Im Thierreich verhält sich die Gruppe der Polypenstöcke ähnlich. Auch bei ihnen sind überall im Stock Zellen ver- breitet, die zwar wie gewöhnliche somatische Zellen aussehen und funktioniren, die aber unter gewissen Umständen, nach Ver- letzungen des Stockes u. s. w., zur Bildung neuer Personen schreiten können. Als ich einst einen Stock von Tubularia mesembryanthemum aus Marseille lebend mit nach Freiburg gebracht hatte, starben die Polypenköpfchen schon nach einer Woche etwa einer nach dem andern ab, wohl aus Nahrungs- mangel, allein wenige Tage später hatten sich an allen Stielen neue, freilich sehr kleine Köpfchen gebildet, die ohne Zweifel herangewachsen wären, wenn ich sie hätte ernähren können. Diese Regenerationsfähigkeit ist vorgesehen, wenigstens finde ich in einer vor Kurzem erschienenen Schrift von Loeb1) an- gegeben, dass ein solches Abfallen der Köpfchen und Neubildung derselben von Zeit zu Zeit regelmässig stattfinde. Derselbe Autor zeigte auch durch den Versuch, dass an beliebigen Stellen des Stammes, sowohl am Kopf- als am Wurzelende desselben, Köpfchen hervorsprossen können unter günstigen Bedingungen. Dagegen gelang es nie, das apicale Ende des Stämmches zur Wurzelbildung zu bringen.
Dass Letzteres nicht gelingt, wird Niemand in Erstaunen setzen, der mit mir alle diese Knospungs- und Regenerations- Vorgänge als Anpassungen auffasst. Das apicale Ende eines Stammes wird in natürlichen Verhältnissen kaum je in die Lage kommen, Wurzel treiben zu müssen, da es nicht ver- kehrt herum in den Sand zu liegen kommt, es liegen deshalb dort keine Zellen mit "Wurzel-Idioplasma". Umgekehrt aber begreift man leicht, weshalb diese Polypen mit einem so hohen Knospungsvermögen ausgestattet sind, wenn man einmal gesehen
1)Jacques Loeb, "Untersuchungen zur physiologischen Morpho- logie der Thiere". I. "Über Heteromorphose." Würzburg 1891.
Im Thierreich verhält sich die Gruppe der Polypenstöcke ähnlich. Auch bei ihnen sind überall im Stock Zellen ver- breitet, die zwar wie gewöhnliche somatische Zellen aussehen und funktioniren, die aber unter gewissen Umständen, nach Ver- letzungen des Stockes u. s. w., zur Bildung neuer Personen schreiten können. Als ich einst einen Stock von Tubularia mesembryanthemum aus Marseille lebend mit nach Freiburg gebracht hatte, starben die Polypenköpfchen schon nach einer Woche etwa einer nach dem andern ab, wohl aus Nahrungs- mangel, allein wenige Tage später hatten sich an allen Stielen neue, freilich sehr kleine Köpfchen gebildet, die ohne Zweifel herangewachsen wären, wenn ich sie hätte ernähren können. Diese Regenerationsfähigkeit ist vorgesehen, wenigstens finde ich in einer vor Kurzem erschienenen Schrift von Loeb1) an- gegeben, dass ein solches Abfallen der Köpfchen und Neubildung derselben von Zeit zu Zeit regelmässig stattfinde. Derselbe Autor zeigte auch durch den Versuch, dass an beliebigen Stellen des Stammes, sowohl am Kopf- als am Wurzelende desselben, Köpfchen hervorsprossen können unter günstigen Bedingungen. Dagegen gelang es nie, das apicale Ende des Stämmches zur Wurzelbildung zu bringen.
Dass Letzteres nicht gelingt, wird Niemand in Erstaunen setzen, der mit mir alle diese Knospungs- und Regenerations- Vorgänge als Anpassungen auffasst. Das apicale Ende eines Stammes wird in natürlichen Verhältnissen kaum je in die Lage kommen, Wurzel treiben zu müssen, da es nicht ver- kehrt herum in den Sand zu liegen kommt, es liegen deshalb dort keine Zellen mit „Wurzel-Idioplasma“. Umgekehrt aber begreift man leicht, weshalb diese Polypen mit einem so hohen Knospungsvermögen ausgestattet sind, wenn man einmal gesehen
1)Jacques Loeb, „Untersuchungen zur physiologischen Morpho- logie der Thiere“. I. „Über Heteromorphose.“ Würzburg 1891.
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Im Thierreich verhält sich die Gruppe der Polypenstöcke
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breitet, die zwar wie gewöhnliche somatische Zellen aussehen
und funktioniren, die aber unter gewissen Umständen, nach Ver-
letzungen des Stockes u. s. w., zur Bildung neuer Personen
schreiten können. Als ich einst einen Stock von Tubularia
mesembryanthemum aus Marseille lebend mit nach Freiburg
gebracht hatte, starben die Polypenköpfchen schon nach einer
Woche etwa einer nach dem andern ab, wohl aus Nahrungs-
mangel, allein wenige Tage später hatten sich an allen Stielen
neue, freilich sehr kleine Köpfchen gebildet, die ohne Zweifel
herangewachsen wären, wenn ich sie hätte ernähren können.
Diese Regenerationsfähigkeit ist vorgesehen, wenigstens finde
ich in einer vor Kurzem erschienenen Schrift von Loeb 1) an-
gegeben, dass ein solches Abfallen der Köpfchen und Neubildung
derselben von Zeit zu Zeit regelmässig stattfinde. Derselbe
Autor zeigte auch durch den Versuch, dass an beliebigen Stellen
des Stammes, sowohl am Kopf- als am Wurzelende desselben,
Köpfchen hervorsprossen können unter günstigen Bedingungen.
Dagegen gelang es nie, das apicale Ende des Stämmches zur
Wurzelbildung zu bringen.
Dass Letzteres nicht gelingt, wird Niemand in Erstaunen
setzen, der mit mir alle diese Knospungs- und Regenerations-
Vorgänge als Anpassungen auffasst. Das apicale Ende eines
Stammes wird in natürlichen Verhältnissen kaum je in die
Lage kommen, Wurzel treiben zu müssen, da es nicht ver-
kehrt herum in den Sand zu liegen kommt, es liegen deshalb
dort keine Zellen mit „Wurzel-Idioplasma“. Umgekehrt aber
begreift man leicht, weshalb diese Polypen mit einem so hohen
Knospungsvermögen ausgestattet sind, wenn man einmal gesehen
1) Jacques Loeb, „Untersuchungen zur physiologischen Morpho-
logie der Thiere“. I. „Über Heteromorphose.“ Würzburg 1891.
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/309>, abgerufen am 22.11.2024.
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