stände der Ameisenstaat aus zusammenhängenden Individuen, ähnlich einem Polypenstock oder einer Siphonophoren- Kolonie, so würde ein Selectionsprocess, durch welchen nur die Arbeiterinnen abgeändert werden, unserer Vorstellung leichter zugänglich sein, indem diese dann, physiologisch betrachtet, nur Organe des Stockes wären, so wie die Fangfäden, die Schwimmglocken, die Magenschläuche der Siphonophoren. Wie diese sich nicht fortpflanzen und somit nur durch Selection des Eies oder Keimplasmas, aus welchem der ganze Stock abstammt, abändern können, so können auch beim Ameisenstock oder vielmehr "Staat" die unfruchtbaren Individuen oder Organe des Stockes nur durch Selection des Keimplasmas abgeändert werden, aus dem der ganze Stock hervorgegangen ist. In Bezug auf Selection verhält sich der ganze Stock wie ein einziges Individuum; der Stock wird selectirt, nicht die einzelnen Individuen, und seine Individuen-Arten verhalten sich dabei ganz wie die Theile eines einzelnen Individuums bei der gewöhnlichen Selection.
Unter diesem Gesichtspunkt wird auch ein Umstand verständlich, der sonst ganz widersinnig erscheinen müsste, nämlich die Beschränkung der fruchtbaren Weibchen eines Stockes auf eine einzige, wie dies bei der Honigbiene eingetreten ist. Wären in einem Stock zu gleicher Zeit viele Weibchen mit Eierlegen be- schäftigt, so würde eine Naturauslese derselben nach der Güte der von ihnen hervorgebrachten Arbeiterbrut viel schwieriger und langsamer stattfinden, weil dann das Ge- deihen des Stockes von vielen verschieden beanlagten Arbeiterinnen abhinge, so dass also gewissermaassen nur die Resultirende aus den Producten aller dieser Weibchen selectirt würde. Eine Königin würde deshalb, weil sie
stände der Ameisenstaat aus zusammenhängenden Individuen, ähnlich einem Polypenstock oder einer Siphonophoren- Kolonie, so würde ein Selectionsprocess, durch welchen nur die Arbeiterinnen abgeändert werden, unserer Vorstellung leichter zugänglich sein, indem diese dann, physiologisch betrachtet, nur Organe des Stockes wären, so wie die Fangfäden, die Schwimmglocken, die Magenschläuche der Siphonophoren. Wie diese sich nicht fortpflanzen und somit nur durch Selection des Eies oder Keimplasmas, aus welchem der ganze Stock abstammt, abändern können, so können auch beim Ameisenstock oder vielmehr „Staat“ die unfruchtbaren Individuen oder Organe des Stockes nur durch Selection des Keimplasmas abgeändert werden, aus dem der ganze Stock hervorgegangen ist. In Bezug auf Selection verhält sich der ganze Stock wie ein einziges Individuum; der Stock wird selectirt, nicht die einzelnen Individuen, und seine Individuen-Arten verhalten sich dabei ganz wie die Theile eines einzelnen Individuums bei der gewöhnlichen Selection.
Unter diesem Gesichtspunkt wird auch ein Umstand verständlich, der sonst ganz widersinnig erscheinen müsste, nämlich die Beschränkung der fruchtbaren Weibchen eines Stockes auf eine einzige, wie dies bei der Honigbiene eingetreten ist. Wären in einem Stock zu gleicher Zeit viele Weibchen mit Eierlegen be- schäftigt, so würde eine Naturauslese derselben nach der Güte der von ihnen hervorgebrachten Arbeiterbrut viel schwieriger und langsamer stattfinden, weil dann das Ge- deihen des Stockes von vielen verschieden beanlagten Arbeiterinnen abhinge, so dass also gewissermaassen nur die Resultirende aus den Producten aller dieser Weibchen selectirt würde. Eine Königin würde deshalb, weil sie
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stände der Ameisenstaat aus zusammenhängenden Individuen,
ähnlich einem Polypenstock oder einer Siphonophoren-
Kolonie, so würde ein Selectionsprocess, durch welchen nur
die Arbeiterinnen abgeändert werden, unserer Vorstellung
leichter zugänglich sein, indem diese dann, physiologisch
betrachtet, nur Organe des Stockes wären, so wie die
Fangfäden, die Schwimmglocken, die Magenschläuche der
Siphonophoren. Wie diese sich nicht fortpflanzen und somit
nur durch Selection des Eies oder Keimplasmas, aus welchem
der ganze Stock abstammt, abändern können, so können auch
beim Ameisenstock oder vielmehr „Staat“ die unfruchtbaren
Individuen oder Organe des Stockes nur durch Selection
des Keimplasmas abgeändert werden, aus dem der ganze
Stock hervorgegangen ist. In Bezug auf Selection verhält
sich der ganze Stock wie ein einziges Individuum; der Stock
wird selectirt, nicht die einzelnen Individuen, und seine
Individuen-Arten verhalten sich dabei ganz wie die Theile
eines einzelnen Individuums bei der gewöhnlichen Selection.
Unter diesem Gesichtspunkt wird auch ein Umstand
verständlich, der sonst ganz widersinnig erscheinen müsste,
nämlich die Beschränkung der fruchtbaren
Weibchen eines Stockes auf eine einzige, wie
dies bei der Honigbiene eingetreten ist. Wären in einem
Stock zu gleicher Zeit viele Weibchen mit Eierlegen be-
schäftigt, so würde eine Naturauslese derselben nach der
Güte der von ihnen hervorgebrachten Arbeiterbrut viel
schwieriger und langsamer stattfinden, weil dann das Ge-
deihen des Stockes von vielen verschieden beanlagten
Arbeiterinnen abhinge, so dass also gewissermaassen nur
die Resultirende aus den Producten aller dieser Weibchen
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Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/52>, abgerufen am 16.02.2025.
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