Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

wir schliessen, dass diese Duftschuppen durch Umwandlung
aus gewöhnlichen Schuppen entstanden sind. Dies setzt aber
die selbstständige Veränderlichkeit jeder der phyletisch umzu-
wandelnden Schuppen voraus, folglich ihre Bestimmbarkeit
vom Keim aus. Wäre diese nicht vorhanden gewesen, so hätte
niemals eine einzelne Schuppe mitten unter den andern erblich
variiren können.

Auf der Oberfläche des Flügels einer Lycaena Adonis
stehen etwa 30,830 Schuppen. 1) Wenn jede derselben als De-
terminate aufzufassen wäre, so erhielten wir allein von der Be-
schuppung der Flügel her schon die enorme Zahl von etwa
240,000 Determinanten des Keimplasma's, vorausgesetzt, dass
Ober- und Unterfläche der vier Flügel ungefähr die gleiche
Anzahl von Schuppen besässen.

Ich habe mich bemüht, die untere Grenze der Determi-
natengrösse, d. h. also die kleinsten Determinaten durch direkte
Versuche für eine bestimmte Art und für bestimmte Charaktere
festzustellen und wählte dazu einen durch Parthenogenese sich
fortpflanzenden Muschelkrebs, Cypris reptans, bei welchem eine
bestimmte grüne Zeichnung der Schale die Vergleichung der-
selben sehr kleinen Pigmentflecke bei Mutter und Tochter mög-
lich macht. Es zeigte sich, dass zwar die grösseren Flecke
streng vererbt werden, nicht aber die ganz kleinen, nur aus
einer oder zwei Pigmentzellen bestehenden. Auch wechselte
die Gestalt der aus fünfzig oder hundert Pigmentzellen zu-
sammengesetzten Flecke immer etwas, so dass auch bei ihnen
die Zellenzahl nicht genau die gleiche blieb. Wenn man die par-
thenogenetische Fortpflanzung als eine einreihige betrachten
könnte, so dürfte daraus geschlossen werden, dass die Determi-

1) Nach einer Zählung, welche mein Assistent. Herr Dr. V. Häcker,
für mich auszuführen die Güte hatte.

wir schliessen, dass diese Duftschuppen durch Umwandlung
aus gewöhnlichen Schuppen entstanden sind. Dies setzt aber
die selbstständige Veränderlichkeit jeder der phyletisch umzu-
wandelnden Schuppen voraus, folglich ihre Bestimmbarkeit
vom Keim aus. Wäre diese nicht vorhanden gewesen, so hätte
niemals eine einzelne Schuppe mitten unter den andern erblich
variiren können.

Auf der Oberfläche des Flügels einer Lycaena Adonis
stehen etwa 30,830 Schuppen. 1) Wenn jede derselben als De-
terminate aufzufassen wäre, so erhielten wir allein von der Be-
schuppung der Flügel her schon die enorme Zahl von etwa
240,000 Determinanten des Keimplasma’s, vorausgesetzt, dass
Ober- und Unterfläche der vier Flügel ungefähr die gleiche
Anzahl von Schuppen besässen.

Ich habe mich bemüht, die untere Grenze der Determi-
natengrösse, d. h. also die kleinsten Determinaten durch direkte
Versuche für eine bestimmte Art und für bestimmte Charaktere
festzustellen und wählte dazu einen durch Parthenogenese sich
fortpflanzenden Muschelkrebs, Cypris reptans, bei welchem eine
bestimmte grüne Zeichnung der Schale die Vergleichung der-
selben sehr kleinen Pigmentflecke bei Mutter und Tochter mög-
lich macht. Es zeigte sich, dass zwar die grösseren Flecke
streng vererbt werden, nicht aber die ganz kleinen, nur aus
einer oder zwei Pigmentzellen bestehenden. Auch wechselte
die Gestalt der aus fünfzig oder hundert Pigmentzellen zu-
sammengesetzten Flecke immer etwas, so dass auch bei ihnen
die Zellenzahl nicht genau die gleiche blieb. Wenn man die par-
thenogenetische Fortpflanzung als eine einreihige betrachten
könnte, so dürfte daraus geschlossen werden, dass die Determi-

1) Nach einer Zählung, welche mein Assistent. Herr Dr. V. Häcker,
für mich auszuführen die Güte hatte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0142" n="118"/>
wir schliessen, dass diese Duftschuppen durch Umwandlung<lb/>
aus gewöhnlichen Schuppen entstanden sind. Dies setzt aber<lb/>
die selbstständige Veränderlichkeit jeder der phyletisch umzu-<lb/>
wandelnden Schuppen voraus, folglich ihre Bestimmbarkeit<lb/>
vom Keim aus. Wäre diese nicht vorhanden gewesen, so hätte<lb/>
niemals eine einzelne Schuppe mitten unter den andern <hi rendition="#g">erblich</hi><lb/>
variiren können.</p><lb/>
            <p>Auf der Oberfläche des Flügels einer Lycaena Adonis<lb/>
stehen etwa 30,830 Schuppen. <note place="foot" n="1)">Nach einer Zählung, welche mein Assistent. Herr Dr. V. <hi rendition="#g">Häcker</hi>,<lb/>
für mich auszuführen die Güte hatte.</note> Wenn jede derselben als De-<lb/>
terminate aufzufassen wäre, so erhielten wir allein von der Be-<lb/>
schuppung der Flügel her schon die enorme Zahl von etwa<lb/>
240,000 Determinanten des Keimplasma&#x2019;s, vorausgesetzt, dass<lb/>
Ober- und Unterfläche der vier Flügel ungefähr die gleiche<lb/>
Anzahl von Schuppen besässen.</p><lb/>
            <p>Ich habe mich bemüht, die untere Grenze der Determi-<lb/>
natengrösse, d. h. also die kleinsten Determinaten durch direkte<lb/>
Versuche für eine bestimmte Art und für bestimmte Charaktere<lb/>
festzustellen und wählte dazu einen durch Parthenogenese sich<lb/>
fortpflanzenden Muschelkrebs, Cypris reptans, bei welchem eine<lb/>
bestimmte grüne Zeichnung der Schale die Vergleichung der-<lb/>
selben sehr kleinen Pigmentflecke bei Mutter und Tochter mög-<lb/>
lich macht. Es zeigte sich, dass zwar die grösseren Flecke<lb/>
streng vererbt werden, nicht aber die ganz kleinen, nur aus<lb/><hi rendition="#g">einer</hi> oder zwei Pigmentzellen bestehenden. Auch wechselte<lb/>
die Gestalt der aus fünfzig oder hundert Pigmentzellen zu-<lb/>
sammengesetzten Flecke immer etwas, so dass auch bei ihnen<lb/>
die Zellenzahl nicht genau die gleiche blieb. Wenn man die par-<lb/>
thenogenetische Fortpflanzung als eine <hi rendition="#g">einreihige</hi> betrachten<lb/>
könnte, so dürfte daraus geschlossen werden, dass die Determi-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0142] wir schliessen, dass diese Duftschuppen durch Umwandlung aus gewöhnlichen Schuppen entstanden sind. Dies setzt aber die selbstständige Veränderlichkeit jeder der phyletisch umzu- wandelnden Schuppen voraus, folglich ihre Bestimmbarkeit vom Keim aus. Wäre diese nicht vorhanden gewesen, so hätte niemals eine einzelne Schuppe mitten unter den andern erblich variiren können. Auf der Oberfläche des Flügels einer Lycaena Adonis stehen etwa 30,830 Schuppen. 1) Wenn jede derselben als De- terminate aufzufassen wäre, so erhielten wir allein von der Be- schuppung der Flügel her schon die enorme Zahl von etwa 240,000 Determinanten des Keimplasma’s, vorausgesetzt, dass Ober- und Unterfläche der vier Flügel ungefähr die gleiche Anzahl von Schuppen besässen. Ich habe mich bemüht, die untere Grenze der Determi- natengrösse, d. h. also die kleinsten Determinaten durch direkte Versuche für eine bestimmte Art und für bestimmte Charaktere festzustellen und wählte dazu einen durch Parthenogenese sich fortpflanzenden Muschelkrebs, Cypris reptans, bei welchem eine bestimmte grüne Zeichnung der Schale die Vergleichung der- selben sehr kleinen Pigmentflecke bei Mutter und Tochter mög- lich macht. Es zeigte sich, dass zwar die grösseren Flecke streng vererbt werden, nicht aber die ganz kleinen, nur aus einer oder zwei Pigmentzellen bestehenden. Auch wechselte die Gestalt der aus fünfzig oder hundert Pigmentzellen zu- sammengesetzten Flecke immer etwas, so dass auch bei ihnen die Zellenzahl nicht genau die gleiche blieb. Wenn man die par- thenogenetische Fortpflanzung als eine einreihige betrachten könnte, so dürfte daraus geschlossen werden, dass die Determi- 1) Nach einer Zählung, welche mein Assistent. Herr Dr. V. Häcker, für mich auszuführen die Güte hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/142
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/142>, abgerufen am 06.05.2024.