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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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nach keine allgemeine Regenerationskraft, sondern
dieselbe ist bei ein und derselben Thierform abgestuft
nach dem Regenerationsbedürfniss des Theiles
, d. h. in
erster Linie nach der Ausgesetztheit desselben.

In genauem Zusammenhang damit steht die Thatsache, dass
die Regeneration eines höchst regenerationskräftigen Theiles
doch nur von bestimmten, gewissermassen vorgesehenen Ver-
letzungen desselben ausgehen kann, nicht aber von jeder be-
liebigen. Philippeaux fand zuerst, dass das Bein des Triton
nicht wieder wächst, wenn man es aus dem Gelenk herausnimmt,
vielmehr nur dann, wenn es mit Verletzung des Knochens ab-
geschnitten oder abgerissen wird. Man hat dieser Thatsache
die Erklärung gegeben, dass sie auf dem Gesetz von der
Specifität der Gewebe beruhe, dass Knochen nur vom Knochen
gebildet werden können, und dass somit der Knochen des Beines
selbst verletzt sein müsse, um neu gebildet werden zu können.
Diese Erklärung, obwohl von einem richtigen Princip ausgehend,
scheint mir indessen doch nicht ausreichend. Die Verletzung des
Knochens setzt den Reiz, durch welchen die Zellen des Stumpfes
zur Wucherung angeregt werden; das ist gewiss richtig, und nach
unserer Theorie werden dadurch die in denselben schlummernden
Ersatz-Determinanten zur Thätigkeit veranlasst. Wenn aber eine
Gelenkhöhle blossgelegt wird, setzt dies ebenfalls einen Reiz
auf die Zellen des Knorpels und ohne Zweifel auch auf die des
darunter liegenden Knochens oder des Periost's. Wenn deshalb
die Zellen dieser Stellen überhaupt fähig wären, die verloren
gegangenen Knochen zu reproduciren, und wenn die Bloss-
legung der Gelenkhöhle die gewöhnlich vorkommende Art der
Verletzung wäre, so würden diese Zellen gewiss ebenso gut
diesem Reiz angepasst und ausgerüstet worden sein, denselben
mit formativer Wucherung zu beantworten, als sie an den
Bruchstellen des Knochens mit dieser Fähigkeit ausgerüstet sind.

nach keine allgemeine Regenerationskraft, sondern
dieselbe ist bei ein und derselben Thierform abgestuft
nach dem Regenerationsbedürfniss des Theiles
, d. h. in
erster Linie nach der Ausgesetztheit desselben.

In genauem Zusammenhang damit steht die Thatsache, dass
die Regeneration eines höchst regenerationskräftigen Theiles
doch nur von bestimmten, gewissermassen vorgesehenen Ver-
letzungen desselben ausgehen kann, nicht aber von jeder be-
liebigen. Philippeaux fand zuerst, dass das Bein des Triton
nicht wieder wächst, wenn man es aus dem Gelenk herausnimmt,
vielmehr nur dann, wenn es mit Verletzung des Knochens ab-
geschnitten oder abgerissen wird. Man hat dieser Thatsache
die Erklärung gegeben, dass sie auf dem Gesetz von der
Specifität der Gewebe beruhe, dass Knochen nur vom Knochen
gebildet werden können, und dass somit der Knochen des Beines
selbst verletzt sein müsse, um neu gebildet werden zu können.
Diese Erklärung, obwohl von einem richtigen Princip ausgehend,
scheint mir indessen doch nicht ausreichend. Die Verletzung des
Knochens setzt den Reiz, durch welchen die Zellen des Stumpfes
zur Wucherung angeregt werden; das ist gewiss richtig, und nach
unserer Theorie werden dadurch die in denselben schlummernden
Ersatz-Determinanten zur Thätigkeit veranlasst. Wenn aber eine
Gelenkhöhle blossgelegt wird, setzt dies ebenfalls einen Reiz
auf die Zellen des Knorpels und ohne Zweifel auch auf die des
darunter liegenden Knochens oder des Periost’s. Wenn deshalb
die Zellen dieser Stellen überhaupt fähig wären, die verloren
gegangenen Knochen zu reproduciren, und wenn die Bloss-
legung der Gelenkhöhle die gewöhnlich vorkommende Art der
Verletzung wäre, so würden diese Zellen gewiss ebenso gut
diesem Reiz angepasst und ausgerüstet worden sein, denselben
mit formativer Wucherung zu beantworten, als sie an den
Bruchstellen des Knochens mit dieser Fähigkeit ausgerüstet sind.

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[158/0182] nach keine allgemeine Regenerationskraft, sondern dieselbe ist bei ein und derselben Thierform abgestuft nach dem Regenerationsbedürfniss des Theiles, d. h. in erster Linie nach der Ausgesetztheit desselben. In genauem Zusammenhang damit steht die Thatsache, dass die Regeneration eines höchst regenerationskräftigen Theiles doch nur von bestimmten, gewissermassen vorgesehenen Ver- letzungen desselben ausgehen kann, nicht aber von jeder be- liebigen. Philippeaux fand zuerst, dass das Bein des Triton nicht wieder wächst, wenn man es aus dem Gelenk herausnimmt, vielmehr nur dann, wenn es mit Verletzung des Knochens ab- geschnitten oder abgerissen wird. Man hat dieser Thatsache die Erklärung gegeben, dass sie auf dem Gesetz von der Specifität der Gewebe beruhe, dass Knochen nur vom Knochen gebildet werden können, und dass somit der Knochen des Beines selbst verletzt sein müsse, um neu gebildet werden zu können. Diese Erklärung, obwohl von einem richtigen Princip ausgehend, scheint mir indessen doch nicht ausreichend. Die Verletzung des Knochens setzt den Reiz, durch welchen die Zellen des Stumpfes zur Wucherung angeregt werden; das ist gewiss richtig, und nach unserer Theorie werden dadurch die in denselben schlummernden Ersatz-Determinanten zur Thätigkeit veranlasst. Wenn aber eine Gelenkhöhle blossgelegt wird, setzt dies ebenfalls einen Reiz auf die Zellen des Knorpels und ohne Zweifel auch auf die des darunter liegenden Knochens oder des Periost’s. Wenn deshalb die Zellen dieser Stellen überhaupt fähig wären, die verloren gegangenen Knochen zu reproduciren, und wenn die Bloss- legung der Gelenkhöhle die gewöhnlich vorkommende Art der Verletzung wäre, so würden diese Zellen gewiss ebenso gut diesem Reiz angepasst und ausgerüstet worden sein, denselben mit formativer Wucherung zu beantworten, als sie an den Bruchstellen des Knochens mit dieser Fähigkeit ausgerüstet sind.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/182>, abgerufen am 27.04.2024.