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Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.

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den verschiedensten Formen wesentlich zum Phänomen des Dichters und pwe_124.002
der Dichtung überhaupt. Besonders wo Dichtung als Sprache, als bestimmt pwe_124.003
geartetes Ausdrucks- und Kommunikationssystem untersucht wird, erscheint pwe_124.004
sie in einem sozialpsychologischen Zusammenhang, d. h. unter der pwe_124.005
Frage nach ihren Funktionen und Leistungen für das einzelmenschliche und pwe_124.006
zwischenmenschliche Verhalten. Soweit das dichterische Werk, gerade als pwe_124.007
Werk, über sich hinausweist, betrifft es nicht nur die dichterische Persönlichkeit, pwe_124.008
sondern den Dichter als Gesellschaftswesen; Dichtung ist nicht pwe_124.009
denkbar ohne ihren sozialen Aspekt, als gesellschaftsbestimmendes und -bestimmtes, pwe_124.010
als gesellschaftsrepräsentierendes Wort. Es gibt nicht nur eine pwe_124.011
Sprachsoziologie (vgl. das in angelsächsischer Tradition stehende pwe_124.012
Werk von Segerstedt1), sondern auch eine Literatursoziologie. pwe_124.013
Die Fragestellung betrifft viele Schichten, von jener von der Tiefenpsychologie pwe_124.014
erforschten Gemeinsamkeit und Gemeinschaftlichkeit kollektiv-seelischer pwe_124.015
Urformen zu den verschiedenen gesellschaftlichen (nationalen, standesmäßigen, pwe_124.016
gruppenmäßigen) Bindungen des literarischen Geschehens und pwe_124.017
höher hinauf zu den bewußten Auseinandersetzungen der dichterischen pwe_124.018
Einzelexistenz mit ihrer Umwelt; schon am Einzelwerk wird ein Schichtengefüge pwe_124.019
sozialer Stilebenen erkennbar sein. Auf alle Fälle handelt es sich hier pwe_124.020
um faßbarere und dichtungsnähere Größen als es Landschaft, Stamm oder pwe_124.021
Rasse sind.

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So ist soziologische Betrachtung der Literatur nichts anderes als eine legitime pwe_124.023
Fragestellung systematischer wie historischer Literaturwissenschaft - pwe_124.024
freilich nur, solange sie nicht den Anspruch erhebt, das literarische Geschehen pwe_124.025
vom gesellschaftlichen einseitig abzuleiten oder zu "erklären"; denn in pwe_124.026
diesem Moment wird die Literatur zum bloßen Symptom außerdichterischer pwe_124.027
Wirklichkeit. Zum mindesten ist zu unterscheiden zwischen einer primär pwe_124.028
soziologischen Fragestellung, für welche die literarischen Tatbestände pwe_124.029
nur im Rahmen einer allgemeinen Gesellschaftslehre und Gesellschaftsgeschichte pwe_124.030
wichtig werden und einer primär literaturwissenschaftlichen pwe_124.031
Betrachtung, der die gesellschaftlichen Tatbestände nichts pwe_124.032
anderes als Repräsentationen und Aspekte der dichterischen Welt selber pwe_124.033
sind.

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Die allgemeinsten Perspektiven leiten den Blick über die eigentlich soziologische pwe_124.035
Fragestellung hinaus in eine allgemeine Kulturphilosophie. pwe_124.036
In diesem Zusammenhang muß wohl auf das kaum absehbare

1 pwe_124.037
Torgny T. Segerstedt, Die Macht des Wortes. Eine Sprachsoziologie. Aus dem pwe_124.038
Schwedischen.
Zürich 1947.

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den verschiedensten Formen wesentlich zum Phänomen des Dichters und pwe_124.002
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Rasse sind.

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Fragestellung systematischer wie historischer Literaturwissenschaft – pwe_124.024
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Fragestellung hinaus in eine allgemeine Kulturphilosophie. pwe_124.036
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[124/0130] pwe_124.001 den verschiedensten Formen wesentlich zum Phänomen des Dichters und pwe_124.002 der Dichtung überhaupt. Besonders wo Dichtung als Sprache, als bestimmt pwe_124.003 geartetes Ausdrucks- und Kommunikationssystem untersucht wird, erscheint pwe_124.004 sie in einem sozialpsychologischen Zusammenhang, d. h. unter der pwe_124.005 Frage nach ihren Funktionen und Leistungen für das einzelmenschliche und pwe_124.006 zwischenmenschliche Verhalten. Soweit das dichterische Werk, gerade als pwe_124.007 Werk, über sich hinausweist, betrifft es nicht nur die dichterische Persönlichkeit, pwe_124.008 sondern den Dichter als Gesellschaftswesen; Dichtung ist nicht pwe_124.009 denkbar ohne ihren sozialen Aspekt, als gesellschaftsbestimmendes und -bestimmtes, pwe_124.010 als gesellschaftsrepräsentierendes Wort. Es gibt nicht nur eine pwe_124.011 Sprachsoziologie (vgl. das in angelsächsischer Tradition stehende pwe_124.012 Werk von Segerstedt 1), sondern auch eine Literatursoziologie. pwe_124.013 Die Fragestellung betrifft viele Schichten, von jener von der Tiefenpsychologie pwe_124.014 erforschten Gemeinsamkeit und Gemeinschaftlichkeit kollektiv-seelischer pwe_124.015 Urformen zu den verschiedenen gesellschaftlichen (nationalen, standesmäßigen, pwe_124.016 gruppenmäßigen) Bindungen des literarischen Geschehens und pwe_124.017 höher hinauf zu den bewußten Auseinandersetzungen der dichterischen pwe_124.018 Einzelexistenz mit ihrer Umwelt; schon am Einzelwerk wird ein Schichtengefüge pwe_124.019 sozialer Stilebenen erkennbar sein. Auf alle Fälle handelt es sich hier pwe_124.020 um faßbarere und dichtungsnähere Größen als es Landschaft, Stamm oder pwe_124.021 Rasse sind. pwe_124.022   So ist soziologische Betrachtung der Literatur nichts anderes als eine legitime pwe_124.023 Fragestellung systematischer wie historischer Literaturwissenschaft – pwe_124.024 freilich nur, solange sie nicht den Anspruch erhebt, das literarische Geschehen pwe_124.025 vom gesellschaftlichen einseitig abzuleiten oder zu „erklären“; denn in pwe_124.026 diesem Moment wird die Literatur zum bloßen Symptom außerdichterischer pwe_124.027 Wirklichkeit. Zum mindesten ist zu unterscheiden zwischen einer primär pwe_124.028 soziologischen Fragestellung, für welche die literarischen Tatbestände pwe_124.029 nur im Rahmen einer allgemeinen Gesellschaftslehre und Gesellschaftsgeschichte pwe_124.030 wichtig werden und einer primär literaturwissenschaftlichen pwe_124.031 Betrachtung, der die gesellschaftlichen Tatbestände nichts pwe_124.032 anderes als Repräsentationen und Aspekte der dichterischen Welt selber pwe_124.033 sind. pwe_124.034   Die allgemeinsten Perspektiven leiten den Blick über die eigentlich soziologische pwe_124.035 Fragestellung hinaus in eine allgemeine Kulturphilosophie. pwe_124.036 In diesem Zusammenhang muß wohl auf das kaum absehbare 1 pwe_124.037 Torgny T. Segerstedt, Die Macht des Wortes. Eine Sprachsoziologie. Aus dem pwe_124.038 Schwedischen. Zürich 1947.

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Zitationshilfe: Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wehrli_poetik_1951/130>, abgerufen am 25.11.2024.