Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.pwe_149.001 pwe_149.017 5. nationale, europäische, universale literatur pwe_149.018a) Allgemeines pwe_149.019Es stellt sich endlich die Frage, welches die maßgebenden literarischen pwe_149.020 pwe_149.001 pwe_149.017 5. nationale, europäische, universale literatur pwe_149.018a) Allgemeines pwe_149.019Es stellt sich endlich die Frage, welches die maßgebenden literarischen pwe_149.020 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0155" n="149"/><lb n="pwe_149.001"/> ihr Verfasser selbst sich inzwischen den Gedanken literarischer Morphologie <lb n="pwe_149.002"/> verpflichtet hat. Die deutsche „Seele“ ist der Held, man könnte <lb n="pwe_149.003"/> auch sagen: es sei der (faustische) „Geist“, der hier, vom Standpunkt eines <lb n="pwe_149.004"/> christlich-humanistischen Menschenbildes, in seinen sucherischen Ausprägungen <lb n="pwe_149.005"/> von der Gotik bis zur Romantik verfolgt wird, „Seele“ freilich insofern, <lb n="pwe_149.006"/> als die Entscheidungen nicht nur aus bewußter Einsicht gefällt werden, <lb n="pwe_149.007"/> sondern auch auf den Vorentscheidungen des „Lebensgefühls“ beruhen. In <lb n="pwe_149.008"/> allen Wandlungen aber herrscht das „Suchen nach einem letzten Sinn und <lb n="pwe_149.009"/> Ziel“, womit nicht nur die Literaturgeschichte über sich hinausweist auf <lb n="pwe_149.010"/> die religiöse Frage, sondern die Geschichte selbst „vornehmlich davon <lb n="pwe_149.011"/> spricht, daß sie kein letztes ist.“ Der feste Blickpunkt hindert <hi rendition="#k">Müller</hi> <lb n="pwe_149.012"/> nicht, ja scheint ihn gerade zu befähigen, mit imponierender Bereitschaft <lb n="pwe_149.013"/> und Liebe auch das Gegensätzliche in seinen positiven Kräften zu ergreifen <lb n="pwe_149.014"/> und aufs Ganze zu beziehen. Diese echte historiographische Haltung <lb n="pwe_149.015"/> ist so alles andere als die farblose Vielseitigkeit eines unbeteiligten Zuschauers.</p> <lb n="pwe_149.016"/> </div> <div n="2"> <lb n="pwe_149.017"/> <head> <hi rendition="#c">5. <hi rendition="#k">nationale, europäische, universale literatur</hi></hi> </head> <lb n="pwe_149.018"/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#i">a) Allgemeines</hi> </hi> </head> <lb n="pwe_149.019"/> <p>Es stellt sich endlich die Frage, welches die maßgebenden literarischen <lb n="pwe_149.020"/> Traditionszusammenhänge sind, ob die Einheit der Literaturgeschichte von <lb n="pwe_149.021"/> der nationalen, der europäischen oder der menschlichen Gemeinschaft getragen <lb n="pwe_149.022"/> wird. Eine jahrtausendalte geistig-literarische Tradition scheint <lb n="pwe_149.023"/> heute dem Untergang geweiht. Auch das literarische Bewußtsein sieht sich <lb n="pwe_149.024"/> in neuen, universal ausgeweiteten Horizonten. Europäische Literatur im <lb n="pwe_149.025"/> engern, Weltliteratur im weitern Kreis wird Gegenstand historischer Besinnung <lb n="pwe_149.026"/> und zugleich eines Entwurfs für die Zukunft – wie jede echte <lb n="pwe_149.027"/> historische Besinnung eine „Kultursynthese“ (Troeltsch) für das Werdende <lb n="pwe_149.028"/> bedeutet. Der nationale Rahmen der literarhistorischen Sicht wird unwesentlich <lb n="pwe_149.029"/> oder in seiner Bedeutung relativiert. <hi rendition="#k">Toynbees</hi> Werk liefert <lb n="pwe_149.030"/> etwa bei <hi rendition="#k">Curtius</hi> die Begründung, warum der eigentliche „<hi rendition="#g">Geschichtskörper</hi>“ <lb n="pwe_149.031"/> die europäisch-westliche Zivilisation und nicht die einzelne <lb n="pwe_149.032"/> Nation ist. Ursprünglich war allerdings die Einheit einer europäischen <lb n="pwe_149.033"/> Literatur undiskutierte Voraussetzung der nationalen Literaturgeschichte, <lb n="pwe_149.034"/> die nur als individuelle Stimme im Konzert der Völker verstanden wurde. <lb n="pwe_149.035"/> Erst nachdem der nationale Gedanke – unter dem Einfluß der Politik und <lb n="pwe_149.036"/> nicht zuletzt auch durch die Automatik eines nun einmal nach Nationalsprachen <lb n="pwe_149.037"/> aufgeteilten Forschungs- und Lehrbetriebes – ad absurdum geführt </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [149/0155]
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ihr Verfasser selbst sich inzwischen den Gedanken literarischer Morphologie pwe_149.002
verpflichtet hat. Die deutsche „Seele“ ist der Held, man könnte pwe_149.003
auch sagen: es sei der (faustische) „Geist“, der hier, vom Standpunkt eines pwe_149.004
christlich-humanistischen Menschenbildes, in seinen sucherischen Ausprägungen pwe_149.005
von der Gotik bis zur Romantik verfolgt wird, „Seele“ freilich insofern, pwe_149.006
als die Entscheidungen nicht nur aus bewußter Einsicht gefällt werden, pwe_149.007
sondern auch auf den Vorentscheidungen des „Lebensgefühls“ beruhen. In pwe_149.008
allen Wandlungen aber herrscht das „Suchen nach einem letzten Sinn und pwe_149.009
Ziel“, womit nicht nur die Literaturgeschichte über sich hinausweist auf pwe_149.010
die religiöse Frage, sondern die Geschichte selbst „vornehmlich davon pwe_149.011
spricht, daß sie kein letztes ist.“ Der feste Blickpunkt hindert Müller pwe_149.012
nicht, ja scheint ihn gerade zu befähigen, mit imponierender Bereitschaft pwe_149.013
und Liebe auch das Gegensätzliche in seinen positiven Kräften zu ergreifen pwe_149.014
und aufs Ganze zu beziehen. Diese echte historiographische Haltung pwe_149.015
ist so alles andere als die farblose Vielseitigkeit eines unbeteiligten Zuschauers.
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5. nationale, europäische, universale literatur pwe_149.018
a) Allgemeines pwe_149.019
Es stellt sich endlich die Frage, welches die maßgebenden literarischen pwe_149.020
Traditionszusammenhänge sind, ob die Einheit der Literaturgeschichte von pwe_149.021
der nationalen, der europäischen oder der menschlichen Gemeinschaft getragen pwe_149.022
wird. Eine jahrtausendalte geistig-literarische Tradition scheint pwe_149.023
heute dem Untergang geweiht. Auch das literarische Bewußtsein sieht sich pwe_149.024
in neuen, universal ausgeweiteten Horizonten. Europäische Literatur im pwe_149.025
engern, Weltliteratur im weitern Kreis wird Gegenstand historischer Besinnung pwe_149.026
und zugleich eines Entwurfs für die Zukunft – wie jede echte pwe_149.027
historische Besinnung eine „Kultursynthese“ (Troeltsch) für das Werdende pwe_149.028
bedeutet. Der nationale Rahmen der literarhistorischen Sicht wird unwesentlich pwe_149.029
oder in seiner Bedeutung relativiert. Toynbees Werk liefert pwe_149.030
etwa bei Curtius die Begründung, warum der eigentliche „Geschichtskörper“ pwe_149.031
die europäisch-westliche Zivilisation und nicht die einzelne pwe_149.032
Nation ist. Ursprünglich war allerdings die Einheit einer europäischen pwe_149.033
Literatur undiskutierte Voraussetzung der nationalen Literaturgeschichte, pwe_149.034
die nur als individuelle Stimme im Konzert der Völker verstanden wurde. pwe_149.035
Erst nachdem der nationale Gedanke – unter dem Einfluß der Politik und pwe_149.036
nicht zuletzt auch durch die Automatik eines nun einmal nach Nationalsprachen pwe_149.037
aufgeteilten Forschungs- und Lehrbetriebes – ad absurdum geführt
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