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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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dass ein und dieselben Determinanten, z. B. der Ovarialröhren,
so eingerichtet wären, dass bei reichlicher Ernährung alle in
Thätigkeit geriethen und die Bildung der Eiröhren veranlassten,
dass bei schwächerer Ernährung aber ein Theil derselben nicht
zur Entwickelung gelangte und so die volle Ausbildung der
Geschlechtsorgane verhinderte. Wir wissen ja, dass ein und
dasselbe befruchtete Ei zur Königin oder zur Arbeiterin sich
entwickelt, je nachdem die daraus ausschlüpfende Larve mit
Königinfutter oder mit dem weniger nahrhaften Arbeiterinnen-
futter genährt wird.

Aber wenn auch diese Erklärung für die rückgebildeten
Theile der Arbeiterinnen richtig sein mag, so reicht sie doch
zur Erklärung der anderen Verschiedenheiten zwischen den beiden
Weibchenformen nicht aus. Denn die Arbeiterinnen haben nicht
überall ein Minus, sondern mehrfach auch ein Plus gegenüber
der Königin. So ist schon der Stachel der Arbeiterinnen gerader,
länger und stärker und mit mehr Zähnen versehen, als bei der
Königin; ferner sind die Flügel länger, und vor Allem das erste
Tarsalglied der Hinterbeine mit der bekannten Haarbürste aus-
gerüstet, die Schiene aber mit jener Dolle, dem sog. Körbchen
zum Transport der gesammelten Pollenmassen. Diese beiden
charakteristischen Theile fehlen der Königin. Abgesehen davon
müssen auch noch intime Verschiedenheiten im feinsten Bau
des Gehirns vorhanden sein, da die Instinkte der Königin und
die der Arbeiterinnen recht verschieden sind. Die Königin voll-
zieht die Begattung und legt Eier, aber sie sammelt weder
Honig aus den Blumen, noch scheidet sie Wachs aus, noch
macht sie Wachszellen u. s. w. Es ist deshalb nicht denkbar,
dass Königin und Arbeiterin durchweg von den gleichen De-
terminanten aufgebaut werden; es müssen für gewisse Körper-
regionen Doppeldeterminanten im Keimplasma vorhanden sein,
königliche und arbeiterliche. Da aber schon zur Bildung von

dass ein und dieselben Determinanten, z. B. der Ovarialröhren,
so eingerichtet wären, dass bei reichlicher Ernährung alle in
Thätigkeit geriethen und die Bildung der Eiröhren veranlassten,
dass bei schwächerer Ernährung aber ein Theil derselben nicht
zur Entwickelung gelangte und so die volle Ausbildung der
Geschlechtsorgane verhinderte. Wir wissen ja, dass ein und
dasselbe befruchtete Ei zur Königin oder zur Arbeiterin sich
entwickelt, je nachdem die daraus ausschlüpfende Larve mit
Königinfutter oder mit dem weniger nahrhaften Arbeiterinnen-
futter genährt wird.

Aber wenn auch diese Erklärung für die rückgebildeten
Theile der Arbeiterinnen richtig sein mag, so reicht sie doch
zur Erklärung der anderen Verschiedenheiten zwischen den beiden
Weibchenformen nicht aus. Denn die Arbeiterinnen haben nicht
überall ein Minus, sondern mehrfach auch ein Plus gegenüber
der Königin. So ist schon der Stachel der Arbeiterinnen gerader,
länger und stärker und mit mehr Zähnen versehen, als bei der
Königin; ferner sind die Flügel länger, und vor Allem das erste
Tarsalglied der Hinterbeine mit der bekannten Haarbürste aus-
gerüstet, die Schiene aber mit jener Dolle, dem sog. Körbchen
zum Transport der gesammelten Pollenmassen. Diese beiden
charakteristischen Theile fehlen der Königin. Abgesehen davon
müssen auch noch intime Verschiedenheiten im feinsten Bau
des Gehirns vorhanden sein, da die Instinkte der Königin und
die der Arbeiterinnen recht verschieden sind. Die Königin voll-
zieht die Begattung und legt Eier, aber sie sammelt weder
Honig aus den Blumen, noch scheidet sie Wachs aus, noch
macht sie Wachszellen u. s. w. Es ist deshalb nicht denkbar,
dass Königin und Arbeiterin durchweg von den gleichen De-
terminanten aufgebaut werden; es müssen für gewisse Körper-
regionen Doppeldeterminanten im Keimplasma vorhanden sein,
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[495/0519] dass ein und dieselben Determinanten, z. B. der Ovarialröhren, so eingerichtet wären, dass bei reichlicher Ernährung alle in Thätigkeit geriethen und die Bildung der Eiröhren veranlassten, dass bei schwächerer Ernährung aber ein Theil derselben nicht zur Entwickelung gelangte und so die volle Ausbildung der Geschlechtsorgane verhinderte. Wir wissen ja, dass ein und dasselbe befruchtete Ei zur Königin oder zur Arbeiterin sich entwickelt, je nachdem die daraus ausschlüpfende Larve mit Königinfutter oder mit dem weniger nahrhaften Arbeiterinnen- futter genährt wird. Aber wenn auch diese Erklärung für die rückgebildeten Theile der Arbeiterinnen richtig sein mag, so reicht sie doch zur Erklärung der anderen Verschiedenheiten zwischen den beiden Weibchenformen nicht aus. Denn die Arbeiterinnen haben nicht überall ein Minus, sondern mehrfach auch ein Plus gegenüber der Königin. So ist schon der Stachel der Arbeiterinnen gerader, länger und stärker und mit mehr Zähnen versehen, als bei der Königin; ferner sind die Flügel länger, und vor Allem das erste Tarsalglied der Hinterbeine mit der bekannten Haarbürste aus- gerüstet, die Schiene aber mit jener Dolle, dem sog. Körbchen zum Transport der gesammelten Pollenmassen. Diese beiden charakteristischen Theile fehlen der Königin. Abgesehen davon müssen auch noch intime Verschiedenheiten im feinsten Bau des Gehirns vorhanden sein, da die Instinkte der Königin und die der Arbeiterinnen recht verschieden sind. Die Königin voll- zieht die Begattung und legt Eier, aber sie sammelt weder Honig aus den Blumen, noch scheidet sie Wachs aus, noch macht sie Wachszellen u. s. w. Es ist deshalb nicht denkbar, dass Königin und Arbeiterin durchweg von den gleichen De- terminanten aufgebaut werden; es müssen für gewisse Körper- regionen Doppeldeterminanten im Keimplasma vorhanden sein, königliche und arbeiterliche. Da aber schon zur Bildung von

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/519>, abgerufen am 22.11.2024.