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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Eine erste Seereise
aber in seinen Grundzügen ist es dasselbe geblieben und das
Bild, welches ich von ihm zu zeichnen gedenke, wird deshalb
auch noch heute seine Geltung haben.



Mein Geburtsort ist ein kleiner Marktflecken mitten im
Lande und fast hundert Meilen von der Meeresküste entfernt.
Wie ich dort eine besondere Vorliebe für das Seeleben habe
gewinnen können, weiß ich nicht; das Flüßchen, mit dessen
Wasser ich getauft bin, kann kaum die Ursache gewesen sein,
denn es war so flach, daß nicht einmal ein Kahn auf ihm
schwimmen konnte. Da ich indessen schon als Kind oft die
Neigung zu meinem späteren Berufe ausgesprochen haben soll,
so muß sie wohl unabhängig von äußeren Einflüssen in mir
gekeimt haben. Später trugen die Seeromane von Cooper und
Marryat das Ihrige dazu bei, jene Neigung zu befestigen und
ließen in mir den unumstößlichen Entschluß reifen, zur See zu
gehen. Seine Durchführung kostete harten Kampf und ich fand
im elterlichen Hause lange Zeit keine Unterstützung meiner Ideen;
der Vater wollte zuerst durchaus nichts davon wissen und auch
der Oheim schüttelte bedenklich den Kopf. Er war ein alter
Theologe, der im elterlichen Hause eine wichtige Rolle spielte,
da der Vater, ein viel beschäftigter Beamter, ihm wesentlichen
Antheil an der Kindererziehung überließ. Doch diese Wider-
stände vermochten mich nicht von meinem Vorhaben abzubringen,
sondern bestärkten mich im Gegentheil darin. Ich setzte meine
Hoffnung auf die Mutter; sie mußte und würde helfen, sie, an
der ich mit jeder Faser meines Herzens hing, und der Vater
mußte doch zuletzt auch ein wenig Sympathie fühlen, wenn er
sah, daß Character in mir wohnte. Und es kam so, die
Mutter trat zuerst zu mir über; mit blutendem Herzen zwar
sprach sie zu meinem Gunsten, aber sie that es. Der Vater

1*

Eine erſte Seereiſe
aber in ſeinen Grundzügen iſt es daſſelbe geblieben und das
Bild, welches ich von ihm zu zeichnen gedenke, wird deshalb
auch noch heute ſeine Geltung haben.



Mein Geburtsort iſt ein kleiner Marktflecken mitten im
Lande und faſt hundert Meilen von der Meeresküſte entfernt.
Wie ich dort eine beſondere Vorliebe für das Seeleben habe
gewinnen können, weiß ich nicht; das Flüßchen, mit deſſen
Waſſer ich getauft bin, kann kaum die Urſache geweſen ſein,
denn es war ſo flach, daß nicht einmal ein Kahn auf ihm
ſchwimmen konnte. Da ich indeſſen ſchon als Kind oft die
Neigung zu meinem ſpäteren Berufe ausgeſprochen haben ſoll,
ſo muß ſie wohl unabhängig von äußeren Einflüſſen in mir
gekeimt haben. Später trugen die Seeromane von Cooper und
Marryat das Ihrige dazu bei, jene Neigung zu befeſtigen und
ließen in mir den unumſtößlichen Entſchluß reifen, zur See zu
gehen. Seine Durchführung koſtete harten Kampf und ich fand
im elterlichen Hauſe lange Zeit keine Unterſtützung meiner Ideen;
der Vater wollte zuerſt durchaus nichts davon wiſſen und auch
der Oheim ſchüttelte bedenklich den Kopf. Er war ein alter
Theologe, der im elterlichen Hauſe eine wichtige Rolle ſpielte,
da der Vater, ein viel beſchäftigter Beamter, ihm weſentlichen
Antheil an der Kindererziehung überließ. Doch dieſe Wider-
ſtände vermochten mich nicht von meinem Vorhaben abzubringen,
ſondern beſtärkten mich im Gegentheil darin. Ich ſetzte meine
Hoffnung auf die Mutter; ſie mußte und würde helfen, ſie, an
der ich mit jeder Faſer meines Herzens hing, und der Vater
mußte doch zuletzt auch ein wenig Sympathie fühlen, wenn er
ſah, daß Character in mir wohnte. Und es kam ſo, die
Mutter trat zuerſt zu mir über; mit blutendem Herzen zwar
ſprach ſie zu meinem Gunſten, aber ſie that es. Der Vater

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[3/0015] Eine erſte Seereiſe aber in ſeinen Grundzügen iſt es daſſelbe geblieben und das Bild, welches ich von ihm zu zeichnen gedenke, wird deshalb auch noch heute ſeine Geltung haben. Mein Geburtsort iſt ein kleiner Marktflecken mitten im Lande und faſt hundert Meilen von der Meeresküſte entfernt. Wie ich dort eine beſondere Vorliebe für das Seeleben habe gewinnen können, weiß ich nicht; das Flüßchen, mit deſſen Waſſer ich getauft bin, kann kaum die Urſache geweſen ſein, denn es war ſo flach, daß nicht einmal ein Kahn auf ihm ſchwimmen konnte. Da ich indeſſen ſchon als Kind oft die Neigung zu meinem ſpäteren Berufe ausgeſprochen haben ſoll, ſo muß ſie wohl unabhängig von äußeren Einflüſſen in mir gekeimt haben. Später trugen die Seeromane von Cooper und Marryat das Ihrige dazu bei, jene Neigung zu befeſtigen und ließen in mir den unumſtößlichen Entſchluß reifen, zur See zu gehen. Seine Durchführung koſtete harten Kampf und ich fand im elterlichen Hauſe lange Zeit keine Unterſtützung meiner Ideen; der Vater wollte zuerſt durchaus nichts davon wiſſen und auch der Oheim ſchüttelte bedenklich den Kopf. Er war ein alter Theologe, der im elterlichen Hauſe eine wichtige Rolle ſpielte, da der Vater, ein viel beſchäftigter Beamter, ihm weſentlichen Antheil an der Kindererziehung überließ. Doch dieſe Wider- ſtände vermochten mich nicht von meinem Vorhaben abzubringen, ſondern beſtärkten mich im Gegentheil darin. Ich ſetzte meine Hoffnung auf die Mutter; ſie mußte und würde helfen, ſie, an der ich mit jeder Faſer meines Herzens hing, und der Vater mußte doch zuletzt auch ein wenig Sympathie fühlen, wenn er ſah, daß Character in mir wohnte. Und es kam ſo, die Mutter trat zuerſt zu mir über; mit blutendem Herzen zwar ſprach ſie zu meinem Gunſten, aber ſie that es. Der Vater 1*

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/15>, abgerufen am 29.03.2024.