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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
Jeder wollte aus deren Zahl nachweisen, daß es in seinem
Ressort viel mehr zu thun gebe, als in dem des andern. Der
Stabsarzt behauptete, der Secretär hätte gleich mit Nr. 500
begonnen und dieser wieder warf dem Doctor vor, daß er alle
Einladungs- und Visitenkarten, die bei ihm abgegeben würden,
mit journalisiren lasse. Ihren Streit überschrie dann der taube
Hauptmann von Kapernaum wieder. Er erzählte, daß die
Jungens von Bremerhafen auf der Lünette "Fuchs", wo das
gesammte Pulver für sein Fort "Wilhelm" lagere, ein mächtiges
Johannisfeuer angezündet hätten. Wenn das in Hannover
bekannt würde, so könnten wol noch drei Jahre darüber ver-
gehen, bis er Major würde. Das sei aber nach 27jähriger
tadelloser Dienstzeit als Hauptmann eine um so traurigere Aus-
sicht, als es mit seinem Gehör, wegen dessen er bis jetzt nicht
befördert sei, doch täglich entschieden besser werde. Neulich, als
an seinem Geburtstage der Adjutant und der Unterofficier der
Festungsbesatzung zur Gratulation gekommen, habe er schon ganz
deutlich ihr Klopfen an der Thür vernommen. Wie mir jedoch
Decker vor einiger Zeit mittheilte, war ihm ein Böller vor die
Stubenthür gesetzt und abgefeuert worden; das hatte dann der
Hauptmann für Klopfen gehalten und "Herein" gerufen.

Um diese Zeit wurde nun die Tafel aufgehoben und die
Gesellschaft vertheilte sich auf dem Deck. Frank versuchte auch
spazieren zu gehen, hatte aber seine Rundhölzer nicht mehr recht
unter Commando, besaß etwas zu viel Topgewicht und schlingerte
deshalb ziemlich stark. Aehnlich ging es dem Adjutanten und
so kamen beide von einander unklar. Das gab dann eine höchst
ergötzliche Scene. Frank drehte sich um, schaute den Lieutenant
eine Weile mit durchbohrenden Blicken stumm an und sagte dann
in dem feierlichen Tone, den Sie an ihn kennen, "Herr, Sie
sind der verwerflichste Character des neunzehnten Jahrhunderts,"
und schlingerte langsam weiter auf das Vordeck zu. Der Lieute-
nant drehte sich auch um und es überkam ihn ein unbestimmtes

Werner
Jeder wollte aus deren Zahl nachweiſen, daß es in ſeinem
Reſſort viel mehr zu thun gebe, als in dem des andern. Der
Stabsarzt behauptete, der Secretär hätte gleich mit Nr. 500
begonnen und dieſer wieder warf dem Doctor vor, daß er alle
Einladungs- und Viſitenkarten, die bei ihm abgegeben würden,
mit journaliſiren laſſe. Ihren Streit überſchrie dann der taube
Hauptmann von Kapernaum wieder. Er erzählte, daß die
Jungens von Bremerhafen auf der Lünette „Fuchs“, wo das
geſammte Pulver für ſein Fort „Wilhelm“ lagere, ein mächtiges
Johannisfeuer angezündet hätten. Wenn das in Hannover
bekannt würde, ſo könnten wol noch drei Jahre darüber ver-
gehen, bis er Major würde. Das ſei aber nach 27jähriger
tadelloſer Dienſtzeit als Hauptmann eine um ſo traurigere Aus-
ſicht, als es mit ſeinem Gehör, wegen deſſen er bis jetzt nicht
befördert ſei, doch täglich entſchieden beſſer werde. Neulich, als
an ſeinem Geburtstage der Adjutant und der Unterofficier der
Feſtungsbeſatzung zur Gratulation gekommen, habe er ſchon ganz
deutlich ihr Klopfen an der Thür vernommen. Wie mir jedoch
Decker vor einiger Zeit mittheilte, war ihm ein Böller vor die
Stubenthür geſetzt und abgefeuert worden; das hatte dann der
Hauptmann für Klopfen gehalten und „Herein“ gerufen.

Um dieſe Zeit wurde nun die Tafel aufgehoben und die
Geſellſchaft vertheilte ſich auf dem Deck. Frank verſuchte auch
ſpazieren zu gehen, hatte aber ſeine Rundhölzer nicht mehr recht
unter Commando, beſaß etwas zu viel Topgewicht und ſchlingerte
deshalb ziemlich ſtark. Aehnlich ging es dem Adjutanten und
ſo kamen beide von einander unklar. Das gab dann eine höchſt
ergötzliche Scene. Frank drehte ſich um, ſchaute den Lieutenant
eine Weile mit durchbohrenden Blicken ſtumm an und ſagte dann
in dem feierlichen Tone, den Sie an ihn kennen, „Herr, Sie
ſind der verwerflichſte Character des neunzehnten Jahrhunderts,“
und ſchlingerte langſam weiter auf das Vordeck zu. Der Lieute-
nant drehte ſich auch um und es überkam ihn ein unbeſtimmtes

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[268/0280] Werner Jeder wollte aus deren Zahl nachweiſen, daß es in ſeinem Reſſort viel mehr zu thun gebe, als in dem des andern. Der Stabsarzt behauptete, der Secretär hätte gleich mit Nr. 500 begonnen und dieſer wieder warf dem Doctor vor, daß er alle Einladungs- und Viſitenkarten, die bei ihm abgegeben würden, mit journaliſiren laſſe. Ihren Streit überſchrie dann der taube Hauptmann von Kapernaum wieder. Er erzählte, daß die Jungens von Bremerhafen auf der Lünette „Fuchs“, wo das geſammte Pulver für ſein Fort „Wilhelm“ lagere, ein mächtiges Johannisfeuer angezündet hätten. Wenn das in Hannover bekannt würde, ſo könnten wol noch drei Jahre darüber ver- gehen, bis er Major würde. Das ſei aber nach 27jähriger tadelloſer Dienſtzeit als Hauptmann eine um ſo traurigere Aus- ſicht, als es mit ſeinem Gehör, wegen deſſen er bis jetzt nicht befördert ſei, doch täglich entſchieden beſſer werde. Neulich, als an ſeinem Geburtstage der Adjutant und der Unterofficier der Feſtungsbeſatzung zur Gratulation gekommen, habe er ſchon ganz deutlich ihr Klopfen an der Thür vernommen. Wie mir jedoch Decker vor einiger Zeit mittheilte, war ihm ein Böller vor die Stubenthür geſetzt und abgefeuert worden; das hatte dann der Hauptmann für Klopfen gehalten und „Herein“ gerufen. Um dieſe Zeit wurde nun die Tafel aufgehoben und die Geſellſchaft vertheilte ſich auf dem Deck. Frank verſuchte auch ſpazieren zu gehen, hatte aber ſeine Rundhölzer nicht mehr recht unter Commando, beſaß etwas zu viel Topgewicht und ſchlingerte deshalb ziemlich ſtark. Aehnlich ging es dem Adjutanten und ſo kamen beide von einander unklar. Das gab dann eine höchſt ergötzliche Scene. Frank drehte ſich um, ſchaute den Lieutenant eine Weile mit durchbohrenden Blicken ſtumm an und ſagte dann in dem feierlichen Tone, den Sie an ihn kennen, „Herr, Sie ſind der verwerflichſte Character des neunzehnten Jahrhunderts,“ und ſchlingerte langſam weiter auf das Vordeck zu. Der Lieute- nant drehte ſich auch um und es überkam ihn ein unbeſtimmtes

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/280>, abgerufen am 22.11.2024.