war von uns das Ankerspill* abgestützt worden, um bei den furchtbaren Stößen, die es durch die beim Stampfen straff werdenden Ketten auszuhalten hatte, nicht über Kopf zu gehen. Die Kombüse war schon durch den fallenden Fockmast zerstört; gekocht konnte nicht werden. Schiffszwieback und etwas Rum mit Wasser diente uns als Nahrung.
Gegen Sonnenuntergang schien der Sturm noch einmal seine ganze Kraft entfalten zu wollen. Immer härter wehte es, immer höher thürmten sich die Wellen und warfen das Schiff wie einen Ball sich einander zu. Bisweilen erklang durch das Brausen und Rauschen ein unheimlich gellender Ton, als ob an eine Glasglocke geschlagen würde. Es waren die Ketten, die zum Springen standen, wenn eine schwere Grundsee das Schiff packte und es nach hinten schleuderte. Ueber das Gesicht des Kapitäns flog ein leiser Schatten, wenn der Ton sich hören ließ; er fühlte, wie wir alle, daß jetzt der kritischste Moment für unser Schiff gekommen sei. Er ging jedoch glücklich vorüber. "Wenn die Sonne hinunterweht, gutes Wetter in Aussicht steht," diese alte Wind- und Wetterregel der Seeleute bewährte sich auch diesmal.
Gegen acht Uhr Abends brach sich das Wetter; der dichte gleichmäßige Wolkenschleier zerriß; hier und dort schaute ein Stern hervor, zuerst nur einen Augenblick, dann dauernd. Die Pausen zwischen den Böen wurden länger, die Kraft der See schwächer und das Schiff ruckte nicht mehr so heftig in seine Ankerketten. Der Wind selbst ließ allmälig nach, drehte sich dabei nach rechts und die uns drohende Todesnoth schien durch Gottes gnädigen Beistand beseitigt. Um Mitternacht hatten sich die Elemente ganz beruhigt. Ueber uns wölbte sich der sternenklare Himmel; der Wind war stetig abflauend nach Osten herumgegangen und dadurch ablandig geworden. Die See fiel
* Die Winde für die Ankerkette.
Eine erſte Seereiſe
war von uns das Ankerſpill* abgeſtützt worden, um bei den furchtbaren Stößen, die es durch die beim Stampfen ſtraff werdenden Ketten auszuhalten hatte, nicht über Kopf zu gehen. Die Kombüſe war ſchon durch den fallenden Fockmaſt zerſtört; gekocht konnte nicht werden. Schiffszwieback und etwas Rum mit Waſſer diente uns als Nahrung.
Gegen Sonnenuntergang ſchien der Sturm noch einmal ſeine ganze Kraft entfalten zu wollen. Immer härter wehte es, immer höher thürmten ſich die Wellen und warfen das Schiff wie einen Ball ſich einander zu. Bisweilen erklang durch das Brauſen und Rauſchen ein unheimlich gellender Ton, als ob an eine Glasglocke geſchlagen würde. Es waren die Ketten, die zum Springen ſtanden, wenn eine ſchwere Grundſee das Schiff packte und es nach hinten ſchleuderte. Ueber das Geſicht des Kapitäns flog ein leiſer Schatten, wenn der Ton ſich hören ließ; er fühlte, wie wir alle, daß jetzt der kritiſchſte Moment für unſer Schiff gekommen ſei. Er ging jedoch glücklich vorüber. „Wenn die Sonne hinunterweht, gutes Wetter in Ausſicht ſteht,“ dieſe alte Wind- und Wetterregel der Seeleute bewährte ſich auch diesmal.
Gegen acht Uhr Abends brach ſich das Wetter; der dichte gleichmäßige Wolkenſchleier zerriß; hier und dort ſchaute ein Stern hervor, zuerſt nur einen Augenblick, dann dauernd. Die Pauſen zwiſchen den Böen wurden länger, die Kraft der See ſchwächer und das Schiff ruckte nicht mehr ſo heftig in ſeine Ankerketten. Der Wind ſelbſt ließ allmälig nach, drehte ſich dabei nach rechts und die uns drohende Todesnoth ſchien durch Gottes gnädigen Beiſtand beſeitigt. Um Mitternacht hatten ſich die Elemente ganz beruhigt. Ueber uns wölbte ſich der ſternenklare Himmel; der Wind war ſtetig abflauend nach Oſten herumgegangen und dadurch ablandig geworden. Die See fiel
* Die Winde für die Ankerkette.
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Eine erſte Seereiſe
war von uns das Ankerſpill * abgeſtützt worden, um bei den
furchtbaren Stößen, die es durch die beim Stampfen ſtraff
werdenden Ketten auszuhalten hatte, nicht über Kopf zu gehen.
Die Kombüſe war ſchon durch den fallenden Fockmaſt zerſtört;
gekocht konnte nicht werden. Schiffszwieback und etwas Rum
mit Waſſer diente uns als Nahrung.
Gegen Sonnenuntergang ſchien der Sturm noch einmal
ſeine ganze Kraft entfalten zu wollen. Immer härter wehte es,
immer höher thürmten ſich die Wellen und warfen das Schiff
wie einen Ball ſich einander zu. Bisweilen erklang durch das
Brauſen und Rauſchen ein unheimlich gellender Ton, als ob an
eine Glasglocke geſchlagen würde. Es waren die Ketten, die
zum Springen ſtanden, wenn eine ſchwere Grundſee das Schiff
packte und es nach hinten ſchleuderte. Ueber das Geſicht des
Kapitäns flog ein leiſer Schatten, wenn der Ton ſich hören
ließ; er fühlte, wie wir alle, daß jetzt der kritiſchſte Moment
für unſer Schiff gekommen ſei. Er ging jedoch glücklich vorüber.
„Wenn die Sonne hinunterweht, gutes Wetter in Ausſicht ſteht,“
dieſe alte Wind- und Wetterregel der Seeleute bewährte ſich
auch diesmal.
Gegen acht Uhr Abends brach ſich das Wetter; der dichte
gleichmäßige Wolkenſchleier zerriß; hier und dort ſchaute ein
Stern hervor, zuerſt nur einen Augenblick, dann dauernd. Die
Pauſen zwiſchen den Böen wurden länger, die Kraft der See
ſchwächer und das Schiff ruckte nicht mehr ſo heftig in ſeine
Ankerketten. Der Wind ſelbſt ließ allmälig nach, drehte ſich
dabei nach rechts und die uns drohende Todesnoth ſchien durch
Gottes gnädigen Beiſtand beſeitigt. Um Mitternacht hatten
ſich die Elemente ganz beruhigt. Ueber uns wölbte ſich der
ſternenklare Himmel; der Wind war ſtetig abflauend nach Oſten
herumgegangen und dadurch ablandig geworden. Die See fiel
* Die Winde für die Ankerkette.
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/49>, abgerufen am 27.07.2024.
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