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Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903].

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Alwa. Sie hätte als Kaiserin von Rußland ge-
boren werden müssen. Da wäre sie an ihrem Platz ge-
wesen. Eine zweite Katharina die Zweite.

(Lulu kommt mit einem Paar ausgetretener Stiefeletten aus ihrer
Kammer zurück und setzt sich auf die Diele, um sie anzuziehen.)
Lulu. Wenn ich nur nicht kopfüber die Treppe
hinunterstürze! -- Hu, wie kalt! -- -- Giebt es etwas
Traurigeres auf dieser Welt als ein Freudenmädchen!
Schigolch. Geduld, Geduld! Es muß nur erst der
richtige Zug ins Geschäft kommen.
Lulu. Mir soll's recht sein; um mich ist es nicht
mehr schade.
(Sie setzt die Whiskyflasche an.) Ca me chauffe!
Ca m'excite!
-- Oh verflucht!

(Sie geht wankend durch die Mittelthür ab.)
Schigolch. Wenn wir sie kommen hören, müssen
wir uns so lange in meinen Verschlag verkriechen.
Alwa. Es ist ein Jammer um sie! -- Wenn ich
zurückdenke -- ich bin doch gewissermaßen mit ihr zu-
sammen aufgewachsen.
Schigolch. Solange ich lebe, hält sie jedenfalls
noch vor.
Alwa. Wir verkehrten anfangs miteinander wie
Bruder und Schwester. Mama lebte damals noch. Ich
traf sie eines Morgens zufällig bei der Toilette. Doktor
Goll war zu einer Konsultation gerufen worden. Ihr
Friseur hatte mein erstes Gedicht gelesen, das ich in der
"Gesellschaft" hatte drucken lassen --: "Hetz Deine Meute
weit über die Berge hin; sie kehrt wieder von Schweiß
und von Staub bedeckt ..."
Schigolch. Oh yes!
Alwa. -- Und dann kam sie in Rosa-Tüll -- sie
trug nichts darunter als ein weißes Atlasmieder -- auf
den Ball beim spanischen Gesandten. Doktor Goll schien
Alwa. Sie hätte als Kaiſerin von Rußland ge-
boren werden müſſen. Da wäre ſie an ihrem Platz ge-
weſen. Eine zweite Katharina die Zweite.

(Lulu kommt mit einem Paar ausgetretener Stiefeletten aus ihrer
Kammer zurück und ſetzt ſich auf die Diele, um ſie anzuziehen.)
Lulu. Wenn ich nur nicht kopfüber die Treppe
hinunterſtürze! — Hu, wie kalt! — — Giebt es etwas
Traurigeres auf dieſer Welt als ein Freudenmädchen!
Schigolch. Geduld, Geduld! Es muß nur erſt der
richtige Zug ins Geſchäft kommen.
Lulu. Mir ſoll’s recht ſein; um mich iſt es nicht
mehr ſchade.
(Sie ſetzt die Whiskyflaſche an.) Ça me chauffe!
Ça m’excite!
— Oh verflucht!

(Sie geht wankend durch die Mittelthür ab.)
Schigolch. Wenn wir ſie kommen hören, müſſen
wir uns ſo lange in meinen Verſchlag verkriechen.
Alwa. Es iſt ein Jammer um ſie! — Wenn ich
zurückdenke — ich bin doch gewiſſermaßen mit ihr zu-
ſammen aufgewachſen.
Schigolch. Solange ich lebe, hält ſie jedenfalls
noch vor.
Alwa. Wir verkehrten anfangs miteinander wie
Bruder und Schweſter. Mama lebte damals noch. Ich
traf ſie eines Morgens zufällig bei der Toilette. Doktor
Goll war zu einer Konſultation gerufen worden. Ihr
Friſeur hatte mein erſtes Gedicht geleſen, das ich in der
„Geſellſchaft“ hatte drucken laſſen —: „Hetz Deine Meute
weit über die Berge hin; ſie kehrt wieder von Schweiß
und von Staub bedeckt …“
Schigolch. Oh yes!
Alwa. — Und dann kam ſie in Roſa-Tüll — ſie
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[66/0074] Alwa. Sie hätte als Kaiſerin von Rußland ge- boren werden müſſen. Da wäre ſie an ihrem Platz ge- weſen. Eine zweite Katharina die Zweite. (Lulu kommt mit einem Paar ausgetretener Stiefeletten aus ihrer Kammer zurück und ſetzt ſich auf die Diele, um ſie anzuziehen.) Lulu. Wenn ich nur nicht kopfüber die Treppe hinunterſtürze! — Hu, wie kalt! — — Giebt es etwas Traurigeres auf dieſer Welt als ein Freudenmädchen! Schigolch. Geduld, Geduld! Es muß nur erſt der richtige Zug ins Geſchäft kommen. Lulu. Mir ſoll’s recht ſein; um mich iſt es nicht mehr ſchade. (Sie ſetzt die Whiskyflaſche an.) Ça me chauffe! Ça m’excite! — Oh verflucht! (Sie geht wankend durch die Mittelthür ab.) Schigolch. Wenn wir ſie kommen hören, müſſen wir uns ſo lange in meinen Verſchlag verkriechen. Alwa. Es iſt ein Jammer um ſie! — Wenn ich zurückdenke — ich bin doch gewiſſermaßen mit ihr zu- ſammen aufgewachſen. Schigolch. Solange ich lebe, hält ſie jedenfalls noch vor. Alwa. Wir verkehrten anfangs miteinander wie Bruder und Schweſter. Mama lebte damals noch. Ich traf ſie eines Morgens zufällig bei der Toilette. Doktor Goll war zu einer Konſultation gerufen worden. Ihr Friſeur hatte mein erſtes Gedicht geleſen, das ich in der „Geſellſchaft“ hatte drucken laſſen —: „Hetz Deine Meute weit über die Berge hin; ſie kehrt wieder von Schweiß und von Staub bedeckt …“ Schigolch. Oh yes! Alwa. — Und dann kam ſie in Roſa-Tüll — ſie trug nichts darunter als ein weißes Atlasmieder — auf den Ball beim ſpaniſchen Geſandten. Doktor Goll ſchien

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Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903], S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902/74>, abgerufen am 24.11.2024.