Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903].
in dieser Behausung nicht mehr viel älter werden. Von den Zehenspitzen aufwärts habe ich schon seit Paris kein Gefühl mehr. Nachgerade wird es auch Zeit für mich. -- Und dann die Reiselust, die mich in Atem hält. Gegen Mitternacht werde ich im Kosmopolitan-Klub doch wohl noch einen Sodom-Whisky trinken. Gestern sagte mir die Bar-Maid, ich hätte noch Aussicht, ihr Geliebter zu werden. Lulu. In des drei Teufels Namen, ich gehe hin- unter! (Sie nimmt die Whiskyflasche vom Blumentisch und setzt sie an den Mund.) Schigolch. Damit man Dich auf eine halbe Stunde weit kommen riecht! Lulu. Ich trinke nicht alles. Alwa. Du gehst nicht hinunter, mein Weib! Du gehst nicht hinunter! Ich verbiete es Dir! Lulu. Was willst Du Deinem Weibe verbieten, das Du nicht ernähren kannst? Alwa. Wer ist daran schuld?! Wer anders als meine Frau hat mich auf das Krankenlager gebracht. Lulu. Bin ich krank? Alwa. Wer hat mich in den Kot geschleift? -- Wer hat mich zum Mörder meines Vaters gemacht? Lulu. Hast Du ihn erschossen? -- Er hat nicht viel verloren; aber wenn ich Dich dort liegen sehe, dann möchte ich mir beide Hände dafür abhacken, daß ich mich so gegen meine Vernunft versündigt habe! -- (Sie geht nach links in ihre Kammer.) Alwa. Sie hat es mir von ihrem Casti Piani übermacht. Sie selbst ist allerdings längst nicht mehr dafür erreichbar. Schigolch. Solche Teufelsracker können gar nicht früh genug mit dem Erdulden anfangen, wenn noch Engel daraus werden sollen. 5
in dieſer Behauſung nicht mehr viel älter werden. Von den Zehenſpitzen aufwärts habe ich ſchon ſeit Paris kein Gefühl mehr. Nachgerade wird es auch Zeit für mich. — Und dann die Reiſeluſt, die mich in Atem hält. Gegen Mitternacht werde ich im Kosmopolitan-Klub doch wohl noch einen Sodom-Whisky trinken. Geſtern ſagte mir die Bar-Maid, ich hätte noch Ausſicht, ihr Geliebter zu werden. Lulu. In des drei Teufels Namen, ich gehe hin- unter! (Sie nimmt die Whiskyflaſche vom Blumentiſch und ſetzt ſie an den Mund.) Schigolch. Damit man Dich auf eine halbe Stunde weit kommen riecht! Lulu. Ich trinke nicht alles. Alwa. Du gehſt nicht hinunter, mein Weib! Du gehſt nicht hinunter! Ich verbiete es Dir! Lulu. Was willſt Du Deinem Weibe verbieten, das Du nicht ernähren kannſt? Alwa. Wer iſt daran ſchuld?! Wer anders als meine Frau hat mich auf das Krankenlager gebracht. Lulu. Bin ich krank? Alwa. Wer hat mich in den Kot geſchleift? — Wer hat mich zum Mörder meines Vaters gemacht? Lulu. Haſt Du ihn erſchoſſen? — Er hat nicht viel verloren; aber wenn ich Dich dort liegen ſehe, dann möchte ich mir beide Hände dafür abhacken, daß ich mich ſo gegen meine Vernunft verſündigt habe! — (Sie geht nach links in ihre Kammer.) Alwa. Sie hat es mir von ihrem Caſti Piani übermacht. Sie ſelbſt iſt allerdings längſt nicht mehr dafür erreichbar. Schigolch. Solche Teufelsracker können gar nicht früh genug mit dem Erdulden anfangen, wenn noch Engel daraus werden ſollen. 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#SCH"> <p><pb facs="#f0073" n="65"/> in dieſer Behauſung nicht mehr viel älter werden. Von<lb/> den Zehenſpitzen aufwärts habe ich ſchon ſeit Paris kein<lb/> Gefühl mehr. Nachgerade wird es auch Zeit für mich.<lb/> — Und dann die Reiſeluſt, die mich in Atem hält.<lb/> Gegen Mitternacht werde ich im Kosmopolitan-Klub<lb/> doch wohl noch einen Sodom-Whisky trinken. Geſtern<lb/> ſagte mir die Bar-Maid, ich hätte noch Ausſicht, ihr<lb/> Geliebter zu werden.</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker> <p>In des drei Teufels Namen, ich gehe hin-<lb/> unter!</p> <stage>(Sie nimmt die Whiskyflaſche vom Blumentiſch und ſetzt ſie<lb/> an den Mund.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#SCH"> <speaker><hi rendition="#g">Schigolch</hi>.</speaker> <p>Damit man Dich auf eine halbe Stunde<lb/> weit kommen riecht!</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker> <p>Ich trinke nicht alles.</p> </sp><lb/> <sp who="#ALW"> <speaker><hi rendition="#g">Alwa</hi>.</speaker> <p>Du gehſt nicht hinunter, mein Weib! Du<lb/> gehſt nicht hinunter! Ich verbiete es Dir!</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker> <p>Was willſt Du Deinem Weibe verbieten,<lb/> das Du nicht ernähren kannſt?</p> </sp><lb/> <sp who="#ALW"> <speaker><hi rendition="#g">Alwa</hi>.</speaker> <p>Wer iſt daran ſchuld?! Wer anders als<lb/> meine Frau hat mich auf das Krankenlager gebracht.</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker> <p>Bin ich krank?</p> </sp><lb/> <sp who="#ALW"> <speaker><hi rendition="#g">Alwa</hi>.</speaker> <p>Wer hat mich in den Kot geſchleift? —<lb/> Wer hat mich zum Mörder meines Vaters gemacht?</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker> <p>Haſt Du ihn erſchoſſen? — Er hat nicht viel<lb/> verloren; aber wenn ich Dich dort liegen ſehe, dann<lb/> möchte ich mir beide Hände dafür abhacken, daß ich mich<lb/> ſo gegen meine Vernunft verſündigt habe! —</p> <stage>(Sie geht<lb/> nach links in ihre Kammer.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#ALW"> <speaker><hi rendition="#g">Alwa</hi>.</speaker> <p>Sie hat es mir von ihrem Caſti Piani übermacht.<lb/> Sie ſelbſt iſt allerdings längſt nicht mehr dafür erreichbar.</p> </sp><lb/> <sp who="#SCH"> <speaker><hi rendition="#g">Schigolch</hi>.</speaker> <p>Solche Teufelsracker können gar nicht<lb/> früh genug mit dem Erdulden anfangen, wenn noch<lb/> Engel daraus werden ſollen.</p> </sp><lb/> <fw place="bottom" type="sig">5</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [65/0073]
in dieſer Behauſung nicht mehr viel älter werden. Von
den Zehenſpitzen aufwärts habe ich ſchon ſeit Paris kein
Gefühl mehr. Nachgerade wird es auch Zeit für mich.
— Und dann die Reiſeluſt, die mich in Atem hält.
Gegen Mitternacht werde ich im Kosmopolitan-Klub
doch wohl noch einen Sodom-Whisky trinken. Geſtern
ſagte mir die Bar-Maid, ich hätte noch Ausſicht, ihr
Geliebter zu werden.
Lulu. In des drei Teufels Namen, ich gehe hin-
unter! (Sie nimmt die Whiskyflaſche vom Blumentiſch und ſetzt ſie
an den Mund.)
Schigolch. Damit man Dich auf eine halbe Stunde
weit kommen riecht!
Lulu. Ich trinke nicht alles.
Alwa. Du gehſt nicht hinunter, mein Weib! Du
gehſt nicht hinunter! Ich verbiete es Dir!
Lulu. Was willſt Du Deinem Weibe verbieten,
das Du nicht ernähren kannſt?
Alwa. Wer iſt daran ſchuld?! Wer anders als
meine Frau hat mich auf das Krankenlager gebracht.
Lulu. Bin ich krank?
Alwa. Wer hat mich in den Kot geſchleift? —
Wer hat mich zum Mörder meines Vaters gemacht?
Lulu. Haſt Du ihn erſchoſſen? — Er hat nicht viel
verloren; aber wenn ich Dich dort liegen ſehe, dann
möchte ich mir beide Hände dafür abhacken, daß ich mich
ſo gegen meine Vernunft verſündigt habe! — (Sie geht
nach links in ihre Kammer.)
Alwa. Sie hat es mir von ihrem Caſti Piani übermacht.
Sie ſelbſt iſt allerdings längſt nicht mehr dafür erreichbar.
Schigolch. Solche Teufelsracker können gar nicht
früh genug mit dem Erdulden anfangen, wenn noch
Engel daraus werden ſollen.
5
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902/73 |
Zitationshilfe: | Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903], S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902/73>, abgerufen am 03.07.2024. |