Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine erste Seereise
trieb das Vorgeschirr* gegen unsern Bug. Es rammte auf ge-
fährliche Weise gegen Schiff und Ketten und mußte deshalb
auf das schleunigste gekappt werden. Wir verloren damit frei-
lich den bisherigen Schutz und wie gut auch das Schiff sonst
ritt, so brachen die schweren Grundseen doch öfter darüber hin
wie über eine Klippe und die Ketten wurden so straff gespannt,
daß sie jeden Augenblick zu springen drohten.

Da der Sturm noch zunahm, mußte zum letzten Hülfs-
mittel geschritten und auch der Großmast gekappt werden. Trotz
größter Vorsicht zerschmetterte er beim Sturze zwei Boote und
einen Theil der Verschanzung; im Falle des Strandens hatten
wir jetzt nicht einmal ein Boot mehr, denn die übrig gebliebene
schwache Gig hätte in der Brandung nicht leben können. Zur
Rettung des Schiffes konnte unsrerseits nichts mehr geschehen;
alles Uebrige stand in Gottes Hand.

So lange hatten wir mit Anspannung aller Kräfte arbeiten
müssen und nur an die Ausführung der gegebenen Befehle ge-
dacht; jetzt jedoch, wo das Schiff selbst fast als Wrack in der
brandenden See lag und nichts mehr zu thun war, da blieb
uns Zeit, über unsere Lage nachzudenken. Sie kam auch mir
in ihrer ganzen Furchtbarkeit zum Bewußtsein. Die Ketten
waren unsere letzte Hoffnung, ihr Brechen gleichbedeutend mit
sicherem Tode, aber Niemand verlor deswegen den Muth. Es
ist eine eigenthümliche Erscheinung bei dem Seemanne, daß er
nicht an die Gefahr glaubt, bis sie ihn wirklich packt und er
in ihr zu Grunde geht. Das ist aber ein großes Glück für
den Beruf, denn keine vorzeitige Furcht oder Verzweiflung
lähmt seine Thatkraft; sie bleibt bis zum letzten möglichen
Augenblicke und dadurch grade wird die Gefahr in den meisten
Fällen beseitigt.

Die Wuth des Sturmes nahm inzwischen noch zu. Eine
Bö jagte die andere und wühlte die See fast bis auf den

* Das Bugsprit mit Zubehör.
3*

Eine erſte Seereiſe
trieb das Vorgeſchirr* gegen unſern Bug. Es rammte auf ge-
fährliche Weiſe gegen Schiff und Ketten und mußte deshalb
auf das ſchleunigſte gekappt werden. Wir verloren damit frei-
lich den bisherigen Schutz und wie gut auch das Schiff ſonſt
ritt, ſo brachen die ſchweren Grundſeen doch öfter darüber hin
wie über eine Klippe und die Ketten wurden ſo ſtraff geſpannt,
daß ſie jeden Augenblick zu ſpringen drohten.

Da der Sturm noch zunahm, mußte zum letzten Hülfs-
mittel geſchritten und auch der Großmaſt gekappt werden. Trotz
größter Vorſicht zerſchmetterte er beim Sturze zwei Boote und
einen Theil der Verſchanzung; im Falle des Strandens hatten
wir jetzt nicht einmal ein Boot mehr, denn die übrig gebliebene
ſchwache Gig hätte in der Brandung nicht leben können. Zur
Rettung des Schiffes konnte unſrerſeits nichts mehr geſchehen;
alles Uebrige ſtand in Gottes Hand.

So lange hatten wir mit Anſpannung aller Kräfte arbeiten
müſſen und nur an die Ausführung der gegebenen Befehle ge-
dacht; jetzt jedoch, wo das Schiff ſelbſt faſt als Wrack in der
brandenden See lag und nichts mehr zu thun war, da blieb
uns Zeit, über unſere Lage nachzudenken. Sie kam auch mir
in ihrer ganzen Furchtbarkeit zum Bewußtſein. Die Ketten
waren unſere letzte Hoffnung, ihr Brechen gleichbedeutend mit
ſicherem Tode, aber Niemand verlor deswegen den Muth. Es
iſt eine eigenthümliche Erſcheinung bei dem Seemanne, daß er
nicht an die Gefahr glaubt, bis ſie ihn wirklich packt und er
in ihr zu Grunde geht. Das iſt aber ein großes Glück für
den Beruf, denn keine vorzeitige Furcht oder Verzweiflung
lähmt ſeine Thatkraft; ſie bleibt bis zum letzten möglichen
Augenblicke und dadurch grade wird die Gefahr in den meiſten
Fällen beſeitigt.

Die Wuth des Sturmes nahm inzwiſchen noch zu. Eine
Bö jagte die andere und wühlte die See faſt bis auf den

* Das Bugſprit mit Zubehör.
3*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0047" n="35"/><fw place="top" type="header">Eine er&#x017F;te Seerei&#x017F;e</fw><lb/>
trieb das Vorge&#x017F;chirr<note place="foot" n="*">Das Bug&#x017F;prit mit Zubehör.</note> gegen un&#x017F;ern Bug. Es rammte auf ge-<lb/>
fährliche Wei&#x017F;e gegen Schiff und Ketten und mußte deshalb<lb/>
auf das &#x017F;chleunig&#x017F;te gekappt werden. Wir verloren damit frei-<lb/>
lich den bisherigen Schutz und wie gut auch das Schiff &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
ritt, &#x017F;o brachen die &#x017F;chweren Grund&#x017F;een doch öfter darüber hin<lb/>
wie über eine Klippe und die Ketten wurden &#x017F;o &#x017F;traff ge&#x017F;pannt,<lb/>
daß &#x017F;ie jeden Augenblick zu &#x017F;pringen drohten.</p><lb/>
        <p>Da der Sturm noch zunahm, mußte zum letzten Hülfs-<lb/>
mittel ge&#x017F;chritten und auch der Großma&#x017F;t gekappt werden. Trotz<lb/>
größter Vor&#x017F;icht zer&#x017F;chmetterte er beim Sturze zwei Boote und<lb/>
einen Theil der Ver&#x017F;chanzung; im Falle des Strandens hatten<lb/>
wir jetzt nicht einmal ein Boot mehr, denn die übrig gebliebene<lb/>
&#x017F;chwache Gig hätte in der Brandung nicht leben können. Zur<lb/>
Rettung des Schiffes konnte un&#x017F;rer&#x017F;eits nichts mehr ge&#x017F;chehen;<lb/>
alles Uebrige &#x017F;tand in Gottes Hand.</p><lb/>
        <p>So lange hatten wir mit An&#x017F;pannung aller Kräfte arbeiten<lb/>&#x017F;&#x017F;en und nur an die Ausführung der gegebenen Befehle ge-<lb/>
dacht; jetzt jedoch, wo das Schiff &#x017F;elb&#x017F;t fa&#x017F;t als Wrack in der<lb/>
brandenden See lag und nichts mehr zu thun war, da blieb<lb/>
uns Zeit, über un&#x017F;ere Lage nachzudenken. Sie kam auch mir<lb/>
in ihrer ganzen Furchtbarkeit zum Bewußt&#x017F;ein. Die Ketten<lb/>
waren un&#x017F;ere letzte Hoffnung, ihr Brechen gleichbedeutend mit<lb/>
&#x017F;icherem Tode, aber Niemand verlor deswegen den Muth. Es<lb/>
i&#x017F;t eine eigenthümliche Er&#x017F;cheinung bei dem Seemanne, daß er<lb/>
nicht an die Gefahr glaubt, bis &#x017F;ie ihn wirklich packt und er<lb/>
in ihr zu Grunde geht. Das i&#x017F;t aber ein großes Glück für<lb/>
den Beruf, denn keine vorzeitige Furcht oder Verzweiflung<lb/>
lähmt &#x017F;eine Thatkraft; &#x017F;ie bleibt bis zum letzten möglichen<lb/>
Augenblicke und dadurch grade wird die Gefahr in den mei&#x017F;ten<lb/>
Fällen be&#x017F;eitigt.</p><lb/>
        <p>Die Wuth des Sturmes nahm inzwi&#x017F;chen noch zu. Eine<lb/>
Bö jagte die andere und wühlte die See fa&#x017F;t bis auf den<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">3*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0047] Eine erſte Seereiſe trieb das Vorgeſchirr * gegen unſern Bug. Es rammte auf ge- fährliche Weiſe gegen Schiff und Ketten und mußte deshalb auf das ſchleunigſte gekappt werden. Wir verloren damit frei- lich den bisherigen Schutz und wie gut auch das Schiff ſonſt ritt, ſo brachen die ſchweren Grundſeen doch öfter darüber hin wie über eine Klippe und die Ketten wurden ſo ſtraff geſpannt, daß ſie jeden Augenblick zu ſpringen drohten. Da der Sturm noch zunahm, mußte zum letzten Hülfs- mittel geſchritten und auch der Großmaſt gekappt werden. Trotz größter Vorſicht zerſchmetterte er beim Sturze zwei Boote und einen Theil der Verſchanzung; im Falle des Strandens hatten wir jetzt nicht einmal ein Boot mehr, denn die übrig gebliebene ſchwache Gig hätte in der Brandung nicht leben können. Zur Rettung des Schiffes konnte unſrerſeits nichts mehr geſchehen; alles Uebrige ſtand in Gottes Hand. So lange hatten wir mit Anſpannung aller Kräfte arbeiten müſſen und nur an die Ausführung der gegebenen Befehle ge- dacht; jetzt jedoch, wo das Schiff ſelbſt faſt als Wrack in der brandenden See lag und nichts mehr zu thun war, da blieb uns Zeit, über unſere Lage nachzudenken. Sie kam auch mir in ihrer ganzen Furchtbarkeit zum Bewußtſein. Die Ketten waren unſere letzte Hoffnung, ihr Brechen gleichbedeutend mit ſicherem Tode, aber Niemand verlor deswegen den Muth. Es iſt eine eigenthümliche Erſcheinung bei dem Seemanne, daß er nicht an die Gefahr glaubt, bis ſie ihn wirklich packt und er in ihr zu Grunde geht. Das iſt aber ein großes Glück für den Beruf, denn keine vorzeitige Furcht oder Verzweiflung lähmt ſeine Thatkraft; ſie bleibt bis zum letzten möglichen Augenblicke und dadurch grade wird die Gefahr in den meiſten Fällen beſeitigt. Die Wuth des Sturmes nahm inzwiſchen noch zu. Eine Bö jagte die andere und wühlte die See faſt bis auf den * Das Bugſprit mit Zubehör. 3*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/47
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/47>, abgerufen am 18.04.2024.