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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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gehen von der Mannschaft ab und diese würde zu sehr geschwächt
werden, da man immer auch auf Kranke zu rechnen hat. Es ver-
büßen also höchstens zwei ihre Strafe zugleich und die letzten
beiden kommen erst nach vierzehn Tagen an die Reihe. Dabei stellt
sich die Sache so: der Arrestant sitzt, statt wie das Gesetz vor-
schreibt, in einer dunklen Zelle, auf dem hellen Deck, hört alles
und sieht das Meiste, was um ihn vorgeht, faullenzt den Tag
über und schläft unter Deck die ganze Nacht zwischen den Kame-
raden, die seine Arbeit verrichten, ihn bewachen und außerdem
Nachtwache thun müssen.

Eine moralische Einwirkung der Arreststrafe kann bei der-
gleichen Subjecten wol nicht in Rede kommen, und deshalb
bleibt die Thatsache bestehen, daß ein nichtsnutziger Mensch
sich oft absichtlich ein Vergehen zu Schulden kommen läßt,
um in einen Zustand versetzt zu werden, der den Namen
"Strafe" trägt, in Wirklichkeit aber ihn auf Kosten seiner
Kameraden von der Arbeit und lästigen Nachtwachen befreit.
Die Absicht des Gesetzgebers wird also nicht erreicht, wobei noch
nicht einmal der Fall berücksichtigt ist, daß die Strafvollstreckung
durch schlechtes Wetter drei vier Mal ja auf Wochen unterbrochen
werden kann, so daß der Betreffende, um z. B. sieben Tage
abzusitzen, dazu vielleicht der dreifachen Zeit bedarf. Auf großen
Schiffen, wo sich ein paar Arrestzellen befinden, stellen sich die
Verhältnisse etwas günstiger, doch nicht viel, und um diesen Miß-
ständen entgegenzutreten, müssen an Bord von in See befind-
lichen Kriegsschiffen andere kürzere, aber dafür wirksamere
Strafen verhängt werden, als bei der Armee, wenn die Absicht
der Gesetzgeber erreicht werden soll. Aus diesen Gründen er-
klärt es sich, weshalb körperliche Züchtigung auf den Marinen
so lange beibehalten ist. Unsere humanisirende Zeitströmung er-
blickt in dieser Strafe Verletzung des Ehrgefühls und sie ist
deshalb in neuerer Zeit meistens abgeschafft. Darüber haben
Practiker vielfach andere Ansichten und sind der Meinung, daß

Werner
gehen von der Mannſchaft ab und dieſe würde zu ſehr geſchwächt
werden, da man immer auch auf Kranke zu rechnen hat. Es ver-
büßen alſo höchſtens zwei ihre Strafe zugleich und die letzten
beiden kommen erſt nach vierzehn Tagen an die Reihe. Dabei ſtellt
ſich die Sache ſo: der Arreſtant ſitzt, ſtatt wie das Geſetz vor-
ſchreibt, in einer dunklen Zelle, auf dem hellen Deck, hört alles
und ſieht das Meiſte, was um ihn vorgeht, faullenzt den Tag
über und ſchläft unter Deck die ganze Nacht zwiſchen den Kame-
raden, die ſeine Arbeit verrichten, ihn bewachen und außerdem
Nachtwache thun müſſen.

Eine moraliſche Einwirkung der Arreſtſtrafe kann bei der-
gleichen Subjecten wol nicht in Rede kommen, und deshalb
bleibt die Thatſache beſtehen, daß ein nichtsnutziger Menſch
ſich oft abſichtlich ein Vergehen zu Schulden kommen läßt,
um in einen Zuſtand verſetzt zu werden, der den Namen
„Strafe“ trägt, in Wirklichkeit aber ihn auf Koſten ſeiner
Kameraden von der Arbeit und läſtigen Nachtwachen befreit.
Die Abſicht des Geſetzgebers wird alſo nicht erreicht, wobei noch
nicht einmal der Fall berückſichtigt iſt, daß die Strafvollſtreckung
durch ſchlechtes Wetter drei vier Mal ja auf Wochen unterbrochen
werden kann, ſo daß der Betreffende, um z. B. ſieben Tage
abzuſitzen, dazu vielleicht der dreifachen Zeit bedarf. Auf großen
Schiffen, wo ſich ein paar Arreſtzellen befinden, ſtellen ſich die
Verhältniſſe etwas günſtiger, doch nicht viel, und um dieſen Miß-
ſtänden entgegenzutreten, müſſen an Bord von in See befind-
lichen Kriegsſchiffen andere kürzere, aber dafür wirkſamere
Strafen verhängt werden, als bei der Armee, wenn die Abſicht
der Geſetzgeber erreicht werden ſoll. Aus dieſen Gründen er-
klärt es ſich, weshalb körperliche Züchtigung auf den Marinen
ſo lange beibehalten iſt. Unſere humaniſirende Zeitſtrömung er-
blickt in dieſer Strafe Verletzung des Ehrgefühls und ſie iſt
deshalb in neuerer Zeit meiſtens abgeſchafft. Darüber haben
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[238/0250] Werner gehen von der Mannſchaft ab und dieſe würde zu ſehr geſchwächt werden, da man immer auch auf Kranke zu rechnen hat. Es ver- büßen alſo höchſtens zwei ihre Strafe zugleich und die letzten beiden kommen erſt nach vierzehn Tagen an die Reihe. Dabei ſtellt ſich die Sache ſo: der Arreſtant ſitzt, ſtatt wie das Geſetz vor- ſchreibt, in einer dunklen Zelle, auf dem hellen Deck, hört alles und ſieht das Meiſte, was um ihn vorgeht, faullenzt den Tag über und ſchläft unter Deck die ganze Nacht zwiſchen den Kame- raden, die ſeine Arbeit verrichten, ihn bewachen und außerdem Nachtwache thun müſſen. Eine moraliſche Einwirkung der Arreſtſtrafe kann bei der- gleichen Subjecten wol nicht in Rede kommen, und deshalb bleibt die Thatſache beſtehen, daß ein nichtsnutziger Menſch ſich oft abſichtlich ein Vergehen zu Schulden kommen läßt, um in einen Zuſtand verſetzt zu werden, der den Namen „Strafe“ trägt, in Wirklichkeit aber ihn auf Koſten ſeiner Kameraden von der Arbeit und läſtigen Nachtwachen befreit. Die Abſicht des Geſetzgebers wird alſo nicht erreicht, wobei noch nicht einmal der Fall berückſichtigt iſt, daß die Strafvollſtreckung durch ſchlechtes Wetter drei vier Mal ja auf Wochen unterbrochen werden kann, ſo daß der Betreffende, um z. B. ſieben Tage abzuſitzen, dazu vielleicht der dreifachen Zeit bedarf. Auf großen Schiffen, wo ſich ein paar Arreſtzellen befinden, ſtellen ſich die Verhältniſſe etwas günſtiger, doch nicht viel, und um dieſen Miß- ſtänden entgegenzutreten, müſſen an Bord von in See befind- lichen Kriegsſchiffen andere kürzere, aber dafür wirkſamere Strafen verhängt werden, als bei der Armee, wenn die Abſicht der Geſetzgeber erreicht werden ſoll. Aus dieſen Gründen er- klärt es ſich, weshalb körperliche Züchtigung auf den Marinen ſo lange beibehalten iſt. Unſere humaniſirende Zeitſtrömung er- blickt in dieſer Strafe Verletzung des Ehrgefühls und ſie iſt deshalb in neuerer Zeit meiſtens abgeſchafft. Darüber haben Practiker vielfach andere Anſichten und ſind der Meinung, daß

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/250>, abgerufen am 24.11.2024.