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Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903].

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Alwa. Und ich sehne mich noch nach einem saftigen
Steak und einer Cigarette; dann sterben! -- Mir träumte
eben von einer Cigarette, wie ich sie noch nie geraucht habe.
Schigolch. Sie sieht uns lieber vor ihren Augen
krepieren, als daß sie sich zu unserer Erlösung ein Ver-
gnügen macht.
Lulu. Die Menschen auf der Straße lassen mir
eher Mantel und Rock in den Händen, ehe sie umsonst
mitgehen. Hättet Ihr meine Kleider nicht verkauft, dann
brauchte ich wenigstens das Laternenlicht nicht zu scheuen.
Ich möchte das Weib sehen, das in den Lumpen, die ich
am Leib trage, noch was verdient.
Alwa. Ich habe nichts Menschliches unversucht ge-
lassen. Solange ich noch Geld hatte, brachte ich Nächte
damit hin, Tabellen aufzubauen, mit denen man den
perfektesten Falschspielern gegenüber hätte gewinnen müssen.
Und dabei verlor ich Abend für Abend mehr, als wenn
ich die Goldstücke eimerweise zum Fenster hinausgeschüttet
hätte. Dann bot ich mich den Courtisanen an; aber die
nehmen keinen, den ihnen die Justiz nicht vorher ab-
gestempelt hat. Und das sehen sie einem auf den ersten
Blick an, ob man Beziehungen zum Galgen hat oder nicht.
Schigolch. Yes, yes.
Alwa. Ich habe mir keine Enttäuschung erspart;
aber wenn ich Witze machte, dann lachten sie über mich
selbst; wenn ich mich so anständig gab, wie ich bin, dann
wurde ich geohrfeigt; und wenn ich es mit Gemeinheiten
versuchte, dann wurden sie so keusch und jungfräulich,
daß mir vor Entsetzen die Haare zu Berge standen.
Wer die menschliche Gesellschaft nicht überwunden hat,
der findet kein Vertrauen bei ihnen.
Schigolch. Willst Du nicht vielleicht endlich Deine
Stiefel anziehen, mein Kind? -- Ich glaube, ich werde
Alwa. Und ich ſehne mich noch nach einem ſaftigen
Steak und einer Cigarette; dann ſterben! — Mir träumte
eben von einer Cigarette, wie ich ſie noch nie geraucht habe.
Schigolch. Sie ſieht uns lieber vor ihren Augen
krepieren, als daß ſie ſich zu unſerer Erlöſung ein Ver-
gnügen macht.
Lulu. Die Menſchen auf der Straße laſſen mir
eher Mantel und Rock in den Händen, ehe ſie umſonſt
mitgehen. Hättet Ihr meine Kleider nicht verkauft, dann
brauchte ich wenigſtens das Laternenlicht nicht zu ſcheuen.
Ich möchte das Weib ſehen, das in den Lumpen, die ich
am Leib trage, noch was verdient.
Alwa. Ich habe nichts Menſchliches unverſucht ge-
laſſen. Solange ich noch Geld hatte, brachte ich Nächte
damit hin, Tabellen aufzubauen, mit denen man den
perfekteſten Falſchſpielern gegenüber hätte gewinnen müſſen.
Und dabei verlor ich Abend für Abend mehr, als wenn
ich die Goldſtücke eimerweiſe zum Fenſter hinausgeſchüttet
hätte. Dann bot ich mich den Courtiſanen an; aber die
nehmen keinen, den ihnen die Juſtiz nicht vorher ab-
geſtempelt hat. Und das ſehen ſie einem auf den erſten
Blick an, ob man Beziehungen zum Galgen hat oder nicht.
Schigolch. Yes, yes.
Alwa. Ich habe mir keine Enttäuſchung erſpart;
aber wenn ich Witze machte, dann lachten ſie über mich
ſelbſt; wenn ich mich ſo anſtändig gab, wie ich bin, dann
wurde ich geohrfeigt; und wenn ich es mit Gemeinheiten
verſuchte, dann wurden ſie ſo keuſch und jungfräulich,
daß mir vor Entſetzen die Haare zu Berge ſtanden.
Wer die menſchliche Geſellſchaft nicht überwunden hat,
der findet kein Vertrauen bei ihnen.
Schigolch. Willſt Du nicht vielleicht endlich Deine
Stiefel anziehen, mein Kind? — Ich glaube, ich werde
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[64/0072] Alwa. Und ich ſehne mich noch nach einem ſaftigen Steak und einer Cigarette; dann ſterben! — Mir träumte eben von einer Cigarette, wie ich ſie noch nie geraucht habe. Schigolch. Sie ſieht uns lieber vor ihren Augen krepieren, als daß ſie ſich zu unſerer Erlöſung ein Ver- gnügen macht. Lulu. Die Menſchen auf der Straße laſſen mir eher Mantel und Rock in den Händen, ehe ſie umſonſt mitgehen. Hättet Ihr meine Kleider nicht verkauft, dann brauchte ich wenigſtens das Laternenlicht nicht zu ſcheuen. Ich möchte das Weib ſehen, das in den Lumpen, die ich am Leib trage, noch was verdient. Alwa. Ich habe nichts Menſchliches unverſucht ge- laſſen. Solange ich noch Geld hatte, brachte ich Nächte damit hin, Tabellen aufzubauen, mit denen man den perfekteſten Falſchſpielern gegenüber hätte gewinnen müſſen. Und dabei verlor ich Abend für Abend mehr, als wenn ich die Goldſtücke eimerweiſe zum Fenſter hinausgeſchüttet hätte. Dann bot ich mich den Courtiſanen an; aber die nehmen keinen, den ihnen die Juſtiz nicht vorher ab- geſtempelt hat. Und das ſehen ſie einem auf den erſten Blick an, ob man Beziehungen zum Galgen hat oder nicht. Schigolch. Yes, yes. Alwa. Ich habe mir keine Enttäuſchung erſpart; aber wenn ich Witze machte, dann lachten ſie über mich ſelbſt; wenn ich mich ſo anſtändig gab, wie ich bin, dann wurde ich geohrfeigt; und wenn ich es mit Gemeinheiten verſuchte, dann wurden ſie ſo keuſch und jungfräulich, daß mir vor Entſetzen die Haare zu Berge ſtanden. Wer die menſchliche Geſellſchaft nicht überwunden hat, der findet kein Vertrauen bei ihnen. Schigolch. Willſt Du nicht vielleicht endlich Deine Stiefel anziehen, mein Kind? — Ich glaube, ich werde

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Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903], S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902/72>, abgerufen am 06.05.2024.