an, ein Schema zu gewinnen, welches sich auf die wirklichen Verhältnisse, sobald man sie hinreichend genau kennte, über- tragen liesse. Es genügt, wenn gezeigt werden konnte, dass die Regeneration sich aus der Thätigkeit der Zellen selbst be- greifen lässt, ohne dass man zur Annahme einer unbekannten gemeinsamen Oberleitung derselben seine Zuflucht nehmen muss. Der "Nisus formativus" steigt von seiner bisherigen Höhe als eine einheitliche, das Ganze beherrschende Kraft herab und zer- theilt sich in unendlich viele Einzelkräfte oder besser materielle Theile, von welchen jeder in einer einzelnen Zelle seinen Sitz hat und derselben ihren Lebensgang vorschreibt, und von welchen jeder so genau nach seiner Art bestimmt und nach seinem Sitz vertheilt ist, dass aus dem Zusammenwirken aller ein vernünf- tiges Ganze, z. B. eine Knochenkette sammt Gelenkkapseln und Bändern, sammt Muskeln, Nerven, Gefässen, Bindegewebe und Haut werden muss. Denn es leuchtet ein, dass die Übertragung des für den Knochen entwickelten Regenerations-Schemas sich auf alle anderen Theile und Gewebe übertragen lässt. Ohnehin ist es ja Täuschung und beruht lediglich auf unserm Bedürfniss, zu scheiden und zu sondern, wenn wir uns den Knochen als etwas von den übrigen Theilen des Armes völlig Getrenntes vorstellen. In Wirklichkeit ist er auf seiner ganzen Oberfläche auf Innigste mit den ihn umgebenden Geweben verbunden, mit dem Periost, mit dem auf diesem liegenden lockeren Binde- gewebe, mit zahlreichen Gefässen, die in ihn eindringen, mit Nerven u. s. w. Ist ja doch die erste Anlage des Armes ein Haufen Mesoderm-Zellen, an denen sich noch nicht erkennen lässt, was später aus ihnen wird. Dennoch hängt dies -- nach meiner Ansicht -- nicht von ihrer zufälligen Lagerung oder von sonstigen äusseren Einwirkungen ab, sondern in erster Linie von ihrer eigenen Natur, d. h. von der Zusammensetzung ihres Idioplasma's. Die das Id zusammensetzenden "Determi-
an, ein Schema zu gewinnen, welches sich auf die wirklichen Verhältnisse, sobald man sie hinreichend genau kennte, über- tragen liesse. Es genügt, wenn gezeigt werden konnte, dass die Regeneration sich aus der Thätigkeit der Zellen selbst be- greifen lässt, ohne dass man zur Annahme einer unbekannten gemeinsamen Oberleitung derselben seine Zuflucht nehmen muss. Der „Nisus formativus“ steigt von seiner bisherigen Höhe als eine einheitliche, das Ganze beherrschende Kraft herab und zer- theilt sich in unendlich viele Einzelkräfte oder besser materielle Theile, von welchen jeder in einer einzelnen Zelle seinen Sitz hat und derselben ihren Lebensgang vorschreibt, und von welchen jeder so genau nach seiner Art bestimmt und nach seinem Sitz vertheilt ist, dass aus dem Zusammenwirken aller ein vernünf- tiges Ganze, z. B. eine Knochenkette sammt Gelenkkapseln und Bändern, sammt Muskeln, Nerven, Gefässen, Bindegewebe und Haut werden muss. Denn es leuchtet ein, dass die Übertragung des für den Knochen entwickelten Regenerations-Schemas sich auf alle anderen Theile und Gewebe übertragen lässt. Ohnehin ist es ja Täuschung und beruht lediglich auf unserm Bedürfniss, zu scheiden und zu sondern, wenn wir uns den Knochen als etwas von den übrigen Theilen des Armes völlig Getrenntes vorstellen. In Wirklichkeit ist er auf seiner ganzen Oberfläche auf Innigste mit den ihn umgebenden Geweben verbunden, mit dem Periost, mit dem auf diesem liegenden lockeren Binde- gewebe, mit zahlreichen Gefässen, die in ihn eindringen, mit Nerven u. s. w. Ist ja doch die erste Anlage des Armes ein Haufen Mesoderm-Zellen, an denen sich noch nicht erkennen lässt, was später aus ihnen wird. Dennoch hängt dies — nach meiner Ansicht — nicht von ihrer zufälligen Lagerung oder von sonstigen äusseren Einwirkungen ab, sondern in erster Linie von ihrer eigenen Natur, d. h. von der Zusammensetzung ihres Idioplasma’s. Die das Id zusammensetzenden „Determi-
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an, ein Schema zu gewinnen, welches sich auf die wirklichen
Verhältnisse, sobald man sie hinreichend genau kennte, über-
tragen liesse. Es genügt, wenn gezeigt werden konnte, dass
die Regeneration sich aus der Thätigkeit der Zellen selbst be-
greifen lässt, ohne dass man zur Annahme einer unbekannten
gemeinsamen Oberleitung derselben seine Zuflucht nehmen muss.
Der „Nisus formativus“ steigt von seiner bisherigen Höhe als
eine einheitliche, das Ganze beherrschende Kraft herab und zer-
theilt sich in unendlich viele Einzelkräfte oder besser materielle
Theile, von welchen jeder in einer einzelnen Zelle seinen Sitz
hat und derselben ihren Lebensgang vorschreibt, und von welchen
jeder so genau nach seiner Art bestimmt und nach seinem Sitz
vertheilt ist, dass aus dem Zusammenwirken aller ein vernünf-
tiges Ganze, z. B. eine Knochenkette sammt Gelenkkapseln und
Bändern, sammt Muskeln, Nerven, Gefässen, Bindegewebe und
Haut werden muss. Denn es leuchtet ein, dass die Übertragung
des für den Knochen entwickelten Regenerations-Schemas sich
auf alle anderen Theile und Gewebe übertragen lässt. Ohnehin
ist es ja Täuschung und beruht lediglich auf unserm Bedürfniss,
zu scheiden und zu sondern, wenn wir uns den Knochen als
etwas von den übrigen Theilen des Armes völlig Getrenntes
vorstellen. In Wirklichkeit ist er auf seiner ganzen Oberfläche
auf Innigste mit den ihn umgebenden Geweben verbunden, mit
dem Periost, mit dem auf diesem liegenden lockeren Binde-
gewebe, mit zahlreichen Gefässen, die in ihn eindringen, mit
Nerven u. s. w. Ist ja doch die erste Anlage des Armes ein
Haufen Mesoderm-Zellen, an denen sich noch nicht erkennen
lässt, was später aus ihnen wird. Dennoch hängt dies — nach
meiner Ansicht — nicht von ihrer zufälligen Lagerung oder
von sonstigen äusseren Einwirkungen ab, sondern in erster Linie
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/165>, abgerufen am 24.11.2024.
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