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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
packte deshalb die "Alma" unter vollen Segeln. Daß sie nicht
kenternd umschlug, dankte sie nur ihrer Eisenladung, wodurch sie
sehr viel Steifheit* besaß; die Segel flogen nicht fort, weil
sie ganz neu waren, doch der Sturm suchte sich einen andern
Angriffspunkt.

"Luv, luv, hart an den Wind!" schrie der Kapitän dem
Manne am Ruder zu, um die Kraft aus den Segeln zu nehmen.
Vergebens! Ehe der Rudergast noch gehorchen konnte, ertönte
ein Krachen und Rasseln und Splittern und der Fockmast ging
über Bord. Der Klüverbaum und das Bugsprit** waren von
ihm mitgenommen. Unser Schicksal schien besiegelt, das Schiff
war steuerlos geworden. Es schoß in den Wind, verlor die
Fahrt und begann grade auf die Küste zu treiben.

Unsere einzige Rettung beruhte jetzt auf den Ankern; wir
mußten versuchen den Sturm abzureiten. Wir trieben hinter
dem Wrack des Fockmastes mit seinen Raaen und Segeln. Es
gewährte uns in doppelter Beziehung Nutzen; die anrollenden
Seen brachen sich an ihm und sein Widerstand im Wasser ver-
langsamte bedeutend unsere Drift. Der Kapitän gab seine Be-
fehle mit eiserner Ruhe, die ihre Rückwirkung auf uns nicht
verfehlte. Da war kein Zaudern und Zagen, jeder that mit
Einsatz der ganzen Kraft seine Schuldigkeit. "Hilf dir selbst
und Gott wird dir helfen," das ist des rechten Seemanns
Credo. Die Anker fielen und die ganze Länge der Ketten wurde
vorgegeben. Ehe wir aber so weit kamen, war geraume Zeit
vergangen und die Küste nur noch etwa eine Meile entfernt.
Wir sahen die Brandung, wie sie an den Strand rollte und
der Sturm ihren schäumenden Gischt hoch in die Lüfte trug.
Die Anker hatten gut gefaßt, und die Ketten hielten, aber nun

* Ein Schiff ist steif, wenn sein Schwerpunkt sehr tief liegt; es
legt sich dann nur schwer über. Das Gegentheil von steif nennt man
"rank".
** Der vorn und schräg über das Schiff herausragende Mast.

Werner
packte deshalb die „Alma“ unter vollen Segeln. Daß ſie nicht
kenternd umſchlug, dankte ſie nur ihrer Eiſenladung, wodurch ſie
ſehr viel Steifheit* beſaß; die Segel flogen nicht fort, weil
ſie ganz neu waren, doch der Sturm ſuchte ſich einen andern
Angriffspunkt.

„Luv, luv, hart an den Wind!“ ſchrie der Kapitän dem
Manne am Ruder zu, um die Kraft aus den Segeln zu nehmen.
Vergebens! Ehe der Rudergaſt noch gehorchen konnte, ertönte
ein Krachen und Raſſeln und Splittern und der Fockmaſt ging
über Bord. Der Klüverbaum und das Bugſprit** waren von
ihm mitgenommen. Unſer Schickſal ſchien beſiegelt, das Schiff
war ſteuerlos geworden. Es ſchoß in den Wind, verlor die
Fahrt und begann grade auf die Küſte zu treiben.

Unſere einzige Rettung beruhte jetzt auf den Ankern; wir
mußten verſuchen den Sturm abzureiten. Wir trieben hinter
dem Wrack des Fockmaſtes mit ſeinen Raaen und Segeln. Es
gewährte uns in doppelter Beziehung Nutzen; die anrollenden
Seen brachen ſich an ihm und ſein Widerſtand im Waſſer ver-
langſamte bedeutend unſere Drift. Der Kapitän gab ſeine Be-
fehle mit eiſerner Ruhe, die ihre Rückwirkung auf uns nicht
verfehlte. Da war kein Zaudern und Zagen, jeder that mit
Einſatz der ganzen Kraft ſeine Schuldigkeit. „Hilf dir ſelbſt
und Gott wird dir helfen,“ das iſt des rechten Seemanns
Credo. Die Anker fielen und die ganze Länge der Ketten wurde
vorgegeben. Ehe wir aber ſo weit kamen, war geraume Zeit
vergangen und die Küſte nur noch etwa eine Meile entfernt.
Wir ſahen die Brandung, wie ſie an den Strand rollte und
der Sturm ihren ſchäumenden Giſcht hoch in die Lüfte trug.
Die Anker hatten gut gefaßt, und die Ketten hielten, aber nun

* Ein Schiff iſt ſteif, wenn ſein Schwerpunkt ſehr tief liegt; es
legt ſich dann nur ſchwer über. Das Gegentheil von ſteif nennt man
„rank“.
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[34/0046] Werner packte deshalb die „Alma“ unter vollen Segeln. Daß ſie nicht kenternd umſchlug, dankte ſie nur ihrer Eiſenladung, wodurch ſie ſehr viel Steifheit * beſaß; die Segel flogen nicht fort, weil ſie ganz neu waren, doch der Sturm ſuchte ſich einen andern Angriffspunkt. „Luv, luv, hart an den Wind!“ ſchrie der Kapitän dem Manne am Ruder zu, um die Kraft aus den Segeln zu nehmen. Vergebens! Ehe der Rudergaſt noch gehorchen konnte, ertönte ein Krachen und Raſſeln und Splittern und der Fockmaſt ging über Bord. Der Klüverbaum und das Bugſprit ** waren von ihm mitgenommen. Unſer Schickſal ſchien beſiegelt, das Schiff war ſteuerlos geworden. Es ſchoß in den Wind, verlor die Fahrt und begann grade auf die Küſte zu treiben. Unſere einzige Rettung beruhte jetzt auf den Ankern; wir mußten verſuchen den Sturm abzureiten. Wir trieben hinter dem Wrack des Fockmaſtes mit ſeinen Raaen und Segeln. Es gewährte uns in doppelter Beziehung Nutzen; die anrollenden Seen brachen ſich an ihm und ſein Widerſtand im Waſſer ver- langſamte bedeutend unſere Drift. Der Kapitän gab ſeine Be- fehle mit eiſerner Ruhe, die ihre Rückwirkung auf uns nicht verfehlte. Da war kein Zaudern und Zagen, jeder that mit Einſatz der ganzen Kraft ſeine Schuldigkeit. „Hilf dir ſelbſt und Gott wird dir helfen,“ das iſt des rechten Seemanns Credo. Die Anker fielen und die ganze Länge der Ketten wurde vorgegeben. Ehe wir aber ſo weit kamen, war geraume Zeit vergangen und die Küſte nur noch etwa eine Meile entfernt. Wir ſahen die Brandung, wie ſie an den Strand rollte und der Sturm ihren ſchäumenden Giſcht hoch in die Lüfte trug. Die Anker hatten gut gefaßt, und die Ketten hielten, aber nun * Ein Schiff iſt ſteif, wenn ſein Schwerpunkt ſehr tief liegt; es legt ſich dann nur ſchwer über. Das Gegentheil von ſteif nennt man „rank“. ** Der vorn und ſchräg über das Schiff herausragende Maſt.

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/46>, abgerufen am 19.04.2024.