Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Werner
die Gestirne, wurde aber sehr enttäuscht. Auf späteren Reisen
habe ich mir oft den Spaß gemacht, nach Ankunft des Schiffes
auf der südlichen Hemisphäre, Kameraden, die noch nicht dort
gewesen, das südliche Kreuz aufsuchen zu lassen, aber keiner von
ihnen vermochte es zu finden. Wenn ich es ihnen dann zeigte,
ertönte regelmäßig ein enttäuschtes "Ach, das ist es!" und ich
hatte die Genugthuung, den poetischen Reisebeschreibern gegenüber
nicht der alleinige Prosaiker zu sein. Das Bild ist ein regel-
mäßiges aus fünf Sternen bestehendes Kreuz, aber nur einer
von ihnen ist zweiter, die übrigen sind fünfter und sech-
ster Größe -- woher sollte deshalb ein besonderer Glanz
kommen?

Einen Vorzug hat allerdings die südliche Halbkugel vor
der unseren, wenigstens in der Nähe des Caps der guten Hoff-
nung: das ist die wunderbare Klarheit und Durchsichtigkeit der
Luft. Wir haben bei hellstem Sonnenschein bis Mittags 11 Uhr
und dann wieder von zwei Uhr an öfter Planeten so deutlich
am Himmel gesehen, daß wir mit den Instrumenten ihre Höhe
messen konnten. Die Ursache dieser eigenthümlichen Erscheinung
mag darin zu suchen sein, daß es im Süden des Caps kein
Land giebt, dessen Dünste die Atmosphäre trüben.

Als wir über den vierzigsten Grad südlicher Breite hinaus-
kamen, fing die Schlecht-Wetter-Periode wieder an und wir ver-
blieben darin nicht weniger als sechs Wochen. Wir segelten
zwar immer mit günstigem Westwinde, der hier den atmosphäri-
schen Gegenstrom zum Südostpassat bildet, aber wir hatten leider
beständig mehr davon, als wir gebrauchen konnten. Selten ver-
mochten wir größere als doppelt gereefte Marssegel zu führen,
und oft wehte es so hart, daß wir tagelang vor Sturmsegeln
beigedreht liegen mußten. Für ein Schiff giebt es eine gewisse
Grenze, über die hinaus es nicht mehr segeln kann, sondern
beidrehen, d. h. unter kleinen Sturmsegeln am Winde liegen
und langsam seitwärts treiben muß. Es ist weniger die Stärke

Werner
die Geſtirne, wurde aber ſehr enttäuſcht. Auf ſpäteren Reiſen
habe ich mir oft den Spaß gemacht, nach Ankunft des Schiffes
auf der ſüdlichen Hemiſphäre, Kameraden, die noch nicht dort
geweſen, das ſüdliche Kreuz aufſuchen zu laſſen, aber keiner von
ihnen vermochte es zu finden. Wenn ich es ihnen dann zeigte,
ertönte regelmäßig ein enttäuſchtes „Ach, das iſt es!“ und ich
hatte die Genugthuung, den poetiſchen Reiſebeſchreibern gegenüber
nicht der alleinige Proſaiker zu ſein. Das Bild iſt ein regel-
mäßiges aus fünf Sternen beſtehendes Kreuz, aber nur einer
von ihnen iſt zweiter, die übrigen ſind fünfter und ſech-
ſter Größe — woher ſollte deshalb ein beſonderer Glanz
kommen?

Einen Vorzug hat allerdings die ſüdliche Halbkugel vor
der unſeren, wenigſtens in der Nähe des Caps der guten Hoff-
nung: das iſt die wunderbare Klarheit und Durchſichtigkeit der
Luft. Wir haben bei hellſtem Sonnenſchein bis Mittags 11 Uhr
und dann wieder von zwei Uhr an öfter Planeten ſo deutlich
am Himmel geſehen, daß wir mit den Inſtrumenten ihre Höhe
meſſen konnten. Die Urſache dieſer eigenthümlichen Erſcheinung
mag darin zu ſuchen ſein, daß es im Süden des Caps kein
Land giebt, deſſen Dünſte die Atmoſphäre trüben.

Als wir über den vierzigſten Grad ſüdlicher Breite hinaus-
kamen, fing die Schlecht-Wetter-Periode wieder an und wir ver-
blieben darin nicht weniger als ſechs Wochen. Wir ſegelten
zwar immer mit günſtigem Weſtwinde, der hier den atmoſphäri-
ſchen Gegenſtrom zum Südoſtpaſſat bildet, aber wir hatten leider
beſtändig mehr davon, als wir gebrauchen konnten. Selten ver-
mochten wir größere als doppelt gereefte Marsſegel zu führen,
und oft wehte es ſo hart, daß wir tagelang vor Sturmſegeln
beigedreht liegen mußten. Für ein Schiff giebt es eine gewiſſe
Grenze, über die hinaus es nicht mehr ſegeln kann, ſondern
beidrehen, d. h. unter kleinen Sturmſegeln am Winde liegen
und langſam ſeitwärts treiben muß. Es iſt weniger die Stärke

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0116" n="104"/><fw place="top" type="header">Werner</fw><lb/>
die Ge&#x017F;tirne, wurde aber &#x017F;ehr enttäu&#x017F;cht. Auf &#x017F;päteren Rei&#x017F;en<lb/>
habe ich mir oft den Spaß gemacht, nach Ankunft des Schiffes<lb/>
auf der &#x017F;üdlichen Hemi&#x017F;phäre, Kameraden, die noch nicht dort<lb/>
gewe&#x017F;en, das &#x017F;üdliche Kreuz auf&#x017F;uchen zu la&#x017F;&#x017F;en, aber keiner von<lb/>
ihnen vermochte es zu finden. Wenn ich es ihnen dann zeigte,<lb/>
ertönte regelmäßig ein enttäu&#x017F;chtes &#x201E;Ach, das i&#x017F;t es!&#x201C; und ich<lb/>
hatte die Genugthuung, den poeti&#x017F;chen Rei&#x017F;ebe&#x017F;chreibern gegenüber<lb/>
nicht der alleinige Pro&#x017F;aiker zu &#x017F;ein. Das Bild i&#x017F;t ein regel-<lb/>
mäßiges aus fünf Sternen be&#x017F;tehendes Kreuz, aber nur einer<lb/>
von ihnen i&#x017F;t zweiter, die übrigen &#x017F;ind fünfter und &#x017F;ech-<lb/>
&#x017F;ter Größe &#x2014; woher &#x017F;ollte deshalb ein be&#x017F;onderer Glanz<lb/>
kommen?</p><lb/>
        <p>Einen Vorzug hat allerdings die &#x017F;üdliche Halbkugel vor<lb/>
der un&#x017F;eren, wenig&#x017F;tens in der Nähe des Caps der guten Hoff-<lb/>
nung: das i&#x017F;t die wunderbare Klarheit und Durch&#x017F;ichtigkeit der<lb/>
Luft. Wir haben bei hell&#x017F;tem Sonnen&#x017F;chein bis Mittags 11 Uhr<lb/>
und dann wieder von zwei Uhr an öfter Planeten &#x017F;o deutlich<lb/>
am Himmel ge&#x017F;ehen, daß wir mit den In&#x017F;trumenten ihre Höhe<lb/>
me&#x017F;&#x017F;en konnten. Die Ur&#x017F;ache die&#x017F;er eigenthümlichen Er&#x017F;cheinung<lb/>
mag darin zu &#x017F;uchen &#x017F;ein, daß es im Süden des Caps kein<lb/>
Land giebt, de&#x017F;&#x017F;en Dün&#x017F;te die Atmo&#x017F;phäre trüben.</p><lb/>
        <p>Als wir über den vierzig&#x017F;ten Grad &#x017F;üdlicher Breite hinaus-<lb/>
kamen, fing die Schlecht-Wetter-Periode wieder an und wir ver-<lb/>
blieben darin nicht weniger als &#x017F;echs Wochen. Wir &#x017F;egelten<lb/>
zwar immer mit gün&#x017F;tigem We&#x017F;twinde, der hier den atmo&#x017F;phäri-<lb/>
&#x017F;chen Gegen&#x017F;trom zum Südo&#x017F;tpa&#x017F;&#x017F;at bildet, aber wir hatten leider<lb/>
be&#x017F;tändig mehr davon, als wir gebrauchen konnten. Selten ver-<lb/>
mochten wir größere als doppelt gereefte Mars&#x017F;egel zu führen,<lb/>
und oft wehte es &#x017F;o hart, daß wir tagelang vor Sturm&#x017F;egeln<lb/>
beigedreht liegen mußten. Für ein Schiff giebt es eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Grenze, über die hinaus es nicht mehr &#x017F;egeln kann, &#x017F;ondern<lb/>
beidrehen, d. h. unter kleinen Sturm&#x017F;egeln am Winde liegen<lb/>
und lang&#x017F;am &#x017F;eitwärts treiben muß. Es i&#x017F;t weniger die Stärke<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0116] Werner die Geſtirne, wurde aber ſehr enttäuſcht. Auf ſpäteren Reiſen habe ich mir oft den Spaß gemacht, nach Ankunft des Schiffes auf der ſüdlichen Hemiſphäre, Kameraden, die noch nicht dort geweſen, das ſüdliche Kreuz aufſuchen zu laſſen, aber keiner von ihnen vermochte es zu finden. Wenn ich es ihnen dann zeigte, ertönte regelmäßig ein enttäuſchtes „Ach, das iſt es!“ und ich hatte die Genugthuung, den poetiſchen Reiſebeſchreibern gegenüber nicht der alleinige Proſaiker zu ſein. Das Bild iſt ein regel- mäßiges aus fünf Sternen beſtehendes Kreuz, aber nur einer von ihnen iſt zweiter, die übrigen ſind fünfter und ſech- ſter Größe — woher ſollte deshalb ein beſonderer Glanz kommen? Einen Vorzug hat allerdings die ſüdliche Halbkugel vor der unſeren, wenigſtens in der Nähe des Caps der guten Hoff- nung: das iſt die wunderbare Klarheit und Durchſichtigkeit der Luft. Wir haben bei hellſtem Sonnenſchein bis Mittags 11 Uhr und dann wieder von zwei Uhr an öfter Planeten ſo deutlich am Himmel geſehen, daß wir mit den Inſtrumenten ihre Höhe meſſen konnten. Die Urſache dieſer eigenthümlichen Erſcheinung mag darin zu ſuchen ſein, daß es im Süden des Caps kein Land giebt, deſſen Dünſte die Atmoſphäre trüben. Als wir über den vierzigſten Grad ſüdlicher Breite hinaus- kamen, fing die Schlecht-Wetter-Periode wieder an und wir ver- blieben darin nicht weniger als ſechs Wochen. Wir ſegelten zwar immer mit günſtigem Weſtwinde, der hier den atmoſphäri- ſchen Gegenſtrom zum Südoſtpaſſat bildet, aber wir hatten leider beſtändig mehr davon, als wir gebrauchen konnten. Selten ver- mochten wir größere als doppelt gereefte Marsſegel zu führen, und oft wehte es ſo hart, daß wir tagelang vor Sturmſegeln beigedreht liegen mußten. Für ein Schiff giebt es eine gewiſſe Grenze, über die hinaus es nicht mehr ſegeln kann, ſondern beidrehen, d. h. unter kleinen Sturmſegeln am Winde liegen und langſam ſeitwärts treiben muß. Es iſt weniger die Stärke

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/116
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/116>, abgerufen am 24.11.2024.