auf der Seite des Betriegers: er verlangte die Verurtheilung meines Bruders. Der Mann, der sie aus den Ketten der Unwissen- heit und dem Despotismus fanatischer Mönche reißen wollte, wurde auf Begehr Hoher und Niedriger öffentlich verbrannt.
Himmel! schrie Belphegor, öffentlich ver- brannt! So sind ja die Banden der türki- schen Sklaverey tausendmal leichter als die Tiranney eines unerleuchteten Klerus! --
Tausendmal leichter, mein Herr! Hier stirbt der Sklave mit Einem Dolchstiche, ohne Schande; der Despot, dessen Eigen- thum er ist, wirft ihn weg, wie ein abgenuz- tes Kleid; sein Loos befremdet ihn nicht, weil er auf kein andres Anspruch machen kann: allein wo der Bürger eines Staats den mäch- tigen Gedanken der Freiheit im Kopfe hat, da ist es ihm unendlich schwer, etwas zu dul- den, das nicht mit ihr besteht. Unter dem despotischen Himmel tödtet man mit Einem Hiebe, unter vielen andern quält man mit hunderttausend Stichen langsam zu Tode: denn alle kann man nicht verbrennen, wie meinen Bruder. --
J 5
auf der Seite des Betriegers: er verlangte die Verurtheilung meines Bruders. Der Mann, der ſie aus den Ketten der Unwiſſen- heit und dem Deſpotiſmus fanatiſcher Moͤnche reißen wollte, wurde auf Begehr Hoher und Niedriger oͤffentlich verbrannt.
Himmel! ſchrie Belphegor, oͤffentlich ver- brannt! So ſind ja die Banden der tuͤrki- ſchen Sklaverey tauſendmal leichter als die Tiranney eines unerleuchteten Klerus! —
Tauſendmal leichter, mein Herr! Hier ſtirbt der Sklave mit Einem Dolchſtiche, ohne Schande; der Deſpot, deſſen Eigen- thum er iſt, wirft ihn weg, wie ein abgenuz- tes Kleid; ſein Loos befremdet ihn nicht, weil er auf kein andres Anſpruch machen kann: allein wo der Buͤrger eines Staats den maͤch- tigen Gedanken der Freiheit im Kopfe hat, da iſt es ihm unendlich ſchwer, etwas zu dul- den, das nicht mit ihr beſteht. Unter dem deſpotiſchen Himmel toͤdtet man mit Einem Hiebe, unter vielen andern quaͤlt man mit hunderttauſend Stichen langſam zu Tode: denn alle kann man nicht verbrennen, wie meinen Bruder. —
J 5
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0157"n="137"/>
auf der Seite des Betriegers: er verlangte<lb/>
die Verurtheilung meines Bruders. Der<lb/>
Mann, der ſie aus den Ketten der Unwiſſen-<lb/>
heit und dem Deſpotiſmus fanatiſcher Moͤnche<lb/>
reißen wollte, wurde auf Begehr Hoher und<lb/>
Niedriger oͤffentlich verbrannt.</p><lb/><p>Himmel! ſchrie Belphegor, oͤffentlich ver-<lb/>
brannt! So ſind ja die Banden der tuͤrki-<lb/>ſchen Sklaverey tauſendmal leichter als die<lb/>
Tiranney eines unerleuchteten Klerus! —</p><lb/><p>Tauſendmal leichter, mein Herr! Hier<lb/>ſtirbt der Sklave mit Einem Dolchſtiche,<lb/>
ohne Schande; der Deſpot, deſſen Eigen-<lb/>
thum er iſt, wirft ihn weg, wie ein abgenuz-<lb/>
tes Kleid; ſein Loos befremdet ihn nicht, weil<lb/>
er auf kein andres Anſpruch machen kann:<lb/>
allein wo der Buͤrger eines Staats den maͤch-<lb/>
tigen Gedanken der Freiheit im Kopfe hat,<lb/>
da iſt es ihm unendlich ſchwer, etwas zu dul-<lb/>
den, das nicht mit ihr beſteht. Unter dem<lb/>
deſpotiſchen Himmel toͤdtet man mit Einem<lb/>
Hiebe, unter vielen andern quaͤlt man mit<lb/>
hunderttauſend Stichen langſam zu Tode:<lb/>
denn alle kann man nicht verbrennen, wie<lb/>
meinen Bruder. —</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">J 5</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[137/0157]
auf der Seite des Betriegers: er verlangte
die Verurtheilung meines Bruders. Der
Mann, der ſie aus den Ketten der Unwiſſen-
heit und dem Deſpotiſmus fanatiſcher Moͤnche
reißen wollte, wurde auf Begehr Hoher und
Niedriger oͤffentlich verbrannt.
Himmel! ſchrie Belphegor, oͤffentlich ver-
brannt! So ſind ja die Banden der tuͤrki-
ſchen Sklaverey tauſendmal leichter als die
Tiranney eines unerleuchteten Klerus! —
Tauſendmal leichter, mein Herr! Hier
ſtirbt der Sklave mit Einem Dolchſtiche,
ohne Schande; der Deſpot, deſſen Eigen-
thum er iſt, wirft ihn weg, wie ein abgenuz-
tes Kleid; ſein Loos befremdet ihn nicht, weil
er auf kein andres Anſpruch machen kann:
allein wo der Buͤrger eines Staats den maͤch-
tigen Gedanken der Freiheit im Kopfe hat,
da iſt es ihm unendlich ſchwer, etwas zu dul-
den, das nicht mit ihr beſteht. Unter dem
deſpotiſchen Himmel toͤdtet man mit Einem
Hiebe, unter vielen andern quaͤlt man mit
hunderttauſend Stichen langſam zu Tode:
denn alle kann man nicht verbrennen, wie
meinen Bruder. —
J 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/157>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.