Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Werner
Die Sache wurde immer räthselhafter! Ich weckte meinen
Führer; auch er war starr vor Erstaunen und meinte, es sei
Hexerei. Da auf einmal verstummte der Gesang. In den
Kronen der mächtigen Bäume über unseren Häuptern rauschte
es mit tausendfachem Flügelschlag.

Eine zahllose Schaar Papageien erhob sich aus dem
dunklen Laube, um sich weiter nach unten ganz in unserer Nähe
auf den Zweigen niederzulassen. Ein besonders schönes Exemplar
setzte sich keine zehn Fuß von mir entfernt. Ich freute mich
über das prachtvolle Thier -- da öffnet es den Schnabel und
intonirt. Mit wunderbarer Präcision fallen die übrigen Papa-
geien vierstimmig ein und der zweite Vers des Liedes erklingt
mit einer Schönheit und Fülle des Tones, wie ich es nie ge-
hört. Ich war aufs Tiefste erregt; mein Führer glaubte an
Zauberei, lag auf den Knieen und betete ein Ave Maria. Auch
die Maulthiere waren wie wirr. Eine Zeit lang standen sie
mit gespitzten Ohren und geblähten Nüstern, dann stieß das eine
einen Laut aus, der wie ein schmetternder Trompetenton durch
den Wald klang. Die Papageien wurden dadurch so erschreckt,
daß sie plötzlich ihren Gesang unterbrachen und sich in dichten
Schaaren erhoben, um davon zu fliegen.

Nur ein Thier blieb zurück; es war dasjenige, was into-
nirt hatte; aber sein Bleiben war kein freiwilliges. In offen-
barer Angst flatterte es auf dem Zweige, wo es saß, hin und
her. Ich sprang hinzu und nun löste sich auch das Räthsel
des gehörten Quartetts. Es war der Papagei meines verun-
glückten Freundes. Er hatte noch die Kette am Fuß und sich
mit dieser in dem Aste verschlungen, so daß er nicht fort und
ich ihn greifen konnte. Wahrscheinlich war er bei dem Bergsturz
entkommen und hatte nach dem Verlust seines Herrn die alte
Waldesheimath aufgesucht. Dort muß er dann in seiner außer-
ordentlichen Vorliebe für Musik seinen Kameraden jenes Lied
vierstimmig eingeübt haben.


Werner
Die Sache wurde immer räthſelhafter! Ich weckte meinen
Führer; auch er war ſtarr vor Erſtaunen und meinte, es ſei
Hexerei. Da auf einmal verſtummte der Geſang. In den
Kronen der mächtigen Bäume über unſeren Häuptern rauſchte
es mit tauſendfachem Flügelſchlag.

Eine zahlloſe Schaar Papageien erhob ſich aus dem
dunklen Laube, um ſich weiter nach unten ganz in unſerer Nähe
auf den Zweigen niederzulaſſen. Ein beſonders ſchönes Exemplar
ſetzte ſich keine zehn Fuß von mir entfernt. Ich freute mich
über das prachtvolle Thier — da öffnet es den Schnabel und
intonirt. Mit wunderbarer Präciſion fallen die übrigen Papa-
geien vierſtimmig ein und der zweite Vers des Liedes erklingt
mit einer Schönheit und Fülle des Tones, wie ich es nie ge-
hört. Ich war aufs Tiefſte erregt; mein Führer glaubte an
Zauberei, lag auf den Knieen und betete ein Ave Maria. Auch
die Maulthiere waren wie wirr. Eine Zeit lang ſtanden ſie
mit geſpitzten Ohren und geblähten Nüſtern, dann ſtieß das eine
einen Laut aus, der wie ein ſchmetternder Trompetenton durch
den Wald klang. Die Papageien wurden dadurch ſo erſchreckt,
daß ſie plötzlich ihren Geſang unterbrachen und ſich in dichten
Schaaren erhoben, um davon zu fliegen.

Nur ein Thier blieb zurück; es war dasjenige, was into-
nirt hatte; aber ſein Bleiben war kein freiwilliges. In offen-
barer Angſt flatterte es auf dem Zweige, wo es ſaß, hin und
her. Ich ſprang hinzu und nun löſte ſich auch das Räthſel
des gehörten Quartetts. Es war der Papagei meines verun-
glückten Freundes. Er hatte noch die Kette am Fuß und ſich
mit dieſer in dem Aſte verſchlungen, ſo daß er nicht fort und
ich ihn greifen konnte. Wahrſcheinlich war er bei dem Bergſturz
entkommen und hatte nach dem Verluſt ſeines Herrn die alte
Waldesheimath aufgeſucht. Dort muß er dann in ſeiner außer-
ordentlichen Vorliebe für Muſik ſeinen Kameraden jenes Lied
vierſtimmig eingeübt haben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0296" n="284"/><fw place="top" type="header">Werner</fw><lb/>
Die Sache wurde immer räth&#x017F;elhafter! Ich weckte meinen<lb/>
Führer; auch er war &#x017F;tarr vor Er&#x017F;taunen und meinte, es &#x017F;ei<lb/>
Hexerei. Da auf einmal ver&#x017F;tummte der Ge&#x017F;ang. In den<lb/>
Kronen der mächtigen Bäume über un&#x017F;eren Häuptern rau&#x017F;chte<lb/>
es mit tau&#x017F;endfachem Flügel&#x017F;chlag.</p><lb/>
          <p>Eine zahllo&#x017F;e Schaar Papageien erhob &#x017F;ich aus dem<lb/>
dunklen Laube, um &#x017F;ich weiter nach unten ganz in un&#x017F;erer Nähe<lb/>
auf den Zweigen niederzula&#x017F;&#x017F;en. Ein be&#x017F;onders &#x017F;chönes Exemplar<lb/>
&#x017F;etzte &#x017F;ich keine zehn Fuß von mir entfernt. Ich freute mich<lb/>
über das prachtvolle Thier &#x2014; da öffnet es den Schnabel und<lb/>
intonirt. Mit wunderbarer Präci&#x017F;ion fallen die übrigen Papa-<lb/>
geien vier&#x017F;timmig ein und der zweite Vers des Liedes erklingt<lb/>
mit einer Schönheit und Fülle des Tones, wie ich es nie ge-<lb/>
hört. Ich war aufs Tief&#x017F;te erregt; mein Führer glaubte an<lb/>
Zauberei, lag auf den Knieen und betete ein Ave Maria. Auch<lb/>
die Maulthiere waren wie wirr. Eine Zeit lang &#x017F;tanden &#x017F;ie<lb/>
mit ge&#x017F;pitzten Ohren und geblähten Nü&#x017F;tern, dann &#x017F;tieß das eine<lb/>
einen Laut aus, der wie ein &#x017F;chmetternder Trompetenton durch<lb/>
den Wald klang. Die Papageien wurden dadurch &#x017F;o er&#x017F;chreckt,<lb/>
daß &#x017F;ie plötzlich ihren Ge&#x017F;ang unterbrachen und &#x017F;ich in dichten<lb/>
Schaaren erhoben, um davon zu fliegen.</p><lb/>
          <p>Nur ein Thier blieb zurück; es war dasjenige, was into-<lb/>
nirt hatte; aber &#x017F;ein Bleiben war kein freiwilliges. In offen-<lb/>
barer Ang&#x017F;t flatterte es auf dem Zweige, wo es &#x017F;aß, hin und<lb/>
her. Ich &#x017F;prang hinzu und nun lö&#x017F;te &#x017F;ich auch das Räth&#x017F;el<lb/>
des gehörten Quartetts. Es war der Papagei meines verun-<lb/>
glückten Freundes. Er hatte noch die Kette am Fuß und &#x017F;ich<lb/>
mit die&#x017F;er in dem A&#x017F;te ver&#x017F;chlungen, &#x017F;o daß er nicht fort und<lb/>
ich ihn greifen konnte. Wahr&#x017F;cheinlich war er bei dem Berg&#x017F;turz<lb/>
entkommen und hatte nach dem Verlu&#x017F;t &#x017F;eines Herrn die alte<lb/>
Waldesheimath aufge&#x017F;ucht. Dort muß er dann in &#x017F;einer außer-<lb/>
ordentlichen Vorliebe für Mu&#x017F;ik &#x017F;einen Kameraden jenes Lied<lb/>
vier&#x017F;timmig eingeübt haben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0296] Werner Die Sache wurde immer räthſelhafter! Ich weckte meinen Führer; auch er war ſtarr vor Erſtaunen und meinte, es ſei Hexerei. Da auf einmal verſtummte der Geſang. In den Kronen der mächtigen Bäume über unſeren Häuptern rauſchte es mit tauſendfachem Flügelſchlag. Eine zahlloſe Schaar Papageien erhob ſich aus dem dunklen Laube, um ſich weiter nach unten ganz in unſerer Nähe auf den Zweigen niederzulaſſen. Ein beſonders ſchönes Exemplar ſetzte ſich keine zehn Fuß von mir entfernt. Ich freute mich über das prachtvolle Thier — da öffnet es den Schnabel und intonirt. Mit wunderbarer Präciſion fallen die übrigen Papa- geien vierſtimmig ein und der zweite Vers des Liedes erklingt mit einer Schönheit und Fülle des Tones, wie ich es nie ge- hört. Ich war aufs Tiefſte erregt; mein Führer glaubte an Zauberei, lag auf den Knieen und betete ein Ave Maria. Auch die Maulthiere waren wie wirr. Eine Zeit lang ſtanden ſie mit geſpitzten Ohren und geblähten Nüſtern, dann ſtieß das eine einen Laut aus, der wie ein ſchmetternder Trompetenton durch den Wald klang. Die Papageien wurden dadurch ſo erſchreckt, daß ſie plötzlich ihren Geſang unterbrachen und ſich in dichten Schaaren erhoben, um davon zu fliegen. Nur ein Thier blieb zurück; es war dasjenige, was into- nirt hatte; aber ſein Bleiben war kein freiwilliges. In offen- barer Angſt flatterte es auf dem Zweige, wo es ſaß, hin und her. Ich ſprang hinzu und nun löſte ſich auch das Räthſel des gehörten Quartetts. Es war der Papagei meines verun- glückten Freundes. Er hatte noch die Kette am Fuß und ſich mit dieſer in dem Aſte verſchlungen, ſo daß er nicht fort und ich ihn greifen konnte. Wahrſcheinlich war er bei dem Bergſturz entkommen und hatte nach dem Verluſt ſeines Herrn die alte Waldesheimath aufgeſucht. Dort muß er dann in ſeiner außer- ordentlichen Vorliebe für Muſik ſeinen Kameraden jenes Lied vierſtimmig eingeübt haben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/296
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/296>, abgerufen am 25.11.2024.