Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.pwe_082.001 Was nun das Epos betrifft, so weicht es, im Grunde seit der Odyssee, dem pwe_082.002 Es ist leichter, das Unepische des Romans als das Romanhafte des Romans pwe_082.012 1 pwe_082.033 J. R. Frey, Bibliographie zur Theorie und Technik des deutschen Romans pwe_082.034 1910-1938. MLN 54 (1939), 557 ff. 2 pwe_082.035 W. Krauss, Novela-Novella-Roman. "Zeitschrift für romanische Philologie" pwe_082.036 60 (1939) 16 ff. 3 pwe_082.037 Anton Szerb, Die Suche nach dem Wunder. Umschau und Problematik in pwe_082.038 der modernen Romanliteratur. Amsterdam-Leipzig 1938. 4 pwe_082.039
R. Koskimies, Theorie des Romans (Annales academ. scient. Fennicae XXXV, pwe_082.040 I). Helsinki 1935. pwe_082.001 Was nun das Epos betrifft, so weicht es, im Grunde seit der Odyssee, dem pwe_082.002 Es ist leichter, das Unepische des Romans als das Romanhafte des Romans pwe_082.012 1 pwe_082.033 J. R. Frey, Bibliographie zur Theorie und Technik des deutschen Romans pwe_082.034 1910–1938. MLN 54 (1939), 557 ff. 2 pwe_082.035 W. Krauss, Novela-Novella-Roman. „Zeitschrift für romanische Philologie“ pwe_082.036 60 (1939) 16 ff. 3 pwe_082.037 Anton Szerb, Die Suche nach dem Wunder. Umschau und Problematik in pwe_082.038 der modernen Romanliteratur. Amsterdam-Leipzig 1938. 4 pwe_082.039
R. Koskimies, Theorie des Romans (Annales academ. scient. Fennicae XXXV, pwe_082.040 I). Helsinki 1935. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0088" n="82"/> <lb n="pwe_082.001"/> <p> Was nun das Epos betrifft, so weicht es, im Grunde seit der Odyssee, dem <lb n="pwe_082.002"/> <hi rendition="#g">Roman,</hi> also einer Form, deren Merkmal gerade die Formlosigkeit, die <lb n="pwe_082.003"/> poetische Illegitimität zu sein scheint. Seit dem ritterlichen Mittelalter und <lb n="pwe_082.004"/> nicht zuletzt unter christlichem Einfluß spielt der Roman eine entscheidende <lb n="pwe_082.005"/> und repräsentative Rolle in der Bewegung des abendländischen Geistes und <lb n="pwe_082.006"/> ist heute bei aller möglichen Vulgarität die durchaus herrschende Literaturart <lb n="pwe_082.007"/> überhaupt. Das Bedürfnis, über dieses eigenartige Phänomen ins Klare <lb n="pwe_082.008"/> zu kommen, ist offensichtlich nicht nur eine Frage der wissenschaftlichen <lb n="pwe_082.009"/> Gattungstheorie, sondern beschäftigt als allgemeines Kulturproblem auch <lb n="pwe_082.010"/> die Dichter und die Philosophen<note xml:id="PWE_082_1" place="foot" n="1"><lb n="pwe_082.033"/> J. R. Frey, <hi rendition="#i">Bibliographie zur Theorie und Technik des deutschen Romans</hi> <lb n="pwe_082.034"/> 1910–1938. MLN 54 (1939), 557 ff.</note>.</p> <lb n="pwe_082.011"/> <p> Es ist leichter, das Unepische des Romans als das Romanhafte des Romans <lb n="pwe_082.012"/> zu bestimmen (zur Geschichte des Terminus vgl. <hi rendition="#k">W. Krauss</hi><note xml:id="PWE_082_2" place="foot" n="2"><lb n="pwe_082.035"/> W. Krauss, <hi rendition="#i">Novela-Novella-Roman.</hi> „Zeitschrift für romanische Philologie“ <lb n="pwe_082.036"/> 60 (1939) 16 ff.</note>). Der <lb n="pwe_082.013"/> Verlust des Mythisch-Gemeinschaftlichen zugunsten des Gesellschaftlichen <lb n="pwe_082.014"/> und schließlich Persönlich-Privaten bedeutet eine Krise der Wirklichkeit, <lb n="pwe_082.015"/> die nun immer neu als „Abenteuer“ wieder gewonnen werden muß<note xml:id="PWE_082_3" place="foot" n="3"><lb n="pwe_082.037"/> Anton Szerb, <hi rendition="#i">Die Suche nach dem Wunder. Umschau und Problematik in <lb n="pwe_082.038"/> der modernen Romanliteratur.</hi> Amsterdam-Leipzig 1938.</note>. Die <lb n="pwe_082.016"/> Totalität der Welt und damit die Erfüllung des Daseins ist nicht mehr als <lb n="pwe_082.017"/> Wirklichkeit, sondern nur noch als Ziel vorhanden. Das läßt sich als ein <lb n="pwe_082.018"/> Einströmen des dramatischen Elements ins Epische kennzeichnen. Dieses <lb n="pwe_082.019"/> Dramatische scheint, geistesgeschichtlich gesehen, eine Folge der im späteren <lb n="pwe_082.020"/> Griechentum beginnenden, vom Christentum vollzogenen Wandlung, in welcher <lb n="pwe_082.021"/> die Welt fragwürdig und zwiespältig geworden ist. Über diesen „Dramatismus“ <lb n="pwe_082.022"/> des Romans spricht <hi rendition="#k">Koskimies</hi><note xml:id="PWE_082_4" place="foot" n="4"><lb n="pwe_082.039"/> R. Koskimies, <hi rendition="#i">Theorie des Romans (Annales academ. scient. Fennicae</hi> XXXV, <lb n="pwe_082.040"/> I). Helsinki 1935.</note>. Der Prozeß verläuft allerdings <lb n="pwe_082.023"/> in verschiedenen Stufen: noch der Ritterroman hält an der epischen Form <lb n="pwe_082.024"/> der wenn auch verkürzten Verse fest. Die wohl noch immer gescheiteste <lb n="pwe_082.025"/> Untersuchung der Gattung (durch <hi rendition="#k">Georg v. Lukacs,</hi> 1920) betrachtet den <lb n="pwe_082.026"/> Roman in seiner vollen Ausbildung als spezifisch neuzeitliche Erscheinung <lb n="pwe_082.027"/> und charakterisiert ihn einmal als Form der „transzendentalen Obdachlosigkeit“. <lb n="pwe_082.028"/> Die Offenheit, die Formlosigkeit der Gattung entspricht in <lb n="pwe_082.029"/> einem weiteren Sinn daher auch der „Stilmischung“, wie sie <hi rendition="#k">Auerbach</hi> beschreibt. <lb n="pwe_082.030"/> Die reichhaltigste Darstellung der epischen Gattungsprobleme findet <lb n="pwe_082.031"/> sich wohl immer noch bei <hi rendition="#k">Petsch</hi> und <hi rendition="#k">Koskimies,</hi> welch beiden mehr an <lb n="pwe_082.032"/> einer beschreibenden und diskutierenden Darstellung als an einer strengen </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [82/0088]
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Was nun das Epos betrifft, so weicht es, im Grunde seit der Odyssee, dem pwe_082.002
Roman, also einer Form, deren Merkmal gerade die Formlosigkeit, die pwe_082.003
poetische Illegitimität zu sein scheint. Seit dem ritterlichen Mittelalter und pwe_082.004
nicht zuletzt unter christlichem Einfluß spielt der Roman eine entscheidende pwe_082.005
und repräsentative Rolle in der Bewegung des abendländischen Geistes und pwe_082.006
ist heute bei aller möglichen Vulgarität die durchaus herrschende Literaturart pwe_082.007
überhaupt. Das Bedürfnis, über dieses eigenartige Phänomen ins Klare pwe_082.008
zu kommen, ist offensichtlich nicht nur eine Frage der wissenschaftlichen pwe_082.009
Gattungstheorie, sondern beschäftigt als allgemeines Kulturproblem auch pwe_082.010
die Dichter und die Philosophen 1.
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Es ist leichter, das Unepische des Romans als das Romanhafte des Romans pwe_082.012
zu bestimmen (zur Geschichte des Terminus vgl. W. Krauss 2). Der pwe_082.013
Verlust des Mythisch-Gemeinschaftlichen zugunsten des Gesellschaftlichen pwe_082.014
und schließlich Persönlich-Privaten bedeutet eine Krise der Wirklichkeit, pwe_082.015
die nun immer neu als „Abenteuer“ wieder gewonnen werden muß 3. Die pwe_082.016
Totalität der Welt und damit die Erfüllung des Daseins ist nicht mehr als pwe_082.017
Wirklichkeit, sondern nur noch als Ziel vorhanden. Das läßt sich als ein pwe_082.018
Einströmen des dramatischen Elements ins Epische kennzeichnen. Dieses pwe_082.019
Dramatische scheint, geistesgeschichtlich gesehen, eine Folge der im späteren pwe_082.020
Griechentum beginnenden, vom Christentum vollzogenen Wandlung, in welcher pwe_082.021
die Welt fragwürdig und zwiespältig geworden ist. Über diesen „Dramatismus“ pwe_082.022
des Romans spricht Koskimies 4. Der Prozeß verläuft allerdings pwe_082.023
in verschiedenen Stufen: noch der Ritterroman hält an der epischen Form pwe_082.024
der wenn auch verkürzten Verse fest. Die wohl noch immer gescheiteste pwe_082.025
Untersuchung der Gattung (durch Georg v. Lukacs, 1920) betrachtet den pwe_082.026
Roman in seiner vollen Ausbildung als spezifisch neuzeitliche Erscheinung pwe_082.027
und charakterisiert ihn einmal als Form der „transzendentalen Obdachlosigkeit“. pwe_082.028
Die Offenheit, die Formlosigkeit der Gattung entspricht in pwe_082.029
einem weiteren Sinn daher auch der „Stilmischung“, wie sie Auerbach beschreibt. pwe_082.030
Die reichhaltigste Darstellung der epischen Gattungsprobleme findet pwe_082.031
sich wohl immer noch bei Petsch und Koskimies, welch beiden mehr an pwe_082.032
einer beschreibenden und diskutierenden Darstellung als an einer strengen
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J. R. Frey, Bibliographie zur Theorie und Technik des deutschen Romans pwe_082.034
1910–1938. MLN 54 (1939), 557 ff.
2 pwe_082.035
W. Krauss, Novela-Novella-Roman. „Zeitschrift für romanische Philologie“ pwe_082.036
60 (1939) 16 ff.
3 pwe_082.037
Anton Szerb, Die Suche nach dem Wunder. Umschau und Problematik in pwe_082.038
der modernen Romanliteratur. Amsterdam-Leipzig 1938.
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R. Koskimies, Theorie des Romans (Annales academ. scient. Fennicae XXXV, pwe_082.040
I). Helsinki 1935.
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Zitationshilfe: | Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wehrli_poetik_1951/88>, abgerufen am 16.02.2025. |