Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.pwe_116.001 Diesen Schwierigkeiten und Widersprüchen gegenüber kann man nur auf pwe_116.002 Es ist sicher kaum mehr möglich, in strengem Sinn das Werk aus Seelenkräften pwe_116.016 Daß die Dichterbiographie als Biographie die Grenzen der Literaturwissenschaft pwe_116.035 1 pwe_116.038
Wilhelm Krämer, Das Leben des schlesischen Dichters Johann Christian Günther pwe_116.039 1695-1723. o. O. (Godesberg) 1950. pwe_116.001 Diesen Schwierigkeiten und Widersprüchen gegenüber kann man nur auf pwe_116.002 Es ist sicher kaum mehr möglich, in strengem Sinn das Werk aus Seelenkräften pwe_116.016 Daß die Dichterbiographie als Biographie die Grenzen der Literaturwissenschaft pwe_116.035 1 pwe_116.038
Wilhelm Krämer, Das Leben des schlesischen Dichters Johann Christian Günther pwe_116.039 1695–1723. o. O. (Godesberg) 1950. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0122" n="116"/> <lb n="pwe_116.001"/> <p> Diesen Schwierigkeiten und Widersprüchen gegenüber kann man nur auf <lb n="pwe_116.002"/> das noch immer rätselhafte und höchstens phänomenologisch beschreibbare <lb n="pwe_116.003"/> Verhältnis von Werk und Mensch selber verweisen: das Einzelwerk ist <lb n="pwe_116.004"/> immer Menschenwerk, d. h. kein Ding, sondern Zeichen, es transzendiert <lb n="pwe_116.005"/> sich selbst und ist damit unlösbar eingebettet u. a. auch in einen persönlichen <lb n="pwe_116.006"/> und persongeschichtlichen Zusammenhang; es gibt den <hi rendition="#g">Personalstil</hi> <lb n="pwe_116.007"/> und die dichterische <hi rendition="#g">Persönlichkeit</hi> als legitimen, ja notwendigen <lb n="pwe_116.008"/> Forschungsgegenstand. Anderseits ist aber der Dichter als Persönlichkeit <lb n="pwe_116.009"/> nicht mit seiner „<hi rendition="#g">dichterischen</hi> Persönlichkeit“ identisch, so <lb n="pwe_116.010"/> wahr er nicht nur Dichter, sondern auch sittlicher, physischer, religiöser usw. <lb n="pwe_116.011"/> Mensch ist, was sich durchaus nicht alles ohne weiteres zu decken braucht. <lb n="pwe_116.012"/> Die Gesamtpersönlichkeit und ihr Schicksal kann das Werk umgreifen und <lb n="pwe_116.013"/> überschatten oder sie kann hinter dem Werk zurückbleiben oder neben ihm <lb n="pwe_116.014"/> ihr eigenes Leben haben.</p> <lb n="pwe_116.015"/> <p> Es ist sicher kaum mehr möglich, in strengem Sinn das Werk aus Seelenkräften <lb n="pwe_116.016"/> und Ideen abzuleiten, und auch das Unterfangen, eine Dichterbiographie <lb n="pwe_116.017"/> im Sinne des herkömmlichen Wechselspiels von Leben und Werk <lb n="pwe_116.018"/> zu schreiben, ist, mit <hi rendition="#k">Horst Oppel,</hi> fragwürdig geworden. Aber dennoch <lb n="pwe_116.019"/> bleibt das Interesse für das Leben des Dichters an sich legitim und ebenso <lb n="pwe_116.020"/> die <hi rendition="#g">Dichterbiographie</hi> als Gattung. Und zwar nicht nur im Sinne <lb n="pwe_116.021"/> einer strengen Stilbiographie, etwa in der Art der Monographien der George- <lb n="pwe_116.022"/> Schule, die das Leben nur vom Werk aus, den Dichter, nur soweit er Dichter <lb n="pwe_116.023"/> ist, in den Blick fassen wollen. Sondern auch als chronologische Beschreibung <lb n="pwe_116.024"/> eines persönlichen Lebens in der Vielfalt seiner dichterischen und <lb n="pwe_116.025"/> außerdichterischen Aspekte. Wer wollte sich in verkrampfter l'art pour <lb n="pwe_116.026"/> l'art-Gesinnung Scheuklappen anlegen, wenn etwa bei einem bisher dem <lb n="pwe_116.027"/> Werke nach gut und dem Leben nach nur ungenau bekannten Dichter wie <lb n="pwe_116.028"/> Johann Christian Günther die biographisch-historische Forschung eine <lb n="pwe_116.029"/> Menge neues Material entdeckt und die Lebensgeschichte nun in allen Einzelheiten <lb n="pwe_116.030"/> vorlegt? Auch wenn <hi rendition="#k">Wilhelm Krämers</hi><note xml:id="PWE_116_1" place="foot" n="1"><lb n="pwe_116.038"/> Wilhelm Krämer, <hi rendition="#i">Das Leben des schlesischen Dichters Johann Christian Günther</hi> <lb n="pwe_116.039"/> 1695–1723. o. O. (Godesberg) 1950.</note> Biographie in Stil und <lb n="pwe_116.031"/> Deutung noch nüchterner, sachlicher sein könnte, so gibt es doch zu denken, <lb n="pwe_116.032"/> wenn er sagt: „Man gewinnt die oft belächelte Anschauung Rankes wieder, <lb n="pwe_116.033"/> daß es möglich und geboten sei, etwas festzustellen, ,wie es gewesen ist‘“.</p> <lb n="pwe_116.034"/> <p> Daß die Dichterbiographie als Biographie die Grenzen der Literaturwissenschaft <lb n="pwe_116.035"/> nach der allgemeinen Historie, nach der Ethik, nach der Psychologie <lb n="pwe_116.036"/> überschreitet und in ihr der Dichter wie irgend ein anderer vir illustris Gegenstand <lb n="pwe_116.037"/> der Beschreibung wird, das ist kein Schade. Die Biographie hat ihr </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [116/0122]
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Diesen Schwierigkeiten und Widersprüchen gegenüber kann man nur auf pwe_116.002
das noch immer rätselhafte und höchstens phänomenologisch beschreibbare pwe_116.003
Verhältnis von Werk und Mensch selber verweisen: das Einzelwerk ist pwe_116.004
immer Menschenwerk, d. h. kein Ding, sondern Zeichen, es transzendiert pwe_116.005
sich selbst und ist damit unlösbar eingebettet u. a. auch in einen persönlichen pwe_116.006
und persongeschichtlichen Zusammenhang; es gibt den Personalstil pwe_116.007
und die dichterische Persönlichkeit als legitimen, ja notwendigen pwe_116.008
Forschungsgegenstand. Anderseits ist aber der Dichter als Persönlichkeit pwe_116.009
nicht mit seiner „dichterischen Persönlichkeit“ identisch, so pwe_116.010
wahr er nicht nur Dichter, sondern auch sittlicher, physischer, religiöser usw. pwe_116.011
Mensch ist, was sich durchaus nicht alles ohne weiteres zu decken braucht. pwe_116.012
Die Gesamtpersönlichkeit und ihr Schicksal kann das Werk umgreifen und pwe_116.013
überschatten oder sie kann hinter dem Werk zurückbleiben oder neben ihm pwe_116.014
ihr eigenes Leben haben.
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Es ist sicher kaum mehr möglich, in strengem Sinn das Werk aus Seelenkräften pwe_116.016
und Ideen abzuleiten, und auch das Unterfangen, eine Dichterbiographie pwe_116.017
im Sinne des herkömmlichen Wechselspiels von Leben und Werk pwe_116.018
zu schreiben, ist, mit Horst Oppel, fragwürdig geworden. Aber dennoch pwe_116.019
bleibt das Interesse für das Leben des Dichters an sich legitim und ebenso pwe_116.020
die Dichterbiographie als Gattung. Und zwar nicht nur im Sinne pwe_116.021
einer strengen Stilbiographie, etwa in der Art der Monographien der George- pwe_116.022
Schule, die das Leben nur vom Werk aus, den Dichter, nur soweit er Dichter pwe_116.023
ist, in den Blick fassen wollen. Sondern auch als chronologische Beschreibung pwe_116.024
eines persönlichen Lebens in der Vielfalt seiner dichterischen und pwe_116.025
außerdichterischen Aspekte. Wer wollte sich in verkrampfter l'art pour pwe_116.026
l'art-Gesinnung Scheuklappen anlegen, wenn etwa bei einem bisher dem pwe_116.027
Werke nach gut und dem Leben nach nur ungenau bekannten Dichter wie pwe_116.028
Johann Christian Günther die biographisch-historische Forschung eine pwe_116.029
Menge neues Material entdeckt und die Lebensgeschichte nun in allen Einzelheiten pwe_116.030
vorlegt? Auch wenn Wilhelm Krämers 1 Biographie in Stil und pwe_116.031
Deutung noch nüchterner, sachlicher sein könnte, so gibt es doch zu denken, pwe_116.032
wenn er sagt: „Man gewinnt die oft belächelte Anschauung Rankes wieder, pwe_116.033
daß es möglich und geboten sei, etwas festzustellen, ,wie es gewesen ist‘“.
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Daß die Dichterbiographie als Biographie die Grenzen der Literaturwissenschaft pwe_116.035
nach der allgemeinen Historie, nach der Ethik, nach der Psychologie pwe_116.036
überschreitet und in ihr der Dichter wie irgend ein anderer vir illustris Gegenstand pwe_116.037
der Beschreibung wird, das ist kein Schade. Die Biographie hat ihr
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1695–1723. o. O. (Godesberg) 1950.
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