Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weise, Christian: Überflüßige Gedancken Der grünenden jugend. Leipzig, 1701.

Bild:
<< vorherige Seite
Fünffte Handlung.
Leon. Es ist meine schuldigkeit/ daß ich verziehe.
Borg. Und mein glücke/ daß sie mir die gegenwart
gönnen muß.
Leon. Das glück wird schlecht seyn.
Borg. Jch hoffe ein bessers.
Leon. Was sol er bey der jenigen vor glücke hoffen/
die fast unter dem unglücke ersticken muß!
Borg. Nach den wolcken scheint die sonne.
Leon. Aber manche traurigkeit wechselt mit keiner
freude ab.
Borg. Die zeit verändert alles.
Leon. Mir wird der todt die änderung bringen.
Borg. Schönste Leonore/ die gütige natur hat sie
nicht deßwegen so annehmlich gemacht/ daß sie sterben
sol: Sondern daß sie andern sol das leben erhalten.
Leon. Unsere erste geburtsstunde ist schon ein theil
von unserm tode/ so viel tage wir zurück legen/ so viel
sind wir unserm leben gleichsam abgestorben. Wa-
rum sol ich nun mit andern gedancken umgehn als mit
todes-betrachtungen?
Borg. Wertheste Leonore/ in 30 oder 40 jahren
werden ihr solche gedancken besser anstehn. Jtzt lebt
sie in dem Frühlinge/ da hat man sich vor dem Winter
noch nicht zu fürchten.
Leon. Die bienen und ameissen sorgen schon im
Frühlinge vor dem Winter; was soll nicht ein mensch
thun/ der keine versicherung hat/ daß er sein leben wer-
de in Sommer und Winter können eintheilen.
Borg. Will sie aber den himmel beschuldigen/ der
sie zum lieben geschaffen hat.
Leon. Jch liebe freylich/ doch hasse ich die eitelkeit.
Borg.
Fuͤnffte Handlung.
Leon. Es iſt meine ſchuldigkeit/ daß ich verziehe.
Borg. Und mein gluͤcke/ daß ſie mir die gegenwart
goͤnnen muß.
Leon. Das gluͤck wird ſchlecht ſeyn.
Borg. Jch hoffe ein beſſers.
Leon. Was ſol er bey der jenigen voꝛ gluͤcke hoffen/
die faſt unter dem ungluͤcke erſticken muß!
Borg. Nach den wolcken ſcheint die ſonne.
Leon. Aber manche tꝛaurigkeit wechſelt mit keiner
freude ab.
Borg. Die zeit veraͤndert alles.
Leon. Mir wird der todt die aͤnderung bringen.
Borg. Schoͤnſte Leonore/ die guͤtige natur hat ſie
nicht deßwegen ſo annehmlich gemacht/ daß ſie ſterben
ſol: Sondern daß ſie andern ſol das leben erhalten.
Leon. Unſere erſte geburtsſtunde iſt ſchon ein theil
von unſerm tode/ ſo viel tage wir zuruͤck legen/ ſo viel
ſind wir unſerm leben gleichſam abgeſtorben. Wa-
rum ſol ich nun mit andern gedancken umgehn als mit
todes-betrachtungen?
Borg. Wertheſte Leonore/ in 30 oder 40 jahren
werden ihr ſolche gedancken beſſer anſtehn. Jtzt lebt
ſie in dem Fruͤhlinge/ da hat man ſich vor dem Winter
noch nicht zu fuͤrchten.
Leon. Die bienen und ameiſſen ſorgen ſchon im
Fruͤhlinge vor dem Winter; was ſoll nicht ein menſch
thun/ der keine verſicherung hat/ daß er ſein leben wer-
de in Sommer und Winter koͤnnen eintheilen.
Borg. Will ſie aber den himmel beſchuldigen/ der
ſie zum lieben geſchaffen hat.
Leon. Jch liebe freylich/ doch haſſe ich die eitelkeit.
Borg.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0571" n="555"/>
          <fw place="top" type="header">Fu&#x0364;nffte Handlung.</fw><lb/>
          <sp>
            <speaker>Leon.</speaker>
            <p>Es i&#x017F;t meine &#x017F;chuldigkeit/ daß ich verziehe.</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker>Borg.</speaker>
            <p>Und mein glu&#x0364;cke/ daß &#x017F;ie mir die gegenwart<lb/>
go&#x0364;nnen muß.</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker>Leon.</speaker>
            <p>Das glu&#x0364;ck wird &#x017F;chlecht &#x017F;eyn.</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker>Borg.</speaker>
            <p>Jch hoffe ein be&#x017F;&#x017F;ers.</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker>Leon.</speaker>
            <p>Was &#x017F;ol er bey der jenigen vo&#xA75B; glu&#x0364;cke hoffen/<lb/>
die fa&#x017F;t unter dem unglu&#x0364;cke er&#x017F;ticken muß!</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker>Borg.</speaker>
            <p>Nach den wolcken &#x017F;cheint die &#x017F;onne.</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker>Leon.</speaker>
            <p>Aber manche t&#xA75B;aurigkeit wech&#x017F;elt mit keiner<lb/>
freude ab.</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker>Borg.</speaker>
            <p>Die zeit vera&#x0364;ndert alles.</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker>Leon.</speaker>
            <p>Mir wird der todt die a&#x0364;nderung bringen.</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker>Borg.</speaker>
            <p>Scho&#x0364;n&#x017F;te Leonore/ die gu&#x0364;tige natur hat &#x017F;ie<lb/>
nicht deßwegen &#x017F;o annehmlich gemacht/ daß &#x017F;ie &#x017F;terben<lb/>
&#x017F;ol: Sondern daß &#x017F;ie andern &#x017F;ol das leben erhalten.</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker>Leon.</speaker>
            <p>Un&#x017F;ere er&#x017F;te geburts&#x017F;tunde i&#x017F;t &#x017F;chon ein theil<lb/>
von un&#x017F;erm tode/ &#x017F;o viel tage wir zuru&#x0364;ck legen/ &#x017F;o viel<lb/>
&#x017F;ind wir un&#x017F;erm leben gleich&#x017F;am abge&#x017F;torben. Wa-<lb/>
rum &#x017F;ol ich nun mit andern gedancken umgehn als mit<lb/>
todes-betrachtungen?</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker>Borg.</speaker>
            <p>Werthe&#x017F;te Leonore/ in 30 oder 40 jahren<lb/>
werden ihr &#x017F;olche gedancken be&#x017F;&#x017F;er an&#x017F;tehn. Jtzt lebt<lb/>
&#x017F;ie in dem Fru&#x0364;hlinge/ da hat man &#x017F;ich vor dem Winter<lb/>
noch nicht zu fu&#x0364;rchten.</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker>Leon.</speaker>
            <p>Die bienen und amei&#x017F;&#x017F;en &#x017F;orgen &#x017F;chon im<lb/>
Fru&#x0364;hlinge vor dem Winter; was &#x017F;oll nicht ein men&#x017F;ch<lb/>
thun/ der keine ver&#x017F;icherung hat/ daß er &#x017F;ein leben wer-<lb/>
de in Sommer und Winter ko&#x0364;nnen eintheilen.</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker>Borg.</speaker>
            <p>Will &#x017F;ie aber den himmel be&#x017F;chuldigen/ der<lb/>
&#x017F;ie zum lieben ge&#x017F;chaffen hat.</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker>Leon.</speaker>
            <p>Jch liebe freylich/ doch ha&#x017F;&#x017F;e ich die eitelkeit.</p>
          </sp><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Borg.</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[555/0571] Fuͤnffte Handlung. Leon. Es iſt meine ſchuldigkeit/ daß ich verziehe. Borg. Und mein gluͤcke/ daß ſie mir die gegenwart goͤnnen muß. Leon. Das gluͤck wird ſchlecht ſeyn. Borg. Jch hoffe ein beſſers. Leon. Was ſol er bey der jenigen voꝛ gluͤcke hoffen/ die faſt unter dem ungluͤcke erſticken muß! Borg. Nach den wolcken ſcheint die ſonne. Leon. Aber manche tꝛaurigkeit wechſelt mit keiner freude ab. Borg. Die zeit veraͤndert alles. Leon. Mir wird der todt die aͤnderung bringen. Borg. Schoͤnſte Leonore/ die guͤtige natur hat ſie nicht deßwegen ſo annehmlich gemacht/ daß ſie ſterben ſol: Sondern daß ſie andern ſol das leben erhalten. Leon. Unſere erſte geburtsſtunde iſt ſchon ein theil von unſerm tode/ ſo viel tage wir zuruͤck legen/ ſo viel ſind wir unſerm leben gleichſam abgeſtorben. Wa- rum ſol ich nun mit andern gedancken umgehn als mit todes-betrachtungen? Borg. Wertheſte Leonore/ in 30 oder 40 jahren werden ihr ſolche gedancken beſſer anſtehn. Jtzt lebt ſie in dem Fruͤhlinge/ da hat man ſich vor dem Winter noch nicht zu fuͤrchten. Leon. Die bienen und ameiſſen ſorgen ſchon im Fruͤhlinge vor dem Winter; was ſoll nicht ein menſch thun/ der keine verſicherung hat/ daß er ſein leben wer- de in Sommer und Winter koͤnnen eintheilen. Borg. Will ſie aber den himmel beſchuldigen/ der ſie zum lieben geſchaffen hat. Leon. Jch liebe freylich/ doch haſſe ich die eitelkeit. Borg.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die für das DTA ausgewählte Ausgabe von 1701 vere… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weise_jugend_1701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weise_jugend_1701/571
Zitationshilfe: Weise, Christian: Überflüßige Gedancken Der grünenden jugend. Leipzig, 1701, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weise_jugend_1701/571>, abgerufen am 29.11.2024.