Grund auf. Bald rollten die Wogen wie mächtige Berge heran, hoben das Schiff hoch auf ihren Rücken und ließen es dann wieder blitzschnell hinabschießen in das Wellenthal, als sollte es in ihm begraben werden; bald wurden sie von der Gewalt des Windes vollständig niedergeweht und ringsum kochte und brodelte nur eine schäumende Masse und überschüttete das Schiff mit einem Sprühregen.
Der Eindruck, den dieser Kampf der Elemente auf mich machte, war ein großartiger. Obwohl ich seitdem so oft ähnliche und kaum weniger furchtbare Scenen erlebt habe, ist jener Tag vor allem lebendig in meinem Gedächtnisse geblieben, wohl weil ich damals zum ersten Male die Majestät des Meeres sah. Das Heulen des Orkans, das Rauschen der Wellen, die daher stürmten und deren Kämme mit donnerndem Getöse überbrachen, das Erkrachen des Schiffes in Fugen und Balken, sein Aechzen und Stöhnen, als sei es ein menschliches Wesen, das inmitten dieses Aufruhrs der Natur seinen Todeskampf kämpfte -- wahrlich es war eine Majestät, aber von grauenvoller Erhabenheit.
Demüthig beugte ich mein Haupt vor ihr, in der sich des Schöpfers Allmacht so gewaltig offenbarte und ein inbrünstiges Gebet stieg zu ihm empor, dessen starke Hand allein jetzt unser schwaches Schiff über den dunkeln Wassern hielt. Nie zuvor hatte ich seine Nähe, das Wehen seines Odems so deutlich gefühlt wie heute inmitten der Wuth des Orkans und des wilden Brausens der Wellen, inmitten der Schrecken der Luft und der Tiefe.
Und doch beschlich keine Furcht mein Herz; aus dem be- täubenden Getöse der erregten Natur sprach eine tröstende Stimme: "Aengstigt Euch nicht, ich wache über Euch," und ruhig erwartete ich unser ferneres Geschick.
Langsam schwand der Tag dahin. Die Mannschaft war sämmtlich auf dem Hinterdeck versammelt; vorn auf dem Schiffe konnte man wegen der überbrechenden Wassermassen nicht ausdauern. Mit Lebensgefahr und oft bis über die Brust im Wasser stehend
Werner
Grund auf. Bald rollten die Wogen wie mächtige Berge heran, hoben das Schiff hoch auf ihren Rücken und ließen es dann wieder blitzſchnell hinabſchießen in das Wellenthal, als ſollte es in ihm begraben werden; bald wurden ſie von der Gewalt des Windes vollſtändig niedergeweht und ringsum kochte und brodelte nur eine ſchäumende Maſſe und überſchüttete das Schiff mit einem Sprühregen.
Der Eindruck, den dieſer Kampf der Elemente auf mich machte, war ein großartiger. Obwohl ich ſeitdem ſo oft ähnliche und kaum weniger furchtbare Scenen erlebt habe, iſt jener Tag vor allem lebendig in meinem Gedächtniſſe geblieben, wohl weil ich damals zum erſten Male die Majeſtät des Meeres ſah. Das Heulen des Orkans, das Rauſchen der Wellen, die daher ſtürmten und deren Kämme mit donnerndem Getöſe überbrachen, das Erkrachen des Schiffes in Fugen und Balken, ſein Aechzen und Stöhnen, als ſei es ein menſchliches Weſen, das inmitten dieſes Aufruhrs der Natur ſeinen Todeskampf kämpfte — wahrlich es war eine Majeſtät, aber von grauenvoller Erhabenheit.
Demüthig beugte ich mein Haupt vor ihr, in der ſich des Schöpfers Allmacht ſo gewaltig offenbarte und ein inbrünſtiges Gebet ſtieg zu ihm empor, deſſen ſtarke Hand allein jetzt unſer ſchwaches Schiff über den dunkeln Waſſern hielt. Nie zuvor hatte ich ſeine Nähe, das Wehen ſeines Odems ſo deutlich gefühlt wie heute inmitten der Wuth des Orkans und des wilden Brauſens der Wellen, inmitten der Schrecken der Luft und der Tiefe.
Und doch beſchlich keine Furcht mein Herz; aus dem be- täubenden Getöſe der erregten Natur ſprach eine tröſtende Stimme: „Aengſtigt Euch nicht, ich wache über Euch,“ und ruhig erwartete ich unſer ferneres Geſchick.
Langſam ſchwand der Tag dahin. Die Mannſchaft war ſämmtlich auf dem Hinterdeck verſammelt; vorn auf dem Schiffe konnte man wegen der überbrechenden Waſſermaſſen nicht ausdauern. Mit Lebensgefahr und oft bis über die Bruſt im Waſſer ſtehend
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Werner
Grund auf. Bald rollten die Wogen wie mächtige Berge heran,
hoben das Schiff hoch auf ihren Rücken und ließen es dann
wieder blitzſchnell hinabſchießen in das Wellenthal, als ſollte es
in ihm begraben werden; bald wurden ſie von der Gewalt des
Windes vollſtändig niedergeweht und ringsum kochte und brodelte
nur eine ſchäumende Maſſe und überſchüttete das Schiff mit
einem Sprühregen.
Der Eindruck, den dieſer Kampf der Elemente auf mich
machte, war ein großartiger. Obwohl ich ſeitdem ſo oft ähnliche
und kaum weniger furchtbare Scenen erlebt habe, iſt jener Tag
vor allem lebendig in meinem Gedächtniſſe geblieben, wohl weil
ich damals zum erſten Male die Majeſtät des Meeres ſah.
Das Heulen des Orkans, das Rauſchen der Wellen, die daher
ſtürmten und deren Kämme mit donnerndem Getöſe überbrachen,
das Erkrachen des Schiffes in Fugen und Balken, ſein Aechzen
und Stöhnen, als ſei es ein menſchliches Weſen, das inmitten
dieſes Aufruhrs der Natur ſeinen Todeskampf kämpfte — wahrlich
es war eine Majeſtät, aber von grauenvoller Erhabenheit.
Demüthig beugte ich mein Haupt vor ihr, in der ſich des
Schöpfers Allmacht ſo gewaltig offenbarte und ein inbrünſtiges
Gebet ſtieg zu ihm empor, deſſen ſtarke Hand allein jetzt unſer
ſchwaches Schiff über den dunkeln Waſſern hielt. Nie zuvor
hatte ich ſeine Nähe, das Wehen ſeines Odems ſo deutlich gefühlt
wie heute inmitten der Wuth des Orkans und des wilden Brauſens
der Wellen, inmitten der Schrecken der Luft und der Tiefe.
Und doch beſchlich keine Furcht mein Herz; aus dem be-
täubenden Getöſe der erregten Natur ſprach eine tröſtende
Stimme: „Aengſtigt Euch nicht, ich wache über Euch,“ und
ruhig erwartete ich unſer ferneres Geſchick.
Langſam ſchwand der Tag dahin. Die Mannſchaft war
ſämmtlich auf dem Hinterdeck verſammelt; vorn auf dem Schiffe
konnte man wegen der überbrechenden Waſſermaſſen nicht ausdauern.
Mit Lebensgefahr und oft bis über die Bruſt im Waſſer ſtehend
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/48>, abgerufen am 27.07.2024.
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