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Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893.

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und Wespen, haben an dem unteren Ende der Tibia ihrer
Vorderbeine einen spornartigen, etwas beweglichen Fortsatz,
dem gegenüber der Metatarsus einen kleinen, fast halbkreis-
förmigen, mit einem Kamm kleiner Zähnchen besetzten
Ausschnitt trägt. Diese "Putzscharten" dienen zum
Reinigen der Fühler, indem der zu reinigende Theil zwischen
den zwei Armen einer Scheere durchgezogen wird. Be-
sonders F. Dahl 1) hat diese interessanten und sehr zier-
lichen Einrichtungen bei vielen Insecten untersucht und
abgebildet, und etwas früher schon Canestrini und
Berlese 2). Diese Scharten nun bilden eine plötzliche
und recht auffällige Unterbrechung der Fläche des Beins;
bei einer kleinen Biene, Nomada, hat es ganz den Anschein,
als habe man mit dem Locheisen ein halbkreisförmiges Stück
aus dem Glied herausgeschlagen, so plötzlich und regel-
mässig ist die Scharte. Man könnte sich vorstellen, das
Insect habe durch das immer wieder von Neuem geübte
Durchziehen des Fühlers zwischen Sporn und Tarsus all-
mälig diese halbkreisförmige Scharte hineingewetzt. Das
würde aber die Vererbung erworbener Eigenschaften vor-
aussetzen, und diese ist hier dadurch ausgeschlossen, dass
die Functionirung des Hautskelettes eine rein passive ist.
Die Insecten bringen ihre Beine fertig aus der Puppe mit,
machen später keine Häutung mehr durch, und von
einer functionellen Abänderung des Chitin-
skelettes kann keine Rede sein
. Dasselbe ist nicht
mehr ein lebendiger Theil des Thieres, sondern eine Ab-

1) F. Dahl, "Beiträge zur Kenntniss des Baues und der
Functionen der Insectenbeine", Berlin 1884.
2) Canestrini u. Berlese, "La streggia degli Ime-
notteri", Padova 1880.

und Wespen, haben an dem unteren Ende der Tibia ihrer
Vorderbeine einen spornartigen, etwas beweglichen Fortsatz,
dem gegenüber der Metatarsus einen kleinen, fast halbkreis-
förmigen, mit einem Kamm kleiner Zähnchen besetzten
Ausschnitt trägt. Diese „Putzscharten“ dienen zum
Reinigen der Fühler, indem der zu reinigende Theil zwischen
den zwei Armen einer Scheere durchgezogen wird. Be-
sonders F. Dahl 1) hat diese interessanten und sehr zier-
lichen Einrichtungen bei vielen Insecten untersucht und
abgebildet, und etwas früher schon Canestrini und
Berlese 2). Diese Scharten nun bilden eine plötzliche
und recht auffällige Unterbrechung der Fläche des Beins;
bei einer kleinen Biene, Nomada, hat es ganz den Anschein,
als habe man mit dem Locheisen ein halbkreisförmiges Stück
aus dem Glied herausgeschlagen, so plötzlich und regel-
mässig ist die Scharte. Man könnte sich vorstellen, das
Insect habe durch das immer wieder von Neuem geübte
Durchziehen des Fühlers zwischen Sporn und Tarsus all-
mälig diese halbkreisförmige Scharte hineingewetzt. Das
würde aber die Vererbung erworbener Eigenschaften vor-
aussetzen, und diese ist hier dadurch ausgeschlossen, dass
die Functionirung des Hautskelettes eine rein passive ist.
Die Insecten bringen ihre Beine fertig aus der Puppe mit,
machen später keine Häutung mehr durch, und von
einer functionellen Abänderung des Chitin-
skelettes kann keine Rede sein
. Dasselbe ist nicht
mehr ein lebendiger Theil des Thieres, sondern eine Ab-

1) F. Dahl, „Beiträge zur Kenntniss des Baues und der
Functionen der Insectenbeine“, Berlin 1884.
2) Canestrini u. Berlese, „La streggia degli Ime-
notteri“, Padova 1880.
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[30/0042] und Wespen, haben an dem unteren Ende der Tibia ihrer Vorderbeine einen spornartigen, etwas beweglichen Fortsatz, dem gegenüber der Metatarsus einen kleinen, fast halbkreis- förmigen, mit einem Kamm kleiner Zähnchen besetzten Ausschnitt trägt. Diese „Putzscharten“ dienen zum Reinigen der Fühler, indem der zu reinigende Theil zwischen den zwei Armen einer Scheere durchgezogen wird. Be- sonders F. Dahl 1) hat diese interessanten und sehr zier- lichen Einrichtungen bei vielen Insecten untersucht und abgebildet, und etwas früher schon Canestrini und Berlese 2). Diese Scharten nun bilden eine plötzliche und recht auffällige Unterbrechung der Fläche des Beins; bei einer kleinen Biene, Nomada, hat es ganz den Anschein, als habe man mit dem Locheisen ein halbkreisförmiges Stück aus dem Glied herausgeschlagen, so plötzlich und regel- mässig ist die Scharte. Man könnte sich vorstellen, das Insect habe durch das immer wieder von Neuem geübte Durchziehen des Fühlers zwischen Sporn und Tarsus all- mälig diese halbkreisförmige Scharte hineingewetzt. Das würde aber die Vererbung erworbener Eigenschaften vor- aussetzen, und diese ist hier dadurch ausgeschlossen, dass die Functionirung des Hautskelettes eine rein passive ist. Die Insecten bringen ihre Beine fertig aus der Puppe mit, machen später keine Häutung mehr durch, und von einer functionellen Abänderung des Chitin- skelettes kann keine Rede sein. Dasselbe ist nicht mehr ein lebendiger Theil des Thieres, sondern eine Ab- 1) F. Dahl, „Beiträge zur Kenntniss des Baues und der Functionen der Insectenbeine“, Berlin 1884. 2) Canestrini u. Berlese, „La streggia degli Ime- notteri“, Padova 1880.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/42>, abgerufen am 29.03.2024.