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Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903].

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Die Geschwitz. Hast Du die leidenschaftlichen Be-
teuerungen vergessen, durch die Du mich, während wir
zusammen im Krankenhaus lagen, dazu verführtest, daß
ich mich für Dich ins Gefängnis sperren ließ?!
Lulu. Wozu hast Du mir denn vorher die Cholera
angehängt?! Ich habe während des Prozesses noch
ganz andere Dinge beschworen, als was ich Dir ver-
sprechen mußte. Mich schüttelt der Ekel bei dem Ge-
danken, daß das jemals Wirklichkeit werden sollte.
Die Geschwitz. Dann betrogst Du mich also mit
vollem Bewußtsein?!
Lulu. Um was bist Du denn betrogen? Deine
körperlichen Vorzüge haben hier einen so begeisterten
Bewunderer gefunden, daß ich mich frage, ob ich nicht
noch einmal Klavierunterricht geben muß, um mein Da-
sein zu fristen. Kein siebzehnjähriges Kind macht einen
Mann liebestoller, als Du Ungeheuer den braven Kerl
durch Deine Widerspenstigkeit machst!
Die Geschwitz. Von wem sprichst Du? Ich ver-
stehe kein Wort.
Lulu. Ich spreche von Deinem Kunstturner, von
Rodrigo Quast. Er ist Athlet; er balanciert zwei ge-
sattelte Kavalleriepferde auf seinem Brustkasten. Kann
sich eine Frau etwas Herrlicheres wünschen? Er sagte
mir eben noch, daß er diese Nacht in die Seine springe,
wenn Du Dich seiner nicht erbarmst.
Die Geschwitz. Ich beneide Dich nicht um Deine
Geschicklichkeit, die hilflosen Opfer, die Dir durch uner-
forschliche Bestimmung überantwortet sind, zu martern.
Ich kann Dich überhaupt nicht beneiden. Ein Bedauern,
wie ich es mit Dir fühle, hat mir mein eigener Jammer
noch nicht abgerungen. Ich fühle mich frei wie ein Gott
bei dem Gedanken, welcher Kreaturen Sklavin Du bist!
Die Geſchwitz. Haſt Du die leidenſchaftlichen Be-
teuerungen vergeſſen, durch die Du mich, während wir
zuſammen im Krankenhaus lagen, dazu verführteſt, daß
ich mich für Dich ins Gefängnis ſperren ließ?!
Lulu. Wozu haſt Du mir denn vorher die Cholera
angehängt?! Ich habe während des Prozeſſes noch
ganz andere Dinge beſchworen, als was ich Dir ver-
ſprechen mußte. Mich ſchüttelt der Ekel bei dem Ge-
danken, daß das jemals Wirklichkeit werden ſollte.
Die Geſchwitz. Dann betrogſt Du mich alſo mit
vollem Bewußtſein?!
Lulu. Um was biſt Du denn betrogen? Deine
körperlichen Vorzüge haben hier einen ſo begeiſterten
Bewunderer gefunden, daß ich mich frage, ob ich nicht
noch einmal Klavierunterricht geben muß, um mein Da-
ſein zu friſten. Kein ſiebzehnjähriges Kind macht einen
Mann liebestoller, als Du Ungeheuer den braven Kerl
durch Deine Widerſpenſtigkeit machſt!
Die Geſchwitz. Von wem ſprichſt Du? Ich ver-
ſtehe kein Wort.
Lulu. Ich ſpreche von Deinem Kunſtturner, von
Rodrigo Quaſt. Er iſt Athlet; er balanciert zwei ge-
ſattelte Kavalleriepferde auf ſeinem Bruſtkaſten. Kann
ſich eine Frau etwas Herrlicheres wünſchen? Er ſagte
mir eben noch, daß er dieſe Nacht in die Seine ſpringe,
wenn Du Dich ſeiner nicht erbarmſt.
Die Geſchwitz. Ich beneide Dich nicht um Deine
Geſchicklichkeit, die hilfloſen Opfer, die Dir durch uner-
forſchliche Beſtimmung überantwortet ſind, zu martern.
Ich kann Dich überhaupt nicht beneiden. Ein Bedauern,
wie ich es mit Dir fühle, hat mir mein eigener Jammer
noch nicht abgerungen. Ich fühle mich frei wie ein Gott
bei dem Gedanken, welcher Kreaturen Sklavin Du biſt!
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[42/0050] Die Geſchwitz. Haſt Du die leidenſchaftlichen Be- teuerungen vergeſſen, durch die Du mich, während wir zuſammen im Krankenhaus lagen, dazu verführteſt, daß ich mich für Dich ins Gefängnis ſperren ließ?! Lulu. Wozu haſt Du mir denn vorher die Cholera angehängt?! Ich habe während des Prozeſſes noch ganz andere Dinge beſchworen, als was ich Dir ver- ſprechen mußte. Mich ſchüttelt der Ekel bei dem Ge- danken, daß das jemals Wirklichkeit werden ſollte. Die Geſchwitz. Dann betrogſt Du mich alſo mit vollem Bewußtſein?! Lulu. Um was biſt Du denn betrogen? Deine körperlichen Vorzüge haben hier einen ſo begeiſterten Bewunderer gefunden, daß ich mich frage, ob ich nicht noch einmal Klavierunterricht geben muß, um mein Da- ſein zu friſten. Kein ſiebzehnjähriges Kind macht einen Mann liebestoller, als Du Ungeheuer den braven Kerl durch Deine Widerſpenſtigkeit machſt! Die Geſchwitz. Von wem ſprichſt Du? Ich ver- ſtehe kein Wort. Lulu. Ich ſpreche von Deinem Kunſtturner, von Rodrigo Quaſt. Er iſt Athlet; er balanciert zwei ge- ſattelte Kavalleriepferde auf ſeinem Bruſtkaſten. Kann ſich eine Frau etwas Herrlicheres wünſchen? Er ſagte mir eben noch, daß er dieſe Nacht in die Seine ſpringe, wenn Du Dich ſeiner nicht erbarmſt. Die Geſchwitz. Ich beneide Dich nicht um Deine Geſchicklichkeit, die hilfloſen Opfer, die Dir durch uner- forſchliche Beſtimmung überantwortet ſind, zu martern. Ich kann Dich überhaupt nicht beneiden. Ein Bedauern, wie ich es mit Dir fühle, hat mir mein eigener Jammer noch nicht abgerungen. Ich fühle mich frei wie ein Gott bei dem Gedanken, welcher Kreaturen Sklavin Du biſt!

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Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903], S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902/50>, abgerufen am 26.04.2024.