Obgleich weit entfernt zu behaupten, wir seien im Stande, im Augenblick schon eine völlig sichere oder gar ins Einzelne gehende Erklärung der gewiss höchst interessanten und wichtigen Versuchsresultate von Chabry und Driesch zu geben, glaube ich doch, dass sie uns keineswegs zwingen, die Vorstellung von der Prädestinirung der einzelnen Furchungszellen und der Zellen überhaupt aufzugeben. Es giebt eben noch andere Wege, um zu principiellen Anschauungen zu gelangen, als den Versuch, und nicht immer ist der Versuch die sicherste Entscheidung, wenn er auch zuerst völlig beweisend erscheint. Zweifelt doch Driesch selbst die Beweiskraft des oben erwähnten Versuches von Roux an -- ich glaube mit Unrecht --, indem er die Frage stellt, ob nicht etwa die Furchungskugeln des Frosches sich ebenso verhalten würden, wie die der Seeigel, wenn sie wirklich isolirt werden könnten, statt eng mit der abgestor- benen anderen Hälfte des Eies verbunden zu sein. Selbst dieses, so unzweifelhaft scheinende Resultat des Versuches kann also angezweifelt werden.
Mir scheint, dass uns vorsichtige Schlüsse aus den all- gemeinen Vererbungsthatsachen hier sicherer leiten, als die Er- gebnisse solcher nie ganz reinen und unzweifelhaften Versuche, so höchst werthvoll dieselben auch sind, und so sehr sie mit in die Waagschale zu legen sind. Wenn man sich dessen er- innert, was in dem Abschnitt über die Architektur des Keim- plasma's zur Begründung der Determinantenlehre gesagt wurde, so wird man wohl mit mir die Überzeugung gewinnen, dass die Ontogenese nur durch Evolution, nicht durch Epigenese erklärt werden kann. Es wäre unmöglich, dass irgend eine kleine Stelle der Haut des Menschen sich vom Keim aus, d. h. erblich und für sich allein verändern könnte, wenn nicht in der Keimsubstanz ein wenn auch noch so kleines Lebenselement vorhanden wäre, welches gerade dieser Hautstelle entspräche
Obgleich weit entfernt zu behaupten, wir seien im Stande, im Augenblick schon eine völlig sichere oder gar ins Einzelne gehende Erklärung der gewiss höchst interessanten und wichtigen Versuchsresultate von Chabry und Driesch zu geben, glaube ich doch, dass sie uns keineswegs zwingen, die Vorstellung von der Prädestinirung der einzelnen Furchungszellen und der Zellen überhaupt aufzugeben. Es giebt eben noch andere Wege, um zu principiellen Anschauungen zu gelangen, als den Versuch, und nicht immer ist der Versuch die sicherste Entscheidung, wenn er auch zuerst völlig beweisend erscheint. Zweifelt doch Driesch selbst die Beweiskraft des oben erwähnten Versuches von Roux an — ich glaube mit Unrecht —, indem er die Frage stellt, ob nicht etwa die Furchungskugeln des Frosches sich ebenso verhalten würden, wie die der Seeigel, wenn sie wirklich isolirt werden könnten, statt eng mit der abgestor- benen anderen Hälfte des Eies verbunden zu sein. Selbst dieses, so unzweifelhaft scheinende Resultat des Versuches kann also angezweifelt werden.
Mir scheint, dass uns vorsichtige Schlüsse aus den all- gemeinen Vererbungsthatsachen hier sicherer leiten, als die Er- gebnisse solcher nie ganz reinen und unzweifelhaften Versuche, so höchst werthvoll dieselben auch sind, und so sehr sie mit in die Waagschale zu legen sind. Wenn man sich dessen er- innert, was in dem Abschnitt über die Architektur des Keim- plasma’s zur Begründung der Determinantenlehre gesagt wurde, so wird man wohl mit mir die Überzeugung gewinnen, dass die Ontogenese nur durch Evolution, nicht durch Epigenese erklärt werden kann. Es wäre unmöglich, dass irgend eine kleine Stelle der Haut des Menschen sich vom Keim aus, d. h. erblich und für sich allein verändern könnte, wenn nicht in der Keimsubstanz ein wenn auch noch so kleines Lebenselement vorhanden wäre, welches gerade dieser Hautstelle entspräche
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0208"n="184"/><p>Obgleich weit entfernt zu behaupten, wir seien im Stande,<lb/>
im Augenblick schon eine völlig sichere oder gar ins Einzelne<lb/>
gehende Erklärung der gewiss höchst interessanten und wichtigen<lb/>
Versuchsresultate von <hirendition="#g">Chabry</hi> und <hirendition="#g">Driesch</hi> zu geben, glaube<lb/>
ich doch, dass sie uns keineswegs zwingen, die Vorstellung von<lb/>
der Prädestinirung der einzelnen Furchungszellen und der Zellen<lb/>
überhaupt aufzugeben. Es giebt eben noch andere Wege, um<lb/>
zu principiellen Anschauungen zu gelangen, als den Versuch,<lb/>
und nicht immer ist der Versuch die sicherste Entscheidung,<lb/>
wenn er auch zuerst völlig beweisend erscheint. Zweifelt doch<lb/><hirendition="#g">Driesch</hi> selbst die Beweiskraft des oben erwähnten Versuches<lb/>
von <hirendition="#g">Roux</hi> an — ich glaube mit Unrecht —, indem er die<lb/>
Frage stellt, ob nicht etwa die Furchungskugeln des Frosches<lb/>
sich ebenso verhalten würden, wie die der Seeigel, wenn sie<lb/><hirendition="#g">wirklich isolirt</hi> werden könnten, statt eng mit der abgestor-<lb/>
benen anderen Hälfte des Eies verbunden zu sein. Selbst dieses,<lb/>
so unzweifelhaft scheinende Resultat des Versuches kann also<lb/>
angezweifelt werden.</p><lb/><p>Mir scheint, dass uns vorsichtige Schlüsse aus den all-<lb/>
gemeinen Vererbungsthatsachen hier sicherer leiten, als die Er-<lb/>
gebnisse solcher nie ganz reinen und unzweifelhaften Versuche,<lb/>
so höchst werthvoll dieselben auch sind, und so sehr sie mit<lb/>
in die Waagschale zu legen sind. Wenn man sich dessen er-<lb/>
innert, was in dem Abschnitt über die Architektur des Keim-<lb/>
plasma’s zur Begründung der Determinantenlehre gesagt wurde,<lb/>
so wird man wohl mit mir die Überzeugung gewinnen, dass<lb/>
die Ontogenese nur durch <hirendition="#g">Evolution</hi>, nicht durch <hirendition="#g">Epigenese</hi><lb/>
erklärt werden kann. Es wäre unmöglich, dass irgend eine<lb/>
kleine Stelle der Haut des Menschen sich vom Keim aus, d. h.<lb/>
erblich und für sich allein verändern könnte, wenn nicht in<lb/>
der Keimsubstanz ein wenn auch noch so kleines Lebenselement<lb/>
vorhanden wäre, welches gerade dieser Hautstelle entspräche<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[184/0208]
Obgleich weit entfernt zu behaupten, wir seien im Stande,
im Augenblick schon eine völlig sichere oder gar ins Einzelne
gehende Erklärung der gewiss höchst interessanten und wichtigen
Versuchsresultate von Chabry und Driesch zu geben, glaube
ich doch, dass sie uns keineswegs zwingen, die Vorstellung von
der Prädestinirung der einzelnen Furchungszellen und der Zellen
überhaupt aufzugeben. Es giebt eben noch andere Wege, um
zu principiellen Anschauungen zu gelangen, als den Versuch,
und nicht immer ist der Versuch die sicherste Entscheidung,
wenn er auch zuerst völlig beweisend erscheint. Zweifelt doch
Driesch selbst die Beweiskraft des oben erwähnten Versuches
von Roux an — ich glaube mit Unrecht —, indem er die
Frage stellt, ob nicht etwa die Furchungskugeln des Frosches
sich ebenso verhalten würden, wie die der Seeigel, wenn sie
wirklich isolirt werden könnten, statt eng mit der abgestor-
benen anderen Hälfte des Eies verbunden zu sein. Selbst dieses,
so unzweifelhaft scheinende Resultat des Versuches kann also
angezweifelt werden.
Mir scheint, dass uns vorsichtige Schlüsse aus den all-
gemeinen Vererbungsthatsachen hier sicherer leiten, als die Er-
gebnisse solcher nie ganz reinen und unzweifelhaften Versuche,
so höchst werthvoll dieselben auch sind, und so sehr sie mit
in die Waagschale zu legen sind. Wenn man sich dessen er-
innert, was in dem Abschnitt über die Architektur des Keim-
plasma’s zur Begründung der Determinantenlehre gesagt wurde,
so wird man wohl mit mir die Überzeugung gewinnen, dass
die Ontogenese nur durch Evolution, nicht durch Epigenese
erklärt werden kann. Es wäre unmöglich, dass irgend eine
kleine Stelle der Haut des Menschen sich vom Keim aus, d. h.
erblich und für sich allein verändern könnte, wenn nicht in
der Keimsubstanz ein wenn auch noch so kleines Lebenselement
vorhanden wäre, welches gerade dieser Hautstelle entspräche
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/208>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.