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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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verwägener Hand niedergestürzt hätte. Man
streute eben damals Erzählungen von Wun-
dern aus, die ein neu entdecktes Haar von
den Augenwimpern des heil. Jgnatius gethan
haben sollte. So lächerlich und ungereimt
die Erdichtungen waren, so sehr ihre Falsch-
heit in die Augen sprang, so leicht ließen sich
vornehme und geringe Laien von ihrer Wahr-
haftigkeit überzeugen. Die Absicht war ei-
gentlich, einem ungestifteten Kloster Gönner,
Bewunderer und Beiträge zu verschaffen: der
Franzose, der alle Nationen über die Schul-
tern ansieht und vielleicht in vielen Stücken
ein Recht dazu hat, glaubte übel ersonnene
Mährchen, die mit Mutter Gans in einem
Range standen, und opferte reichlich. Mein
Bruder, vielleicht halb von Rache, aber ge-
wiß auch halb vom Eifer der Wahrheit an-
gefeuert, trat zum zweitenmale auf den
Kampfplaz; aber zu seinem Unglücke. Man
beschuldigte ihn der schwärzesten Verbrechen,
man brauchte die niederträchtigsten Kunst-
griffe, falsche Zeugen, untergeschobne Briefe,
um ihn der Gotteslästerung und Jrreligion
zu überführen. Man gelangte zu seinem
Zwecke; der unwissende Pöbel ist jederzeit

verwaͤgener Hand niedergeſtuͤrzt haͤtte. Man
ſtreute eben damals Erzaͤhlungen von Wun-
dern aus, die ein neu entdecktes Haar von
den Augenwimpern des heil. Jgnatius gethan
haben ſollte. So laͤcherlich und ungereimt
die Erdichtungen waren, ſo ſehr ihre Falſch-
heit in die Augen ſprang, ſo leicht ließen ſich
vornehme und geringe Laien von ihrer Wahr-
haftigkeit uͤberzeugen. Die Abſicht war ei-
gentlich, einem ungeſtifteten Kloſter Goͤnner,
Bewunderer und Beitraͤge zu verſchaffen: der
Franzoſe, der alle Nationen uͤber die Schul-
tern anſieht und vielleicht in vielen Stuͤcken
ein Recht dazu hat, glaubte uͤbel erſonnene
Maͤhrchen, die mit Mutter Gans in einem
Range ſtanden, und opferte reichlich. Mein
Bruder, vielleicht halb von Rache, aber ge-
wiß auch halb vom Eifer der Wahrheit an-
gefeuert, trat zum zweitenmale auf den
Kampfplaz; aber zu ſeinem Ungluͤcke. Man
beſchuldigte ihn der ſchwaͤrzeſten Verbrechen,
man brauchte die niedertraͤchtigſten Kunſt-
griffe, falſche Zeugen, untergeſchobne Briefe,
um ihn der Gotteslaͤſterung und Jrreligion
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[136/0156] verwaͤgener Hand niedergeſtuͤrzt haͤtte. Man ſtreute eben damals Erzaͤhlungen von Wun- dern aus, die ein neu entdecktes Haar von den Augenwimpern des heil. Jgnatius gethan haben ſollte. So laͤcherlich und ungereimt die Erdichtungen waren, ſo ſehr ihre Falſch- heit in die Augen ſprang, ſo leicht ließen ſich vornehme und geringe Laien von ihrer Wahr- haftigkeit uͤberzeugen. Die Abſicht war ei- gentlich, einem ungeſtifteten Kloſter Goͤnner, Bewunderer und Beitraͤge zu verſchaffen: der Franzoſe, der alle Nationen uͤber die Schul- tern anſieht und vielleicht in vielen Stuͤcken ein Recht dazu hat, glaubte uͤbel erſonnene Maͤhrchen, die mit Mutter Gans in einem Range ſtanden, und opferte reichlich. Mein Bruder, vielleicht halb von Rache, aber ge- wiß auch halb vom Eifer der Wahrheit an- gefeuert, trat zum zweitenmale auf den Kampfplaz; aber zu ſeinem Ungluͤcke. Man beſchuldigte ihn der ſchwaͤrzeſten Verbrechen, man brauchte die niedertraͤchtigſten Kunſt- griffe, falſche Zeugen, untergeſchobne Briefe, um ihn der Gotteslaͤſterung und Jrreligion zu uͤberfuͤhren. Man gelangte zu ſeinem Zwecke; der unwiſſende Poͤbel iſt jederzeit

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/156>, abgerufen am 28.11.2024.