die abgeschnitten wurden. Man könnte hierauf etwa erwidern, dass die Farne schon zu hoch differenzirte Somazellen besässen, allein dem widerspricht die Erfahrung, welche lehrt, dass viele, aber keineswegs alle Farn Brutknospen auf den Wedeln hervor- bringen können. Warum bei diesen diese Einrichtung getroffen wurde, darf ich wohl den Botanikern zu erklären überlassen, wenn man mir aber entgegenhalten wollte, ob denn die Fähig- keit, aus Somazellen ganze Pflanzen hervorgehen zu lassen, den übrigen Farnen nicht auch nützlich gewesen, also auch bei ihnen zu erwarten wäre, so möchte ich darauf antworten, dass alle das Vermögen haben, abgeschnittene Wedel durch neue zu er- setzen, aber nicht durch Regeneration des abgeschnittenen Blattes, sondern durch Knospung aus dem Stamm. Das genügt, um die Pflanze zu ergänzen, wenn sie verletzt wurde.
Und damit komme ich zu den Verhältnissen bei den Phanerogamen. Auch hier entbehren die Blätter in der Regel die "Nebenkeimbahnen", d. h. ihre Zellen haben nicht die Fähigkeit, Knospen zu produciren, ja nicht einmal die Fähig- keit, sich selbst wieder zu ergänzen, wenn ihnen ein Stück ab- geschnitten wurde. Dagegen aber haben die Sprossachsen diese Fähigkeit meist oder immer in hohem Maasse, und sie beruht auf der Anwesenheit der Cambialzellen, welche, wie es scheint, alle die Fähigkeit besitzen, neue Vegetationspunkte und damit den Aus- gangspunkt für einen neuen Spross sammt Blättern und Blüthen, also Keimzellen zu bilden. Die Regenerationskraft der Blätter ist in der Regel überflüssig, weil der Pflanzen- stock in seiner Cambialschicht eine unerschöpfliche Quelle für die Entstehung neuer Personen in sich trägt; dies ist ein wirksameres Mittel des Wiederersatzes, als es die Ergänzung von Defecten an den Blättern sein würde. Die Fähigkeit der Blätter aber, Adventivknospen zu treiben, wird wohl in den meisten Fällen durch die Massenhaftigkeit und sichere Verbreitung der Samen unnöthig.
die abgeschnitten wurden. Man könnte hierauf etwa erwidern, dass die Farne schon zu hoch differenzirte Somazellen besässen, allein dem widerspricht die Erfahrung, welche lehrt, dass viele, aber keineswegs alle Farn Brutknospen auf den Wedeln hervor- bringen können. Warum bei diesen diese Einrichtung getroffen wurde, darf ich wohl den Botanikern zu erklären überlassen, wenn man mir aber entgegenhalten wollte, ob denn die Fähig- keit, aus Somazellen ganze Pflanzen hervorgehen zu lassen, den übrigen Farnen nicht auch nützlich gewesen, also auch bei ihnen zu erwarten wäre, so möchte ich darauf antworten, dass alle das Vermögen haben, abgeschnittene Wedel durch neue zu er- setzen, aber nicht durch Regeneration des abgeschnittenen Blattes, sondern durch Knospung aus dem Stamm. Das genügt, um die Pflanze zu ergänzen, wenn sie verletzt wurde.
Und damit komme ich zu den Verhältnissen bei den Phanerogamen. Auch hier entbehren die Blätter in der Regel die „Nebenkeimbahnen“, d. h. ihre Zellen haben nicht die Fähigkeit, Knospen zu produciren, ja nicht einmal die Fähig- keit, sich selbst wieder zu ergänzen, wenn ihnen ein Stück ab- geschnitten wurde. Dagegen aber haben die Sprossachsen diese Fähigkeit meist oder immer in hohem Maasse, und sie beruht auf der Anwesenheit der Cambialzellen, welche, wie es scheint, alle die Fähigkeit besitzen, neue Vegetationspunkte und damit den Aus- gangspunkt für einen neuen Spross sammt Blättern und Blüthen, also Keimzellen zu bilden. Die Regenerationskraft der Blätter ist in der Regel überflüssig, weil der Pflanzen- stock in seiner Cambialschicht eine unerschöpfliche Quelle für die Entstehung neuer Personen in sich trägt; dies ist ein wirksameres Mittel des Wiederersatzes, als es die Ergänzung von Defecten an den Blättern sein würde. Die Fähigkeit der Blätter aber, Adventivknospen zu treiben, wird wohl in den meisten Fällen durch die Massenhaftigkeit und sichere Verbreitung der Samen unnöthig.
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die abgeschnitten wurden. Man könnte hierauf etwa erwidern,
dass die Farne schon zu hoch differenzirte Somazellen besässen,
allein dem widerspricht die Erfahrung, welche lehrt, dass viele,
aber keineswegs alle Farn Brutknospen auf den Wedeln hervor-
bringen können. Warum bei diesen diese Einrichtung getroffen
wurde, darf ich wohl den Botanikern zu erklären überlassen,
wenn man mir aber entgegenhalten wollte, ob denn die Fähig-
keit, aus Somazellen ganze Pflanzen hervorgehen zu lassen, den
übrigen Farnen nicht auch nützlich gewesen, also auch bei ihnen
zu erwarten wäre, so möchte ich darauf antworten, dass alle
das Vermögen haben, abgeschnittene Wedel durch neue zu er-
setzen, aber nicht durch Regeneration des abgeschnittenen Blattes,
sondern durch Knospung aus dem Stamm. Das genügt, um die
Pflanze zu ergänzen, wenn sie verletzt wurde.
Und damit komme ich zu den Verhältnissen bei den
Phanerogamen. Auch hier entbehren die Blätter in der
Regel die „Nebenkeimbahnen“, d. h. ihre Zellen haben nicht
die Fähigkeit, Knospen zu produciren, ja nicht einmal die Fähig-
keit, sich selbst wieder zu ergänzen, wenn ihnen ein Stück ab-
geschnitten wurde. Dagegen aber haben die Sprossachsen diese
Fähigkeit meist oder immer in hohem Maasse, und sie beruht auf
der Anwesenheit der Cambialzellen, welche, wie es scheint, alle die
Fähigkeit besitzen, neue Vegetationspunkte und damit den Aus-
gangspunkt für einen neuen Spross sammt Blättern und Blüthen,
also Keimzellen zu bilden. Die Regenerationskraft der
Blätter ist in der Regel überflüssig, weil der Pflanzen-
stock in seiner Cambialschicht eine unerschöpfliche
Quelle für die Entstehung neuer Personen in sich
trägt; dies ist ein wirksameres Mittel des Wiederersatzes, als
es die Ergänzung von Defecten an den Blättern sein würde.
Die Fähigkeit der Blätter aber, Adventivknospen zu treiben,
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/308>, abgerufen am 22.11.2024.
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