Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.pwe_105.001 Als ein Schlüsselbegriff der Interpretation höherer Ordnung erscheint die pwe_105.010 1 pwe_105.039
Wilhelm Emrich, Die Symbolik von Faust II. Sinn und Vorformen. Berlin pwe_105.040 1943. pwe_105.001 Als ein Schlüsselbegriff der Interpretation höherer Ordnung erscheint die pwe_105.010 1 pwe_105.039
Wilhelm Emrich, Die Symbolik von Faust II. Sinn und Vorformen. Berlin pwe_105.040 1943. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0111" n="105"/><lb n="pwe_105.001"/> gestaltet würde, sondern diese Wirklichkeit ist immer eine bestimmt gesehene, <lb n="pwe_105.002"/> gestaltete Überlieferung, d. h. Stoff ist nichts anderes als die Stoff- <lb n="pwe_105.003"/> <hi rendition="#g">Quelle,</hi> die „Vorlage“. Was dann zwei Werke desselben Stoffes einander <lb n="pwe_105.004"/> verbindet, das ist entweder nur die Äußerlichkeit eines Namens oder <lb n="pwe_105.005"/> dann eben doch nichts anderes als ein Motivzusammenhang. Stoff als literarische <lb n="pwe_105.006"/> Quelle kommt damit weniger bei einer stilanalytischen Betrachtung <lb n="pwe_105.007"/> zu Gesicht als bei einer historischen oder vergleichenden Betrachtung <lb n="pwe_105.008"/> von Werkgruppen und Reihen (vgl. unten S. 146 f.).</p> <lb n="pwe_105.009"/> <p> Als ein Schlüsselbegriff der Interpretation höherer Ordnung erscheint die <lb n="pwe_105.010"/> dichterische Welt des <hi rendition="#g">Symbols</hi> bei <hi rendition="#k">Wilhelm Emrich,</hi> dessen Faustbuch<note xml:id="PWE_105_1" place="foot" n="1"><lb n="pwe_105.039"/> Wilhelm Emrich, <hi rendition="#i">Die Symbolik von Faust II. Sinn und Vorformen.</hi> Berlin <lb n="pwe_105.040"/> 1943.</note> <lb n="pwe_105.011"/> eine der imposantesten Leistungen der neueren Germanistik ist, <lb n="pwe_105.012"/> wenn auch in seinem Reichtum schwer überschaubar. Es ist eine minutiöse <lb n="pwe_105.013"/> Interpretation von Faust II auf Grund einer „Entstehungsgeschichte der <lb n="pwe_105.014"/> spätgoetheschen Symbolik auf der ganzen Breite der Vorstellungswelt <lb n="pwe_105.015"/> Goethes“. Es soll das „Symbol- und Bildnetz“ oder das symbolische Schichtengefüge <lb n="pwe_105.016"/> (daher „Schichteninterpretation“) des Werkes genetisch, d. h. <lb n="pwe_105.017"/> in seinen „streng gesetzlichen“ Wandlungen aufgewiesen werden. Goethes <lb n="pwe_105.018"/> Alterswerk lasse sich in der bloßen Interpretation aus einem „Plan“, aus <lb n="pwe_105.019"/> einem „Werkganzen“ niemals befriedigend erklären; die Inhaltsinterpretation <lb n="pwe_105.020"/> wie die Interpretation aus der Sprachform (bei <hi rendition="#k">Kurt May</hi>) <lb n="pwe_105.021"/> führe zu Unstimmigkeiten oder verfehle das Wesentliche, und die <lb n="pwe_105.022"/> historische Motivinterpretation biographischer Art halte sich am Motiv <lb n="pwe_105.023"/> statt an der Symbolgestalt des Motivs. Von den lebendigen Symbolkomplexen <lb n="pwe_105.024"/> und -schichten aus, die als Funktionen zu verstehen und nicht <lb n="pwe_105.025"/> etwa auf Inhalte zu fixieren sind, soll nicht nur die Sinnstruktur des <lb n="pwe_105.026"/> Werkes deutlicher werden, sondern es soll dieses Werk selber in seiner <lb n="pwe_105.027"/> „Wachstumsgestalt“ innerhalb der geschichtlichen Entfaltung von Goethes <lb n="pwe_105.028"/> Gesamtwerk erscheinen. Gewiß bleibt diese Methode auf den Ausnahmefall <lb n="pwe_105.029"/> des Faust II bezogen und wird nicht einmal hier das Gesamtwerk voll <lb n="pwe_105.030"/> erfassen können; aber die Tragweite eines beweglich genug gefaßten <lb n="pwe_105.031"/> Symbolbegriffs für die Interpretation ist von Emrich noch großartig genug <lb n="pwe_105.032"/> dargetan. Vor allem aber scheint hier auch die stilkritische Methode auf <lb n="pwe_105.033"/> eine weitere und höhere Ebene gehoben insofern, als diese Symbolgenetik <lb n="pwe_105.034"/> versucht, ernsthaft Werkinterpretation und Historie zu verbinden und <lb n="pwe_105.035"/> die „geheimnisvolle Verschränkung von Geschichtlichkeit und Ursprünglichkeit“ <lb n="pwe_105.036"/> darzustellen, womit auch die „historische Skepsis“, die in der <lb n="pwe_105.037"/> Stilkritik zu einer „Sinndeutung aus geschichtsloser Gegenwart“ führt, <lb n="pwe_105.038"/> überwunden wäre.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [105/0111]
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gestaltet würde, sondern diese Wirklichkeit ist immer eine bestimmt gesehene, pwe_105.002
gestaltete Überlieferung, d. h. Stoff ist nichts anderes als die Stoff- pwe_105.003
Quelle, die „Vorlage“. Was dann zwei Werke desselben Stoffes einander pwe_105.004
verbindet, das ist entweder nur die Äußerlichkeit eines Namens oder pwe_105.005
dann eben doch nichts anderes als ein Motivzusammenhang. Stoff als literarische pwe_105.006
Quelle kommt damit weniger bei einer stilanalytischen Betrachtung pwe_105.007
zu Gesicht als bei einer historischen oder vergleichenden Betrachtung pwe_105.008
von Werkgruppen und Reihen (vgl. unten S. 146 f.).
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Als ein Schlüsselbegriff der Interpretation höherer Ordnung erscheint die pwe_105.010
dichterische Welt des Symbols bei Wilhelm Emrich, dessen Faustbuch 1 pwe_105.011
eine der imposantesten Leistungen der neueren Germanistik ist, pwe_105.012
wenn auch in seinem Reichtum schwer überschaubar. Es ist eine minutiöse pwe_105.013
Interpretation von Faust II auf Grund einer „Entstehungsgeschichte der pwe_105.014
spätgoetheschen Symbolik auf der ganzen Breite der Vorstellungswelt pwe_105.015
Goethes“. Es soll das „Symbol- und Bildnetz“ oder das symbolische Schichtengefüge pwe_105.016
(daher „Schichteninterpretation“) des Werkes genetisch, d. h. pwe_105.017
in seinen „streng gesetzlichen“ Wandlungen aufgewiesen werden. Goethes pwe_105.018
Alterswerk lasse sich in der bloßen Interpretation aus einem „Plan“, aus pwe_105.019
einem „Werkganzen“ niemals befriedigend erklären; die Inhaltsinterpretation pwe_105.020
wie die Interpretation aus der Sprachform (bei Kurt May) pwe_105.021
führe zu Unstimmigkeiten oder verfehle das Wesentliche, und die pwe_105.022
historische Motivinterpretation biographischer Art halte sich am Motiv pwe_105.023
statt an der Symbolgestalt des Motivs. Von den lebendigen Symbolkomplexen pwe_105.024
und -schichten aus, die als Funktionen zu verstehen und nicht pwe_105.025
etwa auf Inhalte zu fixieren sind, soll nicht nur die Sinnstruktur des pwe_105.026
Werkes deutlicher werden, sondern es soll dieses Werk selber in seiner pwe_105.027
„Wachstumsgestalt“ innerhalb der geschichtlichen Entfaltung von Goethes pwe_105.028
Gesamtwerk erscheinen. Gewiß bleibt diese Methode auf den Ausnahmefall pwe_105.029
des Faust II bezogen und wird nicht einmal hier das Gesamtwerk voll pwe_105.030
erfassen können; aber die Tragweite eines beweglich genug gefaßten pwe_105.031
Symbolbegriffs für die Interpretation ist von Emrich noch großartig genug pwe_105.032
dargetan. Vor allem aber scheint hier auch die stilkritische Methode auf pwe_105.033
eine weitere und höhere Ebene gehoben insofern, als diese Symbolgenetik pwe_105.034
versucht, ernsthaft Werkinterpretation und Historie zu verbinden und pwe_105.035
die „geheimnisvolle Verschränkung von Geschichtlichkeit und Ursprünglichkeit“ pwe_105.036
darzustellen, womit auch die „historische Skepsis“, die in der pwe_105.037
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1943.
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