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Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.

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ist, wird universale1 Literaturgeschichte wieder aktuell, auf pwe_150.002
allen Ebenen von einem neuen literarischen Kosmopolitismus des Literaturfreunds pwe_150.003
bis zu den konkreten Methodenproblemen der literarhistorischen pwe_150.004
Forschung. Absichten und Wege der universalen Literaturhistorie, die an pwe_150.005
sich nichts Neues ist, sondern seit Friedrich Schlegel, seit Goethe über eine pwe_150.006
ehrwürdige Tradition verfügt, waren allerdings je nach der geschichtlichen pwe_150.007
Situation verschieden. Der Begriff der Weltliteratur hat schon bei Goethe pwe_150.008
die verschiedensten Bedeutungen, und umgekehrt ist heute der nationale pwe_150.009
Gesichtspunkt durch seine Relativierung keineswegs entwertet. Schon die pwe_150.010
Einheit des Sprachraums bildet schwer übersteigbare Grenzen. Neue Nationalliteraturen pwe_150.011
bilden sich vor unsern Augen, und z. B. das Zusichkommen pwe_150.012
einer amerikanischen Literatur und ihres Selbstbewußtseins, wie es H. M. pwe_150.013
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2 darstellt, ist sicher kein Vorgang, der bloß im Geist eines Nationalisten pwe_150.014
existiert. Selbst die Unterteilung der nationalen Literaturgeschichte pwe_150.015
in Stammes- oder Landschaftsgeschichte, die von Nadler ad absurdum pwe_150.016
geführt worden ist, behält ihren Sinn, solange sie wirkliche geschichtliche pwe_150.017
Einheiten meint3. Aber es ist zweifellos legitim, wenn heute im Spiel der pwe_150.018
sich überlagernden und überformenden Literaturen der Blick nach der pwe_150.019
höchsten Einheit, nach einer europäischen oder mondialen Literatur pwe_150.020
gerichtet wird. Gegenstand und Methoden einer entsprechenden pwe_150.021
Wissenschaft abzugrenzen, ist nicht leicht und bis heute in ganz verschiedenen pwe_150.022
Weisen versucht worden. Weltliteraturwissenschaft, bzw. vergleichende pwe_150.023
Literaturwissenschaft erscheint in mancherlei Gestalt: als Hilfswissenschaft pwe_150.024
nationaler Literarhistorien oder als internationale Enzyklopädik pwe_150.025
der nationalen Literarhistorien oder als übernationale Wissenschaft pwe_150.026
eigenen und höheren Charakters. Nicht zu vergessen ist dabei die Rolle der pwe_150.027
Kritik, sofern sie in lebendigem Umgang mit der Gegenwartsliteratur als pwe_150.028
Tageskritik oder Essayistik4 immer wieder zur Sichtung und Diskussion des pwe_150.029
weltliterarischen Erbes gelangt und im günstigen Fall eine Art weltliterarischen pwe_150.030
Gewissens entwickelt.

1 pwe_150.031
Jean Hankiss, Litterature universelle? "Helicon" I (1939), 156 ff.
2 pwe_150.032
Howard M. Jones, The Theory of American Literature. London 1949.
3 pwe_150.033
Reta Schmitz, Das Problem "Volkstum und Dichtung" bei Herder. Neue Forschungen. pwe_150.034
Bd. 31. Berlin 1937. - Hugo Moser, Der Stammesgedanke im Schrifttum pwe_150.035
der Romantik und bei Ludwig Uhland.
(In: Festschrift Paul Kluckhohn und pwe_150.036
Hermann Schneider.
Tübingen 1948.)
4 pwe_150.037
Als Beispiel seien die Essaysammlungen Max Rychners genannt: Zur europäischen pwe_150.038
Literatur zwischen zwei Weltkriegen,
Zürich 1943. Zeitgenössische Literatur, pwe_150.039
Charakteristiken und Kritiken,
Zürich 1947. Welt im Wort, Zürich 1949.

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1 pwe_150.031
Jean Hankiss, Littérature universelle? „Helicon“ I (1939), 156 ff.
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[150/0156] pwe_150.001 ist, wird universale 1 Literaturgeschichte wieder aktuell, auf pwe_150.002 allen Ebenen von einem neuen literarischen Kosmopolitismus des Literaturfreunds pwe_150.003 bis zu den konkreten Methodenproblemen der literarhistorischen pwe_150.004 Forschung. Absichten und Wege der universalen Literaturhistorie, die an pwe_150.005 sich nichts Neues ist, sondern seit Friedrich Schlegel, seit Goethe über eine pwe_150.006 ehrwürdige Tradition verfügt, waren allerdings je nach der geschichtlichen pwe_150.007 Situation verschieden. Der Begriff der Weltliteratur hat schon bei Goethe pwe_150.008 die verschiedensten Bedeutungen, und umgekehrt ist heute der nationale pwe_150.009 Gesichtspunkt durch seine Relativierung keineswegs entwertet. Schon die pwe_150.010 Einheit des Sprachraums bildet schwer übersteigbare Grenzen. Neue Nationalliteraturen pwe_150.011 bilden sich vor unsern Augen, und z. B. das Zusichkommen pwe_150.012 einer amerikanischen Literatur und ihres Selbstbewußtseins, wie es H. M. pwe_150.013 Jones 2 darstellt, ist sicher kein Vorgang, der bloß im Geist eines Nationalisten pwe_150.014 existiert. Selbst die Unterteilung der nationalen Literaturgeschichte pwe_150.015 in Stammes- oder Landschaftsgeschichte, die von Nadler ad absurdum pwe_150.016 geführt worden ist, behält ihren Sinn, solange sie wirkliche geschichtliche pwe_150.017 Einheiten meint 3. Aber es ist zweifellos legitim, wenn heute im Spiel der pwe_150.018 sich überlagernden und überformenden Literaturen der Blick nach der pwe_150.019 höchsten Einheit, nach einer europäischen oder mondialen Literatur pwe_150.020 gerichtet wird. Gegenstand und Methoden einer entsprechenden pwe_150.021 Wissenschaft abzugrenzen, ist nicht leicht und bis heute in ganz verschiedenen pwe_150.022 Weisen versucht worden. Weltliteraturwissenschaft, bzw. vergleichende pwe_150.023 Literaturwissenschaft erscheint in mancherlei Gestalt: als Hilfswissenschaft pwe_150.024 nationaler Literarhistorien oder als internationale Enzyklopädik pwe_150.025 der nationalen Literarhistorien oder als übernationale Wissenschaft pwe_150.026 eigenen und höheren Charakters. Nicht zu vergessen ist dabei die Rolle der pwe_150.027 Kritik, sofern sie in lebendigem Umgang mit der Gegenwartsliteratur als pwe_150.028 Tageskritik oder Essayistik 4 immer wieder zur Sichtung und Diskussion des pwe_150.029 weltliterarischen Erbes gelangt und im günstigen Fall eine Art weltliterarischen pwe_150.030 Gewissens entwickelt. 1 pwe_150.031 Jean Hankiss, Littérature universelle? „Helicon“ I (1939), 156 ff. 2 pwe_150.032 Howard M. Jones, The Theory of American Literature. London 1949. 3 pwe_150.033 Reta Schmitz, Das Problem „Volkstum und Dichtung“ bei Herder. Neue Forschungen. pwe_150.034 Bd. 31. Berlin 1937. – Hugo Moser, Der Stammesgedanke im Schrifttum pwe_150.035 der Romantik und bei Ludwig Uhland. (In: Festschrift Paul Kluckhohn und pwe_150.036 Hermann Schneider. Tübingen 1948.) 4 pwe_150.037 Als Beispiel seien die Essaysammlungen Max Rychners genannt: Zur europäischen pwe_150.038 Literatur zwischen zwei Weltkriegen, Zürich 1943. Zeitgenössische Literatur, pwe_150.039 Charakteristiken und Kritiken, Zürich 1947. Welt im Wort, Zürich 1949.

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Zitationshilfe: Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wehrli_poetik_1951/156>, abgerufen am 23.11.2024.