Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

beiden ersten Furchungszellen und beobachtete danach, dass
die andere sich weiter entwickelte, und zwar nicht zu einem
halben Embryo, wie beim Frosch, sondern zu einem ganzen
von halber Grösse. Allerdings war ein solcher Embryo nicht
ganz vollständig, doch fehlten ihm nur Organe von geringerer
Bedeutung. Chabry selbst hat aus diesen Beobachtungen keine
theoretischen Folgerungen gezogen, wohl aber sein Nachfolger
auf diesem Gebiet, H. Driesch1), der an Seeigeleiern ähnliche
Resultate erhielt. Durch anhaltendes Schütteln konnte dieser
Experimentator die zwei ersten Furchungszellen mechanisch von
einander trennen und sah dann, dass jede derselben zunächst
sich weiter theilte, als ob das Ei noch ganz wäre, dass später
aber die aus der Furchung hervorgehende halbe Blastula sich
zu einer ganzen vervollständigte. An einigen solchen Halb-
Blastulen ging die Entwickelung noch weiter, es entstand die
Gastrula-Einstülpung, der Urdarm bildete sich aus, und es kam
bis zur Anlage einer zwar kleinen, aber sonst normalen Pluteus-
Larve.

"Es ist also durch diese Versuche dargethan, dass unter
Umständen jede der beiden ersten Furchungszellen des Echinus
microtuberculatus eine normal gebildete, der Form nach ganze
Larve aus sich hervorgehen lassen kann, eine Theilbildung,
keine Halbbildung"; in diesen Worten fasst der Verfasser
seine Resultate zusammen und zieht daraus den Schluss, dass
diese der "Lehre von den organbildenden Keimbezirken in funda-
mentaler Weise widerspreche". Er schliesst sich dem Ausspruch
von Hallez2) an, der sagte: "il n'est pas des lors permis de
croire que chaque sphere de segmentation doit occuper une
dlace et jouer un role, qui lui sont assignes a l'avance".

1) H. Driesch, "Entwickelungsmechanische Studien". Leipzig 1891.
Zeitschr. f. wiss. Zoologie Bd. 53.
2) Hallez, "Recherches sur l'embryologie des Nematodes". Paris 1885.

beiden ersten Furchungszellen und beobachtete danach, dass
die andere sich weiter entwickelte, und zwar nicht zu einem
halben Embryo, wie beim Frosch, sondern zu einem ganzen
von halber Grösse. Allerdings war ein solcher Embryo nicht
ganz vollständig, doch fehlten ihm nur Organe von geringerer
Bedeutung. Chabry selbst hat aus diesen Beobachtungen keine
theoretischen Folgerungen gezogen, wohl aber sein Nachfolger
auf diesem Gebiet, H. Driesch1), der an Seeigeleiern ähnliche
Resultate erhielt. Durch anhaltendes Schütteln konnte dieser
Experimentator die zwei ersten Furchungszellen mechanisch von
einander trennen und sah dann, dass jede derselben zunächst
sich weiter theilte, als ob das Ei noch ganz wäre, dass später
aber die aus der Furchung hervorgehende halbe Blastula sich
zu einer ganzen vervollständigte. An einigen solchen Halb-
Blastulen ging die Entwickelung noch weiter, es entstand die
Gastrula-Einstülpung, der Urdarm bildete sich aus, und es kam
bis zur Anlage einer zwar kleinen, aber sonst normalen Pluteus-
Larve.

„Es ist also durch diese Versuche dargethan, dass unter
Umständen jede der beiden ersten Furchungszellen des Echinus
microtuberculatus eine normal gebildete, der Form nach ganze
Larve aus sich hervorgehen lassen kann, eine Theilbildung,
keine Halbbildung“; in diesen Worten fasst der Verfasser
seine Resultate zusammen und zieht daraus den Schluss, dass
diese der „Lehre von den organbildenden Keimbezirken in funda-
mentaler Weise widerspreche“. Er schliesst sich dem Ausspruch
von Hallez2) an, der sagte: „il n’est pas dès lors permis de
croire que chaque sphère de segmentation doit occuper une
dlace et jouer un rôle, qui lui sont assignés à l’avance“.

1) H. Driesch, „Entwickelungsmechanische Studien“. Leipzig 1891.
Zeitschr. f. wiss. Zoologie Bd. 53.
2) Hallez, „Recherches sur l’embryologie des Nématodes“. Paris 1885.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0207" n="183"/>
beiden ersten Furchungszellen und beobachtete danach, dass<lb/>
die andere sich weiter entwickelte, und zwar nicht zu einem<lb/><hi rendition="#g">halben</hi> Embryo, wie beim Frosch, sondern zu einem <hi rendition="#g">ganzen</hi><lb/>
von halber Grösse. Allerdings war ein solcher Embryo nicht<lb/>
ganz vollständig, doch fehlten ihm nur Organe von geringerer<lb/>
Bedeutung. <hi rendition="#g">Chabry</hi> selbst hat aus diesen Beobachtungen keine<lb/>
theoretischen Folgerungen gezogen, wohl aber sein Nachfolger<lb/>
auf diesem Gebiet, H. <hi rendition="#g">Driesch</hi><note place="foot" n="1)">H. <hi rendition="#g">Driesch</hi>, &#x201E;Entwickelungsmechanische Studien&#x201C;. Leipzig 1891.<lb/>
Zeitschr. f. wiss. Zoologie Bd. 53.</note>, der an Seeigeleiern ähnliche<lb/>
Resultate erhielt. Durch anhaltendes Schütteln konnte dieser<lb/>
Experimentator die zwei ersten Furchungszellen mechanisch von<lb/>
einander trennen und sah dann, dass jede derselben zunächst<lb/>
sich weiter theilte, als ob das Ei noch ganz wäre, dass später<lb/>
aber die aus der Furchung hervorgehende <hi rendition="#g">halbe</hi> Blastula sich<lb/>
zu einer ganzen vervollständigte. An einigen solchen Halb-<lb/>
Blastulen ging die Entwickelung noch weiter, es entstand die<lb/>
Gastrula-Einstülpung, der Urdarm bildete sich aus, und es kam<lb/>
bis zur Anlage einer zwar kleinen, aber sonst normalen Pluteus-<lb/>
Larve.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Es ist also durch diese Versuche dargethan, dass unter<lb/>
Umständen jede der beiden ersten Furchungszellen des Echinus<lb/>
microtuberculatus eine normal gebildete, der Form nach <hi rendition="#g">ganze</hi><lb/>
Larve aus sich hervorgehen lassen kann, eine <hi rendition="#g">Theilbildung</hi>,<lb/>
keine <hi rendition="#g">Halbbildung</hi>&#x201C;; in diesen Worten fasst der Verfasser<lb/>
seine Resultate zusammen und zieht daraus den Schluss, dass<lb/>
diese der &#x201E;Lehre von den organbildenden Keimbezirken in funda-<lb/>
mentaler Weise widerspreche&#x201C;. Er schliesst sich dem Ausspruch<lb/>
von <hi rendition="#g">Hallez</hi><note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Hallez</hi>, &#x201E;Recherches sur l&#x2019;embryologie des Nématodes&#x201C;. Paris 1885.</note> an, der sagte: &#x201E;il n&#x2019;est pas dès lors permis de<lb/>
croire que chaque sphère de segmentation doit occuper une<lb/>
dlace et jouer un rôle, qui lui sont assignés à l&#x2019;avance&#x201C;.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0207] beiden ersten Furchungszellen und beobachtete danach, dass die andere sich weiter entwickelte, und zwar nicht zu einem halben Embryo, wie beim Frosch, sondern zu einem ganzen von halber Grösse. Allerdings war ein solcher Embryo nicht ganz vollständig, doch fehlten ihm nur Organe von geringerer Bedeutung. Chabry selbst hat aus diesen Beobachtungen keine theoretischen Folgerungen gezogen, wohl aber sein Nachfolger auf diesem Gebiet, H. Driesch 1), der an Seeigeleiern ähnliche Resultate erhielt. Durch anhaltendes Schütteln konnte dieser Experimentator die zwei ersten Furchungszellen mechanisch von einander trennen und sah dann, dass jede derselben zunächst sich weiter theilte, als ob das Ei noch ganz wäre, dass später aber die aus der Furchung hervorgehende halbe Blastula sich zu einer ganzen vervollständigte. An einigen solchen Halb- Blastulen ging die Entwickelung noch weiter, es entstand die Gastrula-Einstülpung, der Urdarm bildete sich aus, und es kam bis zur Anlage einer zwar kleinen, aber sonst normalen Pluteus- Larve. „Es ist also durch diese Versuche dargethan, dass unter Umständen jede der beiden ersten Furchungszellen des Echinus microtuberculatus eine normal gebildete, der Form nach ganze Larve aus sich hervorgehen lassen kann, eine Theilbildung, keine Halbbildung“; in diesen Worten fasst der Verfasser seine Resultate zusammen und zieht daraus den Schluss, dass diese der „Lehre von den organbildenden Keimbezirken in funda- mentaler Weise widerspreche“. Er schliesst sich dem Ausspruch von Hallez 2) an, der sagte: „il n’est pas dès lors permis de croire que chaque sphère de segmentation doit occuper une dlace et jouer un rôle, qui lui sont assignés à l’avance“. 1) H. Driesch, „Entwickelungsmechanische Studien“. Leipzig 1891. Zeitschr. f. wiss. Zoologie Bd. 53. 2) Hallez, „Recherches sur l’embryologie des Nématodes“. Paris 1885.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/207
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/207>, abgerufen am 06.05.2024.