Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

gen oder unglücklich machen zu wollen! --
seufzte Belphegor.

Auf das Glück der Menschen ist es nie-
manden noch angekommen. Die Menschen,
lehrte mich Fra Paolo, wollen über einan-
der, das ist der Endzweck ihres Daseyns: da
aber nur wenige über die andern seyn kön-
nen, so müssen die meisten unter andern
seyn: folglich muß sich jeder bestreben, so
sehr als möglich sich der Klasse "über" zu
nähern, wenn er nicht ganz darein rücken
kann: das gilt nun gleich, wie er dahin
kömmt und andre unter sich bringt; kann er
sie nicht bereden, daß sie ihm weichen, so
drängt er sich mit Gewalt durch: wer im Ge-
dränge erdrückt wird, wird erdrückt; warum
geht er nicht freywillig aus dem Wege? So
haben die Menschen von Ewigkeit her gehan-
delt, und es ist nichts löblicher, als daß man
eben so handelt. -- So belehrte er mich, als
ich noch zu furchtsam war, die Leute mit gif-
tigen Federn zu füttern. Als ich in der Fol-
ge die Kirchengeschichte etwas mehr studirte,
so fand ich, daß Fra Paolo die reine Wahr-
heit gesagt hatte. Wenn man nicht weiter
kann, fand ich, so muß man die Leute tumm

G 3

gen oder ungluͤcklich machen zu wollen! —
ſeufzte Belphegor.

Auf das Gluͤck der Menſchen iſt es nie-
manden noch angekommen. Die Menſchen,
lehrte mich Fra Paolo, wollen uͤber einan-
der, das iſt der Endzweck ihres Daſeyns: da
aber nur wenige uͤber die andern ſeyn koͤn-
nen, ſo muͤſſen die meiſten unter andern
ſeyn: folglich muß ſich jeder beſtreben, ſo
ſehr als moͤglich ſich der Klaſſe „uͤber‟ zu
naͤhern, wenn er nicht ganz darein ruͤcken
kann: das gilt nun gleich, wie er dahin
koͤmmt und andre unter ſich bringt; kann er
ſie nicht bereden, daß ſie ihm weichen, ſo
draͤngt er ſich mit Gewalt durch: wer im Ge-
draͤnge erdruͤckt wird, wird erdruͤckt; warum
geht er nicht freywillig aus dem Wege? So
haben die Menſchen von Ewigkeit her gehan-
delt, und es iſt nichts loͤblicher, als daß man
eben ſo handelt. — So belehrte er mich, als
ich noch zu furchtſam war, die Leute mit gif-
tigen Federn zu fuͤttern. Als ich in der Fol-
ge die Kirchengeſchichte etwas mehr ſtudirte,
ſo fand ich, daß Fra Paolo die reine Wahr-
heit geſagt hatte. Wenn man nicht weiter
kann, fand ich, ſo muß man die Leute tumm

G 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0121" n="101"/>
gen oder unglu&#x0364;cklich machen zu wollen! &#x2014;<lb/>
&#x017F;eufzte Belphegor.</p><lb/>
        <p>Auf das Glu&#x0364;ck der Men&#x017F;chen i&#x017F;t es nie-<lb/>
manden noch angekommen. Die Men&#x017F;chen,<lb/>
lehrte mich Fra Paolo, wollen <hi rendition="#fr">u&#x0364;ber</hi> einan-<lb/>
der, das i&#x017F;t der Endzweck ihres Da&#x017F;eyns: da<lb/>
aber nur wenige <hi rendition="#fr">u&#x0364;ber</hi> die andern &#x017F;eyn ko&#x0364;n-<lb/>
nen, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die mei&#x017F;ten <hi rendition="#fr">unter</hi> andern<lb/>
&#x017F;eyn: folglich muß &#x017F;ich jeder be&#x017F;treben, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehr als mo&#x0364;glich &#x017F;ich der Kla&#x017F;&#x017F;e &#x201E;<hi rendition="#fr">u&#x0364;ber</hi>&#x201F; zu<lb/>
na&#x0364;hern, wenn er nicht ganz darein ru&#x0364;cken<lb/>
kann: das gilt nun gleich, <hi rendition="#fr">wie</hi> er dahin<lb/>
ko&#x0364;mmt und andre <hi rendition="#fr">unter</hi> &#x017F;ich bringt; kann er<lb/>
&#x017F;ie nicht bereden, daß &#x017F;ie ihm weichen, &#x017F;o<lb/>
dra&#x0364;ngt er &#x017F;ich mit Gewalt durch: wer im Ge-<lb/>
dra&#x0364;nge erdru&#x0364;ckt wird, wird erdru&#x0364;ckt; warum<lb/>
geht er nicht freywillig aus dem Wege? So<lb/>
haben die Men&#x017F;chen von Ewigkeit her gehan-<lb/>
delt, und es i&#x017F;t nichts lo&#x0364;blicher, als daß man<lb/>
eben &#x017F;o handelt. &#x2014; So belehrte er mich, als<lb/>
ich noch zu furcht&#x017F;am war, die Leute mit gif-<lb/>
tigen Federn zu fu&#x0364;ttern. Als ich in der Fol-<lb/>
ge die Kirchenge&#x017F;chichte etwas mehr &#x017F;tudirte,<lb/>
&#x017F;o fand ich, daß Fra Paolo die reine Wahr-<lb/>
heit ge&#x017F;agt hatte. Wenn man nicht weiter<lb/>
kann, fand ich, &#x017F;o muß man die Leute tumm<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 3</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0121] gen oder ungluͤcklich machen zu wollen! — ſeufzte Belphegor. Auf das Gluͤck der Menſchen iſt es nie- manden noch angekommen. Die Menſchen, lehrte mich Fra Paolo, wollen uͤber einan- der, das iſt der Endzweck ihres Daſeyns: da aber nur wenige uͤber die andern ſeyn koͤn- nen, ſo muͤſſen die meiſten unter andern ſeyn: folglich muß ſich jeder beſtreben, ſo ſehr als moͤglich ſich der Klaſſe „uͤber‟ zu naͤhern, wenn er nicht ganz darein ruͤcken kann: das gilt nun gleich, wie er dahin koͤmmt und andre unter ſich bringt; kann er ſie nicht bereden, daß ſie ihm weichen, ſo draͤngt er ſich mit Gewalt durch: wer im Ge- draͤnge erdruͤckt wird, wird erdruͤckt; warum geht er nicht freywillig aus dem Wege? So haben die Menſchen von Ewigkeit her gehan- delt, und es iſt nichts loͤblicher, als daß man eben ſo handelt. — So belehrte er mich, als ich noch zu furchtſam war, die Leute mit gif- tigen Federn zu fuͤttern. Als ich in der Fol- ge die Kirchengeſchichte etwas mehr ſtudirte, ſo fand ich, daß Fra Paolo die reine Wahr- heit geſagt hatte. Wenn man nicht weiter kann, fand ich, ſo muß man die Leute tumm G 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/121
Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/121>, abgerufen am 24.11.2024.