trieb das Vorgeschirr* gegen unsern Bug. Es rammte auf ge- fährliche Weise gegen Schiff und Ketten und mußte deshalb auf das schleunigste gekappt werden. Wir verloren damit frei- lich den bisherigen Schutz und wie gut auch das Schiff sonst ritt, so brachen die schweren Grundseen doch öfter darüber hin wie über eine Klippe und die Ketten wurden so straff gespannt, daß sie jeden Augenblick zu springen drohten.
Da der Sturm noch zunahm, mußte zum letzten Hülfs- mittel geschritten und auch der Großmast gekappt werden. Trotz größter Vorsicht zerschmetterte er beim Sturze zwei Boote und einen Theil der Verschanzung; im Falle des Strandens hatten wir jetzt nicht einmal ein Boot mehr, denn die übrig gebliebene schwache Gig hätte in der Brandung nicht leben können. Zur Rettung des Schiffes konnte unsrerseits nichts mehr geschehen; alles Uebrige stand in Gottes Hand.
So lange hatten wir mit Anspannung aller Kräfte arbeiten müssen und nur an die Ausführung der gegebenen Befehle ge- dacht; jetzt jedoch, wo das Schiff selbst fast als Wrack in der brandenden See lag und nichts mehr zu thun war, da blieb uns Zeit, über unsere Lage nachzudenken. Sie kam auch mir in ihrer ganzen Furchtbarkeit zum Bewußtsein. Die Ketten waren unsere letzte Hoffnung, ihr Brechen gleichbedeutend mit sicherem Tode, aber Niemand verlor deswegen den Muth. Es ist eine eigenthümliche Erscheinung bei dem Seemanne, daß er nicht an die Gefahr glaubt, bis sie ihn wirklich packt und er in ihr zu Grunde geht. Das ist aber ein großes Glück für den Beruf, denn keine vorzeitige Furcht oder Verzweiflung lähmt seine Thatkraft; sie bleibt bis zum letzten möglichen Augenblicke und dadurch grade wird die Gefahr in den meisten Fällen beseitigt.
Die Wuth des Sturmes nahm inzwischen noch zu. Eine Bö jagte die andere und wühlte die See fast bis auf den
* Das Bugsprit mit Zubehör.
3*
Eine erſte Seereiſe
trieb das Vorgeſchirr* gegen unſern Bug. Es rammte auf ge- fährliche Weiſe gegen Schiff und Ketten und mußte deshalb auf das ſchleunigſte gekappt werden. Wir verloren damit frei- lich den bisherigen Schutz und wie gut auch das Schiff ſonſt ritt, ſo brachen die ſchweren Grundſeen doch öfter darüber hin wie über eine Klippe und die Ketten wurden ſo ſtraff geſpannt, daß ſie jeden Augenblick zu ſpringen drohten.
Da der Sturm noch zunahm, mußte zum letzten Hülfs- mittel geſchritten und auch der Großmaſt gekappt werden. Trotz größter Vorſicht zerſchmetterte er beim Sturze zwei Boote und einen Theil der Verſchanzung; im Falle des Strandens hatten wir jetzt nicht einmal ein Boot mehr, denn die übrig gebliebene ſchwache Gig hätte in der Brandung nicht leben können. Zur Rettung des Schiffes konnte unſrerſeits nichts mehr geſchehen; alles Uebrige ſtand in Gottes Hand.
So lange hatten wir mit Anſpannung aller Kräfte arbeiten müſſen und nur an die Ausführung der gegebenen Befehle ge- dacht; jetzt jedoch, wo das Schiff ſelbſt faſt als Wrack in der brandenden See lag und nichts mehr zu thun war, da blieb uns Zeit, über unſere Lage nachzudenken. Sie kam auch mir in ihrer ganzen Furchtbarkeit zum Bewußtſein. Die Ketten waren unſere letzte Hoffnung, ihr Brechen gleichbedeutend mit ſicherem Tode, aber Niemand verlor deswegen den Muth. Es iſt eine eigenthümliche Erſcheinung bei dem Seemanne, daß er nicht an die Gefahr glaubt, bis ſie ihn wirklich packt und er in ihr zu Grunde geht. Das iſt aber ein großes Glück für den Beruf, denn keine vorzeitige Furcht oder Verzweiflung lähmt ſeine Thatkraft; ſie bleibt bis zum letzten möglichen Augenblicke und dadurch grade wird die Gefahr in den meiſten Fällen beſeitigt.
Die Wuth des Sturmes nahm inzwiſchen noch zu. Eine Bö jagte die andere und wühlte die See faſt bis auf den
* Das Bugſprit mit Zubehör.
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Eine erſte Seereiſe
trieb das Vorgeſchirr * gegen unſern Bug. Es rammte auf ge-
fährliche Weiſe gegen Schiff und Ketten und mußte deshalb
auf das ſchleunigſte gekappt werden. Wir verloren damit frei-
lich den bisherigen Schutz und wie gut auch das Schiff ſonſt
ritt, ſo brachen die ſchweren Grundſeen doch öfter darüber hin
wie über eine Klippe und die Ketten wurden ſo ſtraff geſpannt,
daß ſie jeden Augenblick zu ſpringen drohten.
Da der Sturm noch zunahm, mußte zum letzten Hülfs-
mittel geſchritten und auch der Großmaſt gekappt werden. Trotz
größter Vorſicht zerſchmetterte er beim Sturze zwei Boote und
einen Theil der Verſchanzung; im Falle des Strandens hatten
wir jetzt nicht einmal ein Boot mehr, denn die übrig gebliebene
ſchwache Gig hätte in der Brandung nicht leben können. Zur
Rettung des Schiffes konnte unſrerſeits nichts mehr geſchehen;
alles Uebrige ſtand in Gottes Hand.
So lange hatten wir mit Anſpannung aller Kräfte arbeiten
müſſen und nur an die Ausführung der gegebenen Befehle ge-
dacht; jetzt jedoch, wo das Schiff ſelbſt faſt als Wrack in der
brandenden See lag und nichts mehr zu thun war, da blieb
uns Zeit, über unſere Lage nachzudenken. Sie kam auch mir
in ihrer ganzen Furchtbarkeit zum Bewußtſein. Die Ketten
waren unſere letzte Hoffnung, ihr Brechen gleichbedeutend mit
ſicherem Tode, aber Niemand verlor deswegen den Muth. Es
iſt eine eigenthümliche Erſcheinung bei dem Seemanne, daß er
nicht an die Gefahr glaubt, bis ſie ihn wirklich packt und er
in ihr zu Grunde geht. Das iſt aber ein großes Glück für
den Beruf, denn keine vorzeitige Furcht oder Verzweiflung
lähmt ſeine Thatkraft; ſie bleibt bis zum letzten möglichen
Augenblicke und dadurch grade wird die Gefahr in den meiſten
Fällen beſeitigt.
Die Wuth des Sturmes nahm inzwiſchen noch zu. Eine
Bö jagte die andere und wühlte die See faſt bis auf den
* Das Bugſprit mit Zubehör.
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/47>, abgerufen am 27.07.2024.
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