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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Nach Westindien und dem Mittelmeer

Außerdem ist auch das Evolutioniren mit modernen Schiffen
bedeutend schwieriger als mit den alten. Bei den Segelschiffen
hatte man für alle Bewegungen als bestimmenden Factor den
Wind und beide Parteien konnten deshalb innerhalb gewisser
Grenzen immer ungefähr wissen, was der Gegner thun würde
oder konnte. Ebenso war es für die Kämpfer die Hauptauf-
gabe, ihre Geschütze zur Geltung zu bringen, und daraus ergab
sich von selbst für alle seefahrenden Nationen dieselbe Schlacht-
formation, die sogenannte Kiellinie, bei der die Schiffe ziemlich
geschlossen hintereinander segelten und ihre Stärke, die Breit-
seite, dem Feinde zukehrten. Die damalige Taktik gipfelte da-
her darin, die feindliche Linie quer zu durchbrechen und ihre
Schiffe, deren Vorder- und Hintertheil nur schwach armirt war,
mit der Masse der Geschütze der Länge nach zu bestreichen,
respective einem solchen Versuche des Feindes entgegenzutreten.

Die Anwendung des Dampfes, die Erfindung oder viel-
mehr die Wiedereinführung des Spornes, denn schon Jahr-
hunderte vor unserer Zeitrechnung waren die römischen, griechi-
schen und punischen Flotten damit ausgerüstet, und die Panze-
rung haben diese einfachen Gefechtsverhältnisse jedoch gänzlich
umgewandelt. Die Bewegungen der Schiffe sind jetzt vom
Winde unabhängig und der Gegner kann sie nicht mehr mit
irgend welcher Sicherheit vorher wissen. Die offensive Haupt-
stärke liegt nicht mehr in der Breitseite, sondern im Bug, da
ein gelungener Stoß verderblicher wirken kann als ein stunden-
langer Geschützkampf. Ebenso ist der Bug defensiv stärker als
die Breitseite. Die auf letztere rechtwinklig aufschlagenden Ge-
schosse äußern ihre ganze Durchschlagskraft; von vorn kommend
treffen sie jedoch stets unter einem Winkel auf den Panzer und
ihre Durchschlagskraft wird geringer, je spitzer dieser Winkel ist.
Dasselbe gilt von dem ähnlich scharf wie der Bug gebauten
Hintertheil des Schiffes, dem Heck.

Es kommt aber jetzt auch darauf an, dem feind-

Nach Weſtindien und dem Mittelmeer

Außerdem iſt auch das Evolutioniren mit modernen Schiffen
bedeutend ſchwieriger als mit den alten. Bei den Segelſchiffen
hatte man für alle Bewegungen als beſtimmenden Factor den
Wind und beide Parteien konnten deshalb innerhalb gewiſſer
Grenzen immer ungefähr wiſſen, was der Gegner thun würde
oder konnte. Ebenſo war es für die Kämpfer die Hauptauf-
gabe, ihre Geſchütze zur Geltung zu bringen, und daraus ergab
ſich von ſelbſt für alle ſeefahrenden Nationen dieſelbe Schlacht-
formation, die ſogenannte Kiellinie, bei der die Schiffe ziemlich
geſchloſſen hintereinander ſegelten und ihre Stärke, die Breit-
ſeite, dem Feinde zukehrten. Die damalige Taktik gipfelte da-
her darin, die feindliche Linie quer zu durchbrechen und ihre
Schiffe, deren Vorder- und Hintertheil nur ſchwach armirt war,
mit der Maſſe der Geſchütze der Länge nach zu beſtreichen,
reſpective einem ſolchen Verſuche des Feindes entgegenzutreten.

Die Anwendung des Dampfes, die Erfindung oder viel-
mehr die Wiedereinführung des Spornes, denn ſchon Jahr-
hunderte vor unſerer Zeitrechnung waren die römiſchen, griechi-
ſchen und puniſchen Flotten damit ausgerüſtet, und die Panze-
rung haben dieſe einfachen Gefechtsverhältniſſe jedoch gänzlich
umgewandelt. Die Bewegungen der Schiffe ſind jetzt vom
Winde unabhängig und der Gegner kann ſie nicht mehr mit
irgend welcher Sicherheit vorher wiſſen. Die offenſive Haupt-
ſtärke liegt nicht mehr in der Breitſeite, ſondern im Bug, da
ein gelungener Stoß verderblicher wirken kann als ein ſtunden-
langer Geſchützkampf. Ebenſo iſt der Bug defenſiv ſtärker als
die Breitſeite. Die auf letztere rechtwinklig aufſchlagenden Ge-
ſchoſſe äußern ihre ganze Durchſchlagskraft; von vorn kommend
treffen ſie jedoch ſtets unter einem Winkel auf den Panzer und
ihre Durchſchlagskraft wird geringer, je ſpitzer dieſer Winkel iſt.
Daſſelbe gilt von dem ähnlich ſcharf wie der Bug gebauten
Hintertheil des Schiffes, dem Heck.

Es kommt aber jetzt auch darauf an, dem feind-

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[359/0371] Nach Weſtindien und dem Mittelmeer Außerdem iſt auch das Evolutioniren mit modernen Schiffen bedeutend ſchwieriger als mit den alten. Bei den Segelſchiffen hatte man für alle Bewegungen als beſtimmenden Factor den Wind und beide Parteien konnten deshalb innerhalb gewiſſer Grenzen immer ungefähr wiſſen, was der Gegner thun würde oder konnte. Ebenſo war es für die Kämpfer die Hauptauf- gabe, ihre Geſchütze zur Geltung zu bringen, und daraus ergab ſich von ſelbſt für alle ſeefahrenden Nationen dieſelbe Schlacht- formation, die ſogenannte Kiellinie, bei der die Schiffe ziemlich geſchloſſen hintereinander ſegelten und ihre Stärke, die Breit- ſeite, dem Feinde zukehrten. Die damalige Taktik gipfelte da- her darin, die feindliche Linie quer zu durchbrechen und ihre Schiffe, deren Vorder- und Hintertheil nur ſchwach armirt war, mit der Maſſe der Geſchütze der Länge nach zu beſtreichen, reſpective einem ſolchen Verſuche des Feindes entgegenzutreten. Die Anwendung des Dampfes, die Erfindung oder viel- mehr die Wiedereinführung des Spornes, denn ſchon Jahr- hunderte vor unſerer Zeitrechnung waren die römiſchen, griechi- ſchen und puniſchen Flotten damit ausgerüſtet, und die Panze- rung haben dieſe einfachen Gefechtsverhältniſſe jedoch gänzlich umgewandelt. Die Bewegungen der Schiffe ſind jetzt vom Winde unabhängig und der Gegner kann ſie nicht mehr mit irgend welcher Sicherheit vorher wiſſen. Die offenſive Haupt- ſtärke liegt nicht mehr in der Breitſeite, ſondern im Bug, da ein gelungener Stoß verderblicher wirken kann als ein ſtunden- langer Geſchützkampf. Ebenſo iſt der Bug defenſiv ſtärker als die Breitſeite. Die auf letztere rechtwinklig aufſchlagenden Ge- ſchoſſe äußern ihre ganze Durchſchlagskraft; von vorn kommend treffen ſie jedoch ſtets unter einem Winkel auf den Panzer und ihre Durchſchlagskraft wird geringer, je ſpitzer dieſer Winkel iſt. Daſſelbe gilt von dem ähnlich ſcharf wie der Bug gebauten Hintertheil des Schiffes, dem Heck. Es kommt aber jetzt auch darauf an, dem feind-

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/371>, abgerufen am 25.11.2024.