mein Herz nicht boͤſe noch
ſchwach. — Neid? — leider muß ichs zu-
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/294>, abgerufen am 22.11.2024.
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