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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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schränkt sich bei den Eidechsen das Regenerationsvermögen auf
den Schwanz, Extremitäten aber werden nicht regenerirt. Offen-
bar ist aber der Schwanz der Eidechsen ungleich mehr der Ver-
stümmelung ausgesetzt, als die Beine, die Letzteren gehen that-
sächlich selten verloren, wenn man auch hin und wieder einmal
ein Thier mit stummelförmigem Bein findet. Die biologische
Bedeutung des Eidechsenschwanzes darf eben darin gefunden
werden, dass er das Thier vor völligem Untergang schützt,
indem der Verfolger zumeist nach dem lange nachschleppenden
Schwanz zielen wird, dabei aber oft das Thier selbst entwischen
lässt, weil der festgehaltene Schwanz abbricht. Ist derselbe
doch ganz besonders zum Abbrechen eingerichtet, indem, wie
Leydig zuerst nachwies, die Schwanzwirbelkörper vom siebenten
an mit vorbereiteter Bruchfläche quer durch die Wirbelkörper
hindurch versehen sind. Wenn nun das Abbrechen durch eine
besondere Vorrichtung und Anpassung vorgesehen ist, so wird
es kein allzu kühner Schluss sein, wenn man auch die Regene-
rationskraft des Schwanzes selbst als eine Anpassung betrachtet,
also nicht als den Ausfluss einer unbekannten "Regenerations-
kraft" des gesammten Thieres, sondern als eine durch Se-
lection hervorgerufene specielle Anpassung dieses
einen Körpertheiles an den häufig eintretenden, ge-
wissermassen vorgesehenen Verlust des Theiles
. Hätte
derselbe keine oder nur eine geringe biologische Bedeutung,
so würde diese Einrichtung nicht getroffen worden sein, wie
sie denn thatsächlich bei den auf gleicher Organisationshöhe
stehenden Schlangen und Schildkröten nicht getroffen worden
ist. Dass aber die Beine der Eidechsen sich nicht wieder
ersetzen, hat, wie ich glaube, seinen Grund darin, dass eine
Eidechse bei ihrer enorm raschen Beweglichkeit selten an einem
Bein gepackt werden wird. Geschieht es aber einmal, so ist
das Thier unrettbar die Beute des Verfolgers, und Regenerations-

schränkt sich bei den Eidechsen das Regenerationsvermögen auf
den Schwanz, Extremitäten aber werden nicht regenerirt. Offen-
bar ist aber der Schwanz der Eidechsen ungleich mehr der Ver-
stümmelung ausgesetzt, als die Beine, die Letzteren gehen that-
sächlich selten verloren, wenn man auch hin und wieder einmal
ein Thier mit stummelförmigem Bein findet. Die biologische
Bedeutung des Eidechsenschwanzes darf eben darin gefunden
werden, dass er das Thier vor völligem Untergang schützt,
indem der Verfolger zumeist nach dem lange nachschleppenden
Schwanz zielen wird, dabei aber oft das Thier selbst entwischen
lässt, weil der festgehaltene Schwanz abbricht. Ist derselbe
doch ganz besonders zum Abbrechen eingerichtet, indem, wie
Leydig zuerst nachwies, die Schwanzwirbelkörper vom siebenten
an mit vorbereiteter Bruchfläche quer durch die Wirbelkörper
hindurch versehen sind. Wenn nun das Abbrechen durch eine
besondere Vorrichtung und Anpassung vorgesehen ist, so wird
es kein allzu kühner Schluss sein, wenn man auch die Regene-
rationskraft des Schwanzes selbst als eine Anpassung betrachtet,
also nicht als den Ausfluss einer unbekannten „Regenerations-
kraft“ des gesammten Thieres, sondern als eine durch Se-
lection hervorgerufene specielle Anpassung dieses
einen Körpertheiles an den häufig eintretenden, ge-
wissermassen vorgesehenen Verlust des Theiles
. Hätte
derselbe keine oder nur eine geringe biologische Bedeutung,
so würde diese Einrichtung nicht getroffen worden sein, wie
sie denn thatsächlich bei den auf gleicher Organisationshöhe
stehenden Schlangen und Schildkröten nicht getroffen worden
ist. Dass aber die Beine der Eidechsen sich nicht wieder
ersetzen, hat, wie ich glaube, seinen Grund darin, dass eine
Eidechse bei ihrer enorm raschen Beweglichkeit selten an einem
Bein gepackt werden wird. Geschieht es aber einmal, so ist
das Thier unrettbar die Beute des Verfolgers, und Regenerations-

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[155/0179] schränkt sich bei den Eidechsen das Regenerationsvermögen auf den Schwanz, Extremitäten aber werden nicht regenerirt. Offen- bar ist aber der Schwanz der Eidechsen ungleich mehr der Ver- stümmelung ausgesetzt, als die Beine, die Letzteren gehen that- sächlich selten verloren, wenn man auch hin und wieder einmal ein Thier mit stummelförmigem Bein findet. Die biologische Bedeutung des Eidechsenschwanzes darf eben darin gefunden werden, dass er das Thier vor völligem Untergang schützt, indem der Verfolger zumeist nach dem lange nachschleppenden Schwanz zielen wird, dabei aber oft das Thier selbst entwischen lässt, weil der festgehaltene Schwanz abbricht. Ist derselbe doch ganz besonders zum Abbrechen eingerichtet, indem, wie Leydig zuerst nachwies, die Schwanzwirbelkörper vom siebenten an mit vorbereiteter Bruchfläche quer durch die Wirbelkörper hindurch versehen sind. Wenn nun das Abbrechen durch eine besondere Vorrichtung und Anpassung vorgesehen ist, so wird es kein allzu kühner Schluss sein, wenn man auch die Regene- rationskraft des Schwanzes selbst als eine Anpassung betrachtet, also nicht als den Ausfluss einer unbekannten „Regenerations- kraft“ des gesammten Thieres, sondern als eine durch Se- lection hervorgerufene specielle Anpassung dieses einen Körpertheiles an den häufig eintretenden, ge- wissermassen vorgesehenen Verlust des Theiles. Hätte derselbe keine oder nur eine geringe biologische Bedeutung, so würde diese Einrichtung nicht getroffen worden sein, wie sie denn thatsächlich bei den auf gleicher Organisationshöhe stehenden Schlangen und Schildkröten nicht getroffen worden ist. Dass aber die Beine der Eidechsen sich nicht wieder ersetzen, hat, wie ich glaube, seinen Grund darin, dass eine Eidechse bei ihrer enorm raschen Beweglichkeit selten an einem Bein gepackt werden wird. Geschieht es aber einmal, so ist das Thier unrettbar die Beute des Verfolgers, und Regenerations-

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/179>, abgerufen am 27.04.2024.