gab nach und der alte treue Oheim, dem ich so viel verdanke, dessen Andenken ich segne, wurde ebenfalls überwunden. "Gott segne Dich und lenke Deine Schritte", das waren die letzten Worte der Mutter, als ich Abschied nahm, und damit riß ich mich vom treuesten, besten Herzen los, um fortan meinen Weg durch die fremde kalte Welt allein zu machen. Ich ging einer unbekannten Zukunft entgegen, ohne weiteren Halt, als mich selbst, der ich kaum dem Knabenalter entwachsen war.
Mein Lebensweg ist nicht leicht gewesen, oft habe ich ihn Schritt für Schritt mit großer Mühe und Noth erkämpfen müssen, aber der Mutter Segen hat auf mir geruht. Mein Vater brachte mich nach Hamburg; er hatte Empfehlungen an eine große Rhederei erhalten und schon nach wenigen Tagen war ich auf einem Ostindienfahrer untergebracht. Tags zuvor, ehe ich an Bord ging, um mich einzuschiffen, reiste mein Vater ab. Als er den Postwagen bestieg -- Eisenbahnen gab es in Deutschland damals nur wenige -- und er mir mit zitternder Stimme das letzte Lebewohl zurief, da durchzuckte mich ein tiefer Schmerz. Es war, als ob ich gewaltsam von allem, was mir lieb und theuer, losgerissen wurde; ich war wie be- täubt und hätte ausrufen mögen "Vater, nimm mich wieder mit Dir zurück!" aber ich schämte mich meiner Schwäche und winkte nur mit thränendem Auge den Abschiedsgruß. Der Postillon stieß in's Horn, der Wagen rollte über das Pflaster; dort hinter der Ecke verschwand er, ich war allein und wandte meine Schritte zu dem Gasthofe, wo wir Wohnung genommen hatten.
Dort fand ich meine inzwischen angekommene Seekiste mit der Ausstattung für die Reise vor und das gab meinen trüben Gedanken eine andere Richtung. Ich hatte nichts Eiligeres zu thun, als den neuen Seemannsanzug zu probiren und kam mir in dem dunkelblauen wollenen Hemde mit weit über die Schul- tern zurückfallendem Kragen, dem lose darumgeknüpften seidenen
Werner
gab nach und der alte treue Oheim, dem ich ſo viel verdanke, deſſen Andenken ich ſegne, wurde ebenfalls überwunden. „Gott ſegne Dich und lenke Deine Schritte“, das waren die letzten Worte der Mutter, als ich Abſchied nahm, und damit riß ich mich vom treueſten, beſten Herzen los, um fortan meinen Weg durch die fremde kalte Welt allein zu machen. Ich ging einer unbekannten Zukunft entgegen, ohne weiteren Halt, als mich ſelbſt, der ich kaum dem Knabenalter entwachſen war.
Mein Lebensweg iſt nicht leicht geweſen, oft habe ich ihn Schritt für Schritt mit großer Mühe und Noth erkämpfen müſſen, aber der Mutter Segen hat auf mir geruht. Mein Vater brachte mich nach Hamburg; er hatte Empfehlungen an eine große Rhederei erhalten und ſchon nach wenigen Tagen war ich auf einem Oſtindienfahrer untergebracht. Tags zuvor, ehe ich an Bord ging, um mich einzuſchiffen, reiſte mein Vater ab. Als er den Poſtwagen beſtieg — Eiſenbahnen gab es in Deutſchland damals nur wenige — und er mir mit zitternder Stimme das letzte Lebewohl zurief, da durchzuckte mich ein tiefer Schmerz. Es war, als ob ich gewaltſam von allem, was mir lieb und theuer, losgeriſſen wurde; ich war wie be- täubt und hätte ausrufen mögen „Vater, nimm mich wieder mit Dir zurück!“ aber ich ſchämte mich meiner Schwäche und winkte nur mit thränendem Auge den Abſchiedsgruß. Der Poſtillon ſtieß in’s Horn, der Wagen rollte über das Pflaſter; dort hinter der Ecke verſchwand er, ich war allein und wandte meine Schritte zu dem Gaſthofe, wo wir Wohnung genommen hatten.
Dort fand ich meine inzwiſchen angekommene Seekiſte mit der Ausſtattung für die Reiſe vor und das gab meinen trüben Gedanken eine andere Richtung. Ich hatte nichts Eiligeres zu thun, als den neuen Seemannsanzug zu probiren und kam mir in dem dunkelblauen wollenen Hemde mit weit über die Schul- tern zurückfallendem Kragen, dem loſe darumgeknüpften ſeidenen
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Werner
gab nach und der alte treue Oheim, dem ich ſo viel verdanke,
deſſen Andenken ich ſegne, wurde ebenfalls überwunden. „Gott
ſegne Dich und lenke Deine Schritte“, das waren die letzten
Worte der Mutter, als ich Abſchied nahm, und damit riß ich
mich vom treueſten, beſten Herzen los, um fortan meinen Weg
durch die fremde kalte Welt allein zu machen. Ich ging einer
unbekannten Zukunft entgegen, ohne weiteren Halt, als mich
ſelbſt, der ich kaum dem Knabenalter entwachſen war.
Mein Lebensweg iſt nicht leicht geweſen, oft habe ich ihn
Schritt für Schritt mit großer Mühe und Noth erkämpfen
müſſen, aber der Mutter Segen hat auf mir geruht. Mein
Vater brachte mich nach Hamburg; er hatte Empfehlungen an
eine große Rhederei erhalten und ſchon nach wenigen Tagen
war ich auf einem Oſtindienfahrer untergebracht. Tags zuvor,
ehe ich an Bord ging, um mich einzuſchiffen, reiſte mein Vater
ab. Als er den Poſtwagen beſtieg — Eiſenbahnen gab es in
Deutſchland damals nur wenige — und er mir mit zitternder
Stimme das letzte Lebewohl zurief, da durchzuckte mich ein
tiefer Schmerz. Es war, als ob ich gewaltſam von allem,
was mir lieb und theuer, losgeriſſen wurde; ich war wie be-
täubt und hätte ausrufen mögen „Vater, nimm mich wieder mit
Dir zurück!“ aber ich ſchämte mich meiner Schwäche und
winkte nur mit thränendem Auge den Abſchiedsgruß. Der
Poſtillon ſtieß in’s Horn, der Wagen rollte über das Pflaſter;
dort hinter der Ecke verſchwand er, ich war allein und wandte
meine Schritte zu dem Gaſthofe, wo wir Wohnung genommen
hatten.
Dort fand ich meine inzwiſchen angekommene Seekiſte mit
der Ausſtattung für die Reiſe vor und das gab meinen trüben
Gedanken eine andere Richtung. Ich hatte nichts Eiligeres zu
thun, als den neuen Seemannsanzug zu probiren und kam mir
in dem dunkelblauen wollenen Hemde mit weit über die Schul-
tern zurückfallendem Kragen, dem loſe darumgeknüpften ſeidenen
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/16>, abgerufen am 27.07.2024.
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