Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

Der experimentelle Beweis für die Selbstdifferenzirung
oder Prädisponirung der einzelnen Zellen wurde dann, wie ich
glaube, durch Wilhelm Roux1) geliefert. Dieser ebenso scharf-
sinnige Denker als geniale Experimentator zerstörte durch Ein-
senken einer heissen Nadel eine Furchungshälfte des in Ent-
wickelung begriffenen Froscheies und beobachtete dann, dass
solche Eier sich zu Halb-Embryonen entwickelten. Es fehlte
die entsprechende Parthie des Embryo; war die eine der beiden
ersten Furchungszellen zerstört worden, so entstand ein Halb-
Embryo, und zwar entweder ein "Hemiembryo lateralis" oder
ein "anterior", je nachdem die erste Furchung die Vererbungs-
substanz für die rechte und linke Körperhälfte, oder die für die
vordere und hintere Hälfte geschieden hatte. Bekanntlich variirt
die Furchung beim Froschei in dieser Hinsicht. Wurde eine
der vier ersten Furchungszellen zerstört, so entstand ein Drei-
viertel-Embryo.

Diese Versuche mussten als beweisend für die Selbstdifferen-
zirung der Zellen gelten. Es sind nun in neuester Zeit Er-
fahrungen bekannt geworden, welche dem zu widersprechen
scheinen, und obgleich dieselben noch unfertig sind und nur
als Anfang eingehenderer Untersuchungen betrachtet werden
können, so möchte ich sie hier doch nicht mit Stillschweigen
übergehen, und dies um so weniger, als ich überzeugt bin, dass
sie keine Widerlegung der Selbstbestimmung der Zellen ent-
halten, wie Manche zu glauben geneigt sein könnten.

Es sind hier zuerst die Versuche von Chabry2) an den
Eiern von Seescheiden (Ascidien) zu erwähnen. Dieser Unter-
sucher zerstörte mittelst eines besonderen Apparates eine der

1) W. Roux, "Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo".
V, Virch. Arch. Bd. 114. Berlin 1888.
2) L. Chabry, "Embryologie normale et teratologique des Ascidies".
Paris 1877.

Der experimentelle Beweis für die Selbstdifferenzirung
oder Prädisponirung der einzelnen Zellen wurde dann, wie ich
glaube, durch Wilhelm Roux1) geliefert. Dieser ebenso scharf-
sinnige Denker als geniale Experimentator zerstörte durch Ein-
senken einer heissen Nadel eine Furchungshälfte des in Ent-
wickelung begriffenen Froscheies und beobachtete dann, dass
solche Eier sich zu Halb-Embryonen entwickelten. Es fehlte
die entsprechende Parthie des Embryo; war die eine der beiden
ersten Furchungszellen zerstört worden, so entstand ein Halb-
Embryo, und zwar entweder ein „Hemiembryo lateralis“ oder
ein „anterior“, je nachdem die erste Furchung die Vererbungs-
substanz für die rechte und linke Körperhälfte, oder die für die
vordere und hintere Hälfte geschieden hatte. Bekanntlich variirt
die Furchung beim Froschei in dieser Hinsicht. Wurde eine
der vier ersten Furchungszellen zerstört, so entstand ein Drei-
viertel-Embryo.

Diese Versuche mussten als beweisend für die Selbstdifferen-
zirung der Zellen gelten. Es sind nun in neuester Zeit Er-
fahrungen bekannt geworden, welche dem zu widersprechen
scheinen, und obgleich dieselben noch unfertig sind und nur
als Anfang eingehenderer Untersuchungen betrachtet werden
können, so möchte ich sie hier doch nicht mit Stillschweigen
übergehen, und dies um so weniger, als ich überzeugt bin, dass
sie keine Widerlegung der Selbstbestimmung der Zellen ent-
halten, wie Manche zu glauben geneigt sein könnten.

Es sind hier zuerst die Versuche von Chabry2) an den
Eiern von Seescheiden (Ascidien) zu erwähnen. Dieser Unter-
sucher zerstörte mittelst eines besonderen Apparates eine der

1) W. Roux, „Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo“.
V, Virch. Arch. Bd. 114. Berlin 1888.
2) L. Chabry, „Embryologie normale et tératologique des Ascidies“.
Paris 1877.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0206" n="182"/>
            <p>Der <hi rendition="#g">experimentelle</hi> Beweis für die Selbstdifferenzirung<lb/>
oder Prädisponirung der einzelnen Zellen wurde dann, wie ich<lb/>
glaube, durch <hi rendition="#g">Wilhelm Roux</hi><note place="foot" n="1)">W. <hi rendition="#g">Roux</hi>, &#x201E;Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo&#x201C;.<lb/>
V, Virch. Arch. Bd. 114. Berlin 1888.</note> geliefert. Dieser ebenso scharf-<lb/>
sinnige Denker als geniale Experimentator zerstörte durch Ein-<lb/>
senken einer heissen Nadel eine Furchungshälfte des in Ent-<lb/>
wickelung begriffenen Froscheies und beobachtete dann, dass<lb/>
solche Eier sich zu Halb-Embryonen entwickelten. Es fehlte<lb/>
die entsprechende Parthie des Embryo; war die eine der beiden<lb/>
ersten Furchungszellen zerstört worden, so entstand ein Halb-<lb/>
Embryo, und zwar entweder ein &#x201E;Hemiembryo lateralis&#x201C; oder<lb/>
ein &#x201E;anterior&#x201C;, je nachdem die erste Furchung die Vererbungs-<lb/>
substanz für die rechte und linke Körperhälfte, oder die für die<lb/>
vordere und hintere Hälfte geschieden hatte. Bekanntlich variirt<lb/>
die Furchung beim Froschei in dieser Hinsicht. Wurde eine<lb/>
der vier ersten Furchungszellen zerstört, so entstand ein Drei-<lb/>
viertel-Embryo.</p><lb/>
            <p>Diese Versuche mussten als beweisend für die Selbstdifferen-<lb/>
zirung der Zellen gelten. Es sind nun in neuester Zeit Er-<lb/>
fahrungen bekannt geworden, welche dem zu widersprechen<lb/>
scheinen, und obgleich dieselben noch unfertig sind und nur<lb/>
als Anfang eingehenderer Untersuchungen betrachtet werden<lb/>
können, so möchte ich sie hier doch nicht mit Stillschweigen<lb/>
übergehen, und dies um so weniger, als ich überzeugt bin, dass<lb/>
sie keine Widerlegung der Selbstbestimmung der Zellen ent-<lb/>
halten, wie Manche zu glauben geneigt sein könnten.</p><lb/>
            <p>Es sind hier zuerst die Versuche von <hi rendition="#g">Chabry</hi><note place="foot" n="2)">L. <hi rendition="#g">Chabry</hi>, &#x201E;Embryologie normale et tératologique des Ascidies&#x201C;.<lb/>
Paris 1877.</note> an den<lb/>
Eiern von Seescheiden (Ascidien) zu erwähnen. Dieser Unter-<lb/>
sucher zerstörte mittelst eines besonderen Apparates eine der<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0206] Der experimentelle Beweis für die Selbstdifferenzirung oder Prädisponirung der einzelnen Zellen wurde dann, wie ich glaube, durch Wilhelm Roux 1) geliefert. Dieser ebenso scharf- sinnige Denker als geniale Experimentator zerstörte durch Ein- senken einer heissen Nadel eine Furchungshälfte des in Ent- wickelung begriffenen Froscheies und beobachtete dann, dass solche Eier sich zu Halb-Embryonen entwickelten. Es fehlte die entsprechende Parthie des Embryo; war die eine der beiden ersten Furchungszellen zerstört worden, so entstand ein Halb- Embryo, und zwar entweder ein „Hemiembryo lateralis“ oder ein „anterior“, je nachdem die erste Furchung die Vererbungs- substanz für die rechte und linke Körperhälfte, oder die für die vordere und hintere Hälfte geschieden hatte. Bekanntlich variirt die Furchung beim Froschei in dieser Hinsicht. Wurde eine der vier ersten Furchungszellen zerstört, so entstand ein Drei- viertel-Embryo. Diese Versuche mussten als beweisend für die Selbstdifferen- zirung der Zellen gelten. Es sind nun in neuester Zeit Er- fahrungen bekannt geworden, welche dem zu widersprechen scheinen, und obgleich dieselben noch unfertig sind und nur als Anfang eingehenderer Untersuchungen betrachtet werden können, so möchte ich sie hier doch nicht mit Stillschweigen übergehen, und dies um so weniger, als ich überzeugt bin, dass sie keine Widerlegung der Selbstbestimmung der Zellen ent- halten, wie Manche zu glauben geneigt sein könnten. Es sind hier zuerst die Versuche von Chabry 2) an den Eiern von Seescheiden (Ascidien) zu erwähnen. Dieser Unter- sucher zerstörte mittelst eines besonderen Apparates eine der 1) W. Roux, „Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo“. V, Virch. Arch. Bd. 114. Berlin 1888. 2) L. Chabry, „Embryologie normale et tératologique des Ascidies“. Paris 1877.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/206
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/206>, abgerufen am 06.05.2024.