O, seufzte Belphegor, welch Unthier ist der Mensch! Jmmer ein Unterdrücker, hier des Eigenthums, dort des Menschenverstan- des, hier des Rechtschaffnen, dort des Armen! --
Ja, faßte Medardus die Rede auf, daß die Menschen doch so einfältige Kreaturen sind! Jn Ruhe und Friede könnten sie bey einander sitzen, ein Glas Apfelwein trinken und sich einander ihr Leben erzählen: aber nein! da schlagen, schmeißen, balgen sie sich, wie das liebe Vieh; und noch ärger machen sies: denn die Thiere verschlingen sich doch nur aus Hunger, aber die Menschen, wenn sie der Hunger nicht dazu zwingt, suchen ein Sylbchen, ein Wörtchen, und verbrennen, hängen, köpfen und sengen sich darüber. --
Ja, leider, sprach die Dame, sonst wäre mein ältester Bruder nicht aus dem Schooße des Vaterlandes, seiner Güter, seiner Fami- lie vertrieben worden, weil er ein heimlicher Hugenott war. Ein Elender, dem er einen kleinen Dienst versagt hatte, weil er ihn des- selben unwürdig hielt, gab ihn an; er muß- te, um sich nicht der Verfolgung preis zu ge-
O, ſeufzte Belphegor, welch Unthier iſt der Menſch! Jmmer ein Unterdruͤcker, hier des Eigenthums, dort des Menſchenverſtan- des, hier des Rechtſchaffnen, dort des Armen! —
Ja, faßte Medardus die Rede auf, daß die Menſchen doch ſo einfaͤltige Kreaturen ſind! Jn Ruhe und Friede koͤnnten ſie bey einander ſitzen, ein Glas Apfelwein trinken und ſich einander ihr Leben erzaͤhlen: aber nein! da ſchlagen, ſchmeißen, balgen ſie ſich, wie das liebe Vieh; und noch aͤrger machen ſies: denn die Thiere verſchlingen ſich doch nur aus Hunger, aber die Menſchen, wenn ſie der Hunger nicht dazu zwingt, ſuchen ein Sylbchen, ein Woͤrtchen, und verbrennen, haͤngen, koͤpfen und ſengen ſich daruͤber. —
Ja, leider, ſprach die Dame, ſonſt waͤre mein aͤlteſter Bruder nicht aus dem Schooße des Vaterlandes, ſeiner Guͤter, ſeiner Fami- lie vertrieben worden, weil er ein heimlicher Hugenott war. Ein Elender, dem er einen kleinen Dienſt verſagt hatte, weil er ihn deſ- ſelben unwuͤrdig hielt, gab ihn an; er muß- te, um ſich nicht der Verfolgung preis zu ge-
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O, ſeufzte Belphegor, welch Unthier iſt
der Menſch! Jmmer ein Unterdruͤcker, hier
des Eigenthums, dort des Menſchenverſtan-
des, hier des Rechtſchaffnen, dort des
Armen! —
Ja, faßte Medardus die Rede auf, daß
die Menſchen doch ſo einfaͤltige Kreaturen
ſind! Jn Ruhe und Friede koͤnnten ſie bey
einander ſitzen, ein Glas Apfelwein trinken
und ſich einander ihr Leben erzaͤhlen: aber
nein! da ſchlagen, ſchmeißen, balgen ſie ſich,
wie das liebe Vieh; und noch aͤrger machen
ſies: denn die Thiere verſchlingen ſich doch
nur aus Hunger, aber die Menſchen, wenn
ſie der Hunger nicht dazu zwingt, ſuchen ein
Sylbchen, ein Woͤrtchen, und verbrennen,
haͤngen, koͤpfen und ſengen ſich daruͤber. —
Ja, leider, ſprach die Dame, ſonſt waͤre
mein aͤlteſter Bruder nicht aus dem Schooße
des Vaterlandes, ſeiner Guͤter, ſeiner Fami-
lie vertrieben worden, weil er ein heimlicher
Hugenott war. Ein Elender, dem er einen
kleinen Dienſt verſagt hatte, weil er ihn deſ-
ſelben unwuͤrdig hielt, gab ihn an; er muß-
te, um ſich nicht der Verfolgung preis zu ge-
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/158>, abgerufen am 24.11.2024.
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