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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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selbst Kinder trennen sich bey ihren uninteres-
sirten Spielen in Parteyen, ihre liebste Er-
götzung ist balgen, das kleinste Mädchen ficht
mit ihren ersten goldnen Ohrringen wider
das zierdelose Ohr des Jüngern, aus Vor-
zugssucht verdrängt der vornehmere Knabe
den geringern von seinem Spiele, oder er-
niedrigt ihn zu seinem Aufwärter, man
kämpft um die Gunst der Eltern, der Lehrer,
oft der Bedienten, das Kind beneidet schon
das andre, wenn es nach seiner Meinung
schönere Pompons erhalten hat, es will der
aufgewartete Monarch in seinem Wirkungs-
kreise seyn. -- Und wir, bester Belphegor,
ungern sage ichs! wir lieben uns, so lange
wir keine Ursache haben, uns zu hassen. Alle
Menschen lieben sich, so lange sie in gleicher
Linie stehen, sind mitleidig, wohlthätig, ohne
alle Grausamkeit gegen einander: rückt einer
über die Linie, dann gute Nacht Freundschaft!
So bald der Zufall unsre Liebe auf eine Probe
stellte, uns Materialien des Hasses und des
Streites zuwürfe -- Belphegor! Belphegor!
fühle an dein Herz und forsche!

Belphegor und Medardus schwuren beide,
daß Himmel und Erde in ein Chaos zusam-



ſelbſt Kinder trennen ſich bey ihren unintereſ-
ſirten Spielen in Parteyen, ihre liebſte Er-
goͤtzung iſt balgen, das kleinſte Maͤdchen ficht
mit ihren erſten goldnen Ohrringen wider
das zierdeloſe Ohr des Juͤngern, aus Vor-
zugsſucht verdraͤngt der vornehmere Knabe
den geringern von ſeinem Spiele, oder er-
niedrigt ihn zu ſeinem Aufwaͤrter, man
kaͤmpft um die Gunſt der Eltern, der Lehrer,
oft der Bedienten, das Kind beneidet ſchon
das andre, wenn es nach ſeiner Meinung
ſchoͤnere Pompons erhalten hat, es will der
aufgewartete Monarch in ſeinem Wirkungs-
kreiſe ſeyn. — Und wir, beſter Belphegor,
ungern ſage ichs! wir lieben uns, ſo lange
wir keine Urſache haben, uns zu haſſen. Alle
Menſchen lieben ſich, ſo lange ſie in gleicher
Linie ſtehen, ſind mitleidig, wohlthaͤtig, ohne
alle Grauſamkeit gegen einander: ruͤckt einer
uͤber die Linie, dann gute Nacht Freundſchaft!
So bald der Zufall unſre Liebe auf eine Probe
ſtellte, uns Materialien des Haſſes und des
Streites zuwuͤrfe — Belphegor! Belphegor!
fuͤhle an dein Herz und forſche!

Belphegor und Medardus ſchwuren beide,
daß Himmel und Erde in ein Chaos zuſam-

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[220/0240] ſelbſt Kinder trennen ſich bey ihren unintereſ- ſirten Spielen in Parteyen, ihre liebſte Er- goͤtzung iſt balgen, das kleinſte Maͤdchen ficht mit ihren erſten goldnen Ohrringen wider das zierdeloſe Ohr des Juͤngern, aus Vor- zugsſucht verdraͤngt der vornehmere Knabe den geringern von ſeinem Spiele, oder er- niedrigt ihn zu ſeinem Aufwaͤrter, man kaͤmpft um die Gunſt der Eltern, der Lehrer, oft der Bedienten, das Kind beneidet ſchon das andre, wenn es nach ſeiner Meinung ſchoͤnere Pompons erhalten hat, es will der aufgewartete Monarch in ſeinem Wirkungs- kreiſe ſeyn. — Und wir, beſter Belphegor, ungern ſage ichs! wir lieben uns, ſo lange wir keine Urſache haben, uns zu haſſen. Alle Menſchen lieben ſich, ſo lange ſie in gleicher Linie ſtehen, ſind mitleidig, wohlthaͤtig, ohne alle Grauſamkeit gegen einander: ruͤckt einer uͤber die Linie, dann gute Nacht Freundſchaft! So bald der Zufall unſre Liebe auf eine Probe ſtellte, uns Materialien des Haſſes und des Streites zuwuͤrfe — Belphegor! Belphegor! fuͤhle an dein Herz und forſche! Belphegor und Medardus ſchwuren beide, daß Himmel und Erde in ein Chaos zuſam-

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/240>, abgerufen am 03.05.2024.