Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903].
schon erlebt. -- Ist es nicht möglich, daß Du mir diese schwerste Prüfung ersparst? Lulu. Was gewinnst denn Du dabei, wenn er mich anzeigt? Die Geschwitz. Ich habe in meinem Vermögen noch fünfhundert Francs. Damit könnten wir beide als Zwischendeckpassagiere nach Amerika fahren. Dort wärst Du vor all' Deinen Verfolgern in Sicherheit. Lulu. Ich will in Paris bleiben; ich kann in keiner anderen Stadt mehr glücklich sein. Du mußt ihm sagen, daß Du ohne ihn nicht leben kannst. Dann fühlt er sich geschmeichelt und wird lammfromm. Du mußt auch den Kutscher bezahlen. Sag' dem Kutscher "Vingt cinq, Quai de la Gare". Das ist ein Hotel sechsten Ranges, in dem man Dich mit ihm heute Abend erwartet. Soll ich Dir die Adresse aufschreiben? Die Geschwitz. Wie soll Dir eine solche Ungeheuer- lichkeit das Leben retten? -- Ich verstehe das nicht. -- Du hast, um mich zu martern, das furchtbarste Ver- hängnis heraufbeschworen, das über mich Geächtete herein- brechen kann. Lulu. Vielleicht kuriert Dich die Begegnung. Die Geschwitz. O Lulu, wenn es eine ewige Ver- geltung giebt, dann möchte ich nicht für Dich einstehen müssen! Ich kann mich nicht darein finden, daß kein Gott über uns wacht. Und doch wirst Du wohl recht haben, daß es nichts damit ist. Denn womit habe ich unbedeutendes Wurm seinen Zorn gereizt, um nur Entsetzen zu erleben, wo die ganze lebendige Schöpfung vor Seligkeit die Besinnung verliert! Lulu. Du hast Dich nicht zu beklagen. Wenn Du glücklich wirst, dann bist Du hundert- und tausendmal
ſchon erlebt. — Iſt es nicht möglich, daß Du mir dieſe ſchwerſte Prüfung erſparſt? Lulu. Was gewinnſt denn Du dabei, wenn er mich anzeigt? Die Geſchwitz. Ich habe in meinem Vermögen noch fünfhundert Francs. Damit könnten wir beide als Zwiſchendeckpaſſagiere nach Amerika fahren. Dort wärſt Du vor all’ Deinen Verfolgern in Sicherheit. Lulu. Ich will in Paris bleiben; ich kann in keiner anderen Stadt mehr glücklich ſein. Du mußt ihm ſagen, daß Du ohne ihn nicht leben kannſt. Dann fühlt er ſich geſchmeichelt und wird lammfromm. Du mußt auch den Kutſcher bezahlen. Sag’ dem Kutſcher „Vingt cinq, Quai de la Gare“. Das iſt ein Hotel ſechsten Ranges, in dem man Dich mit ihm heute Abend erwartet. Soll ich Dir die Adreſſe aufſchreiben? Die Geſchwitz. Wie ſoll Dir eine ſolche Ungeheuer- lichkeit das Leben retten? — Ich verſtehe das nicht. — Du haſt, um mich zu martern, das furchtbarſte Ver- hängnis heraufbeſchworen, das über mich Geächtete herein- brechen kann. Lulu. Vielleicht kuriert Dich die Begegnung. Die Geſchwitz. O Lulu, wenn es eine ewige Ver- geltung giebt, dann möchte ich nicht für Dich einſtehen müſſen! Ich kann mich nicht darein finden, daß kein Gott über uns wacht. Und doch wirſt Du wohl recht haben, daß es nichts damit iſt. Denn womit habe ich unbedeutendes Wurm ſeinen Zorn gereizt, um nur Entſetzen zu erleben, wo die ganze lebendige Schöpfung vor Seligkeit die Beſinnung verliert! Lulu. Du haſt Dich nicht zu beklagen. Wenn Du glücklich wirſt, dann biſt Du hundert- und tauſendmal <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#GES"> <p><pb facs="#f0064" n="56"/> ſchon erlebt. — Iſt es nicht möglich, daß Du mir dieſe<lb/> ſchwerſte Prüfung erſparſt?</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker> <p>Was gewinnſt denn Du dabei, wenn er<lb/> mich anzeigt?</p> </sp><lb/> <sp who="#GES"> <speaker><hi rendition="#g">Die Geſchwitz</hi>.</speaker> <p>Ich habe in meinem Vermögen<lb/> noch fünfhundert Francs. Damit könnten wir beide als<lb/> Zwiſchendeckpaſſagiere nach Amerika fahren. Dort wärſt<lb/> Du vor all’ Deinen Verfolgern in Sicherheit.</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker> <p>Ich will in Paris bleiben; ich kann in keiner<lb/> anderen Stadt mehr glücklich ſein. Du mußt ihm ſagen,<lb/> daß Du ohne ihn nicht leben kannſt. Dann fühlt er ſich<lb/> geſchmeichelt und wird lammfromm. Du mußt auch den<lb/> Kutſcher bezahlen. Sag’ dem Kutſcher <hi rendition="#aq">„Vingt cinq,<lb/> Quai de la Gare“</hi>. Das iſt ein Hotel ſechsten Ranges,<lb/> in dem man Dich mit ihm heute Abend erwartet. Soll<lb/> ich Dir die Adreſſe aufſchreiben?</p> </sp><lb/> <sp who="#GES"> <speaker><hi rendition="#g">Die Geſchwitz</hi>.</speaker> <p>Wie ſoll Dir eine ſolche Ungeheuer-<lb/> lichkeit das Leben retten? — Ich verſtehe das nicht. —<lb/> Du haſt, um mich zu martern, das furchtbarſte Ver-<lb/> hängnis heraufbeſchworen, das über mich Geächtete herein-<lb/> brechen kann.</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker> <p>Vielleicht kuriert Dich die Begegnung.</p> </sp><lb/> <sp who="#GES"> <speaker><hi rendition="#g">Die Geſchwitz</hi>.</speaker> <p>O Lulu, wenn es eine ewige Ver-<lb/> geltung giebt, dann möchte ich nicht für Dich einſtehen<lb/> müſſen! Ich kann mich nicht darein finden, daß kein Gott<lb/> über uns wacht. Und doch wirſt Du wohl recht haben, daß<lb/> es nichts damit iſt. Denn womit habe ich unbedeutendes<lb/> Wurm ſeinen Zorn gereizt, um nur Entſetzen zu erleben,<lb/> wo die ganze lebendige Schöpfung vor Seligkeit die<lb/> Beſinnung verliert!</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker> <p>Du haſt Dich nicht zu beklagen. Wenn Du<lb/> glücklich wirſt, dann biſt Du hundert- und tauſendmal<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [56/0064]
ſchon erlebt. — Iſt es nicht möglich, daß Du mir dieſe
ſchwerſte Prüfung erſparſt?
Lulu. Was gewinnſt denn Du dabei, wenn er
mich anzeigt?
Die Geſchwitz. Ich habe in meinem Vermögen
noch fünfhundert Francs. Damit könnten wir beide als
Zwiſchendeckpaſſagiere nach Amerika fahren. Dort wärſt
Du vor all’ Deinen Verfolgern in Sicherheit.
Lulu. Ich will in Paris bleiben; ich kann in keiner
anderen Stadt mehr glücklich ſein. Du mußt ihm ſagen,
daß Du ohne ihn nicht leben kannſt. Dann fühlt er ſich
geſchmeichelt und wird lammfromm. Du mußt auch den
Kutſcher bezahlen. Sag’ dem Kutſcher „Vingt cinq,
Quai de la Gare“. Das iſt ein Hotel ſechsten Ranges,
in dem man Dich mit ihm heute Abend erwartet. Soll
ich Dir die Adreſſe aufſchreiben?
Die Geſchwitz. Wie ſoll Dir eine ſolche Ungeheuer-
lichkeit das Leben retten? — Ich verſtehe das nicht. —
Du haſt, um mich zu martern, das furchtbarſte Ver-
hängnis heraufbeſchworen, das über mich Geächtete herein-
brechen kann.
Lulu. Vielleicht kuriert Dich die Begegnung.
Die Geſchwitz. O Lulu, wenn es eine ewige Ver-
geltung giebt, dann möchte ich nicht für Dich einſtehen
müſſen! Ich kann mich nicht darein finden, daß kein Gott
über uns wacht. Und doch wirſt Du wohl recht haben, daß
es nichts damit iſt. Denn womit habe ich unbedeutendes
Wurm ſeinen Zorn gereizt, um nur Entſetzen zu erleben,
wo die ganze lebendige Schöpfung vor Seligkeit die
Beſinnung verliert!
Lulu. Du haſt Dich nicht zu beklagen. Wenn Du
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