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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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fähigkeit des Beines wäre nutzlos. Bei Tritonen verhält sich
die Sache wesentlich anders. Ihre Bewegungen sind weit we-
niger rasch und ihre Angreifer beschränken sich häufig darauf,
nur ein Bein abzubeissen, weil sie zu klein sind, um ein ganzes
Thier zu verschlucken. Häufig gehen solche Angriffe von
Thieren derselben Art aus, die durch immer wieder von Neuem
wiederholte Bisse einem schwächeren Genossen das Bein, den
Schwanz oder die Kiemen abnagen. War hier eine bedeutende
Regenerationskraft überhaupt möglich, so musste sie eingerichtet
werden. Bei Proteus finden wir sie in weit geringerem Grade,
aber diese Thiere haben in den Höhlen von Krain, ihrem aus-
schliesslichen Aufenthalt, weder grössere Feinde, noch starke
Concurrenz um ihre Nahrung, und fressen sich deshalb auch
gegenseitig nicht an, soweit meine Beobachtungen reichen.

Schon Spallanzani sagte, die Natur reproducire nicht
Alles, was man abschneidet, und diese Erfahrung kann, ins
Theoretische übersetzt, nichts Anderes heissen, als: die ver-
schiedenen Organe eines Thieres haben verschiedene
Grade von Regenerationskraft
. Stellt man sich dann
weiter die Frage, welches die am leichtesten regenerirenden
Theile sein werden, so ergiebt sich, dass die Theile den höch-
sten Grad von Regenerationsvermögen besitzen müssen, welche
am häufigsten einer Beschädigung oder einem Verluste aus-
gesetzt sind. Soweit ich die bis jetzt vorliegenden Thatsachen
übersehe, stimmen die Beobachtungen mit dieser Auffassung.
Zwar hat leider Spallanzani seinem oben citirten Satz, dass
die Natur nicht Alles reproducire, was man abschneidet, keine
weitere Erläuterung beigegeben, so dass wir seine Erfahrungen
darüber, was sich nicht regenerirt, nicht kennen. Ich habe
aber selbst eine Reihe von Untersuchungen angestellt, um einige
Sicherheit darüber zu erlangen, ob die Höhe der Regenerations-
kraft wirklich in Beziehung zur Verletzbarkeit des Theiles steht.

fähigkeit des Beines wäre nutzlos. Bei Tritonen verhält sich
die Sache wesentlich anders. Ihre Bewegungen sind weit we-
niger rasch und ihre Angreifer beschränken sich häufig darauf,
nur ein Bein abzubeissen, weil sie zu klein sind, um ein ganzes
Thier zu verschlucken. Häufig gehen solche Angriffe von
Thieren derselben Art aus, die durch immer wieder von Neuem
wiederholte Bisse einem schwächeren Genossen das Bein, den
Schwanz oder die Kiemen abnagen. War hier eine bedeutende
Regenerationskraft überhaupt möglich, so musste sie eingerichtet
werden. Bei Proteus finden wir sie in weit geringerem Grade,
aber diese Thiere haben in den Höhlen von Krain, ihrem aus-
schliesslichen Aufenthalt, weder grössere Feinde, noch starke
Concurrenz um ihre Nahrung, und fressen sich deshalb auch
gegenseitig nicht an, soweit meine Beobachtungen reichen.

Schon Spallanzani sagte, die Natur reproducire nicht
Alles, was man abschneidet, und diese Erfahrung kann, ins
Theoretische übersetzt, nichts Anderes heissen, als: die ver-
schiedenen Organe eines Thieres haben verschiedene
Grade von Regenerationskraft
. Stellt man sich dann
weiter die Frage, welches die am leichtesten regenerirenden
Theile sein werden, so ergiebt sich, dass die Theile den höch-
sten Grad von Regenerationsvermögen besitzen müssen, welche
am häufigsten einer Beschädigung oder einem Verluste aus-
gesetzt sind. Soweit ich die bis jetzt vorliegenden Thatsachen
übersehe, stimmen die Beobachtungen mit dieser Auffassung.
Zwar hat leider Spallanzani seinem oben citirten Satz, dass
die Natur nicht Alles reproducire, was man abschneidet, keine
weitere Erläuterung beigegeben, so dass wir seine Erfahrungen
darüber, was sich nicht regenerirt, nicht kennen. Ich habe
aber selbst eine Reihe von Untersuchungen angestellt, um einige
Sicherheit darüber zu erlangen, ob die Höhe der Regenerations-
kraft wirklich in Beziehung zur Verletzbarkeit des Theiles steht.

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[156/0180] fähigkeit des Beines wäre nutzlos. Bei Tritonen verhält sich die Sache wesentlich anders. Ihre Bewegungen sind weit we- niger rasch und ihre Angreifer beschränken sich häufig darauf, nur ein Bein abzubeissen, weil sie zu klein sind, um ein ganzes Thier zu verschlucken. Häufig gehen solche Angriffe von Thieren derselben Art aus, die durch immer wieder von Neuem wiederholte Bisse einem schwächeren Genossen das Bein, den Schwanz oder die Kiemen abnagen. War hier eine bedeutende Regenerationskraft überhaupt möglich, so musste sie eingerichtet werden. Bei Proteus finden wir sie in weit geringerem Grade, aber diese Thiere haben in den Höhlen von Krain, ihrem aus- schliesslichen Aufenthalt, weder grössere Feinde, noch starke Concurrenz um ihre Nahrung, und fressen sich deshalb auch gegenseitig nicht an, soweit meine Beobachtungen reichen. Schon Spallanzani sagte, die Natur reproducire nicht Alles, was man abschneidet, und diese Erfahrung kann, ins Theoretische übersetzt, nichts Anderes heissen, als: die ver- schiedenen Organe eines Thieres haben verschiedene Grade von Regenerationskraft. Stellt man sich dann weiter die Frage, welches die am leichtesten regenerirenden Theile sein werden, so ergiebt sich, dass die Theile den höch- sten Grad von Regenerationsvermögen besitzen müssen, welche am häufigsten einer Beschädigung oder einem Verluste aus- gesetzt sind. Soweit ich die bis jetzt vorliegenden Thatsachen übersehe, stimmen die Beobachtungen mit dieser Auffassung. Zwar hat leider Spallanzani seinem oben citirten Satz, dass die Natur nicht Alles reproducire, was man abschneidet, keine weitere Erläuterung beigegeben, so dass wir seine Erfahrungen darüber, was sich nicht regenerirt, nicht kennen. Ich habe aber selbst eine Reihe von Untersuchungen angestellt, um einige Sicherheit darüber zu erlangen, ob die Höhe der Regenerations- kraft wirklich in Beziehung zur Verletzbarkeit des Theiles steht.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/180>, abgerufen am 27.04.2024.