Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903]. Alwa. Du sahst schrecklich elend aus, als Du hereinkamst. Lulu. Das mußte ich, um uns den Springfritzen vom Halse zu schaffen. -- Und Du, was hast Du in den anderthalb Jahren gethan? Alwa. Ich hatte mit einem Stück, das ich über Dich geschrieben, einen Achtungserfolg in der literarischen Gesellschaft. Lulu. Wer ist Dein Schatz? Alwa. Eine Schauspielerin, der ich eine Wohnung in der Karlstraße gemietet habe. Lulu. Liebt sie Dich? Alwa. Wie soll ich das wissen! Ich habe die Frau seit sechs Wochen nicht gesehen. Lulu. Erträgst Du das? Alwa. Das wirst Du nie begreifen. Bei mir be- steht die intimste Wechselwirkung zwischen meiner Sinn- lichkeit und meinem geistigen Schaffen. So z. B. bleibt mir Dir gegenüber nur die Wahl, Dich künstlerisch zu gestalten oder Dich zu lieben. Lulu. Mir träumte alle paar Nächte einmal, ich sei einem Lustmörder unter die Hände geraten. -- Komm, gieb mir einen Kuß! Alwa. In Deinen Augen schimmert es wie der Wasserspiegel in einem tiefen Brunnen, in den man einen Stein geworfen hat. Lulu. Komm! Alwa (küßt sie). Deine Lippen sind allerdings etwas schmal geworden. Lulu. Komm! (Sie drängt ihn in einen Sessel und setzt sich ihm aufs Knie.) Graut Dir vor mir? -- Im Hotel "Ochsen- butter" bekamen wir alle vier Wochen ein lauwarmes Bad. Die Aufseherinnen benutzten dann die Gelegen- Alwa. Du ſahſt ſchrecklich elend aus, als Du hereinkamſt. Lulu. Das mußte ich, um uns den Springfritzen vom Halſe zu ſchaffen. — Und Du, was haſt Du in den anderthalb Jahren gethan? Alwa. Ich hatte mit einem Stück, das ich über Dich geſchrieben, einen Achtungserfolg in der literariſchen Geſellſchaft. Lulu. Wer iſt Dein Schatz? Alwa. Eine Schauſpielerin, der ich eine Wohnung in der Karlſtraße gemietet habe. Lulu. Liebt ſie Dich? Alwa. Wie ſoll ich das wiſſen! Ich habe die Frau ſeit ſechs Wochen nicht geſehen. Lulu. Erträgſt Du das? Alwa. Das wirſt Du nie begreifen. Bei mir be- ſteht die intimſte Wechſelwirkung zwiſchen meiner Sinn- lichkeit und meinem geiſtigen Schaffen. So z. B. bleibt mir Dir gegenüber nur die Wahl, Dich künſtleriſch zu geſtalten oder Dich zu lieben. Lulu. Mir träumte alle paar Nächte einmal, ich ſei einem Luſtmörder unter die Hände geraten. — Komm, gieb mir einen Kuß! Alwa. In Deinen Augen ſchimmert es wie der Waſſerſpiegel in einem tiefen Brunnen, in den man einen Stein geworfen hat. Lulu. Komm! Alwa (küßt ſie). Deine Lippen ſind allerdings etwas ſchmal geworden. Lulu. Komm! (Sie drängt ihn in einen Seſſel und ſetzt ſich ihm aufs Knie.) Graut Dir vor mir? — Im Hotel „Ochſen- butter“ bekamen wir alle vier Wochen ein lauwarmes Bad. 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vom Halſe zu ſchaffen. — Und Du, was haſt Du in
den anderthalb Jahren gethan?
Alwa. Ich hatte mit einem Stück, das ich über
Dich geſchrieben, einen Achtungserfolg in der literariſchen
Geſellſchaft.
Lulu. Wer iſt Dein Schatz?
Alwa. Eine Schauſpielerin, der ich eine Wohnung
in der Karlſtraße gemietet habe.
Lulu. Liebt ſie Dich?
Alwa. Wie ſoll ich das wiſſen! Ich habe die Frau
ſeit ſechs Wochen nicht geſehen.
Lulu. Erträgſt Du das?
Alwa. Das wirſt Du nie begreifen. Bei mir be-
ſteht die intimſte Wechſelwirkung zwiſchen meiner Sinn-
lichkeit und meinem geiſtigen Schaffen. So z. B. bleibt
mir Dir gegenüber nur die Wahl, Dich künſtleriſch zu
geſtalten oder Dich zu lieben.
Lulu. Mir träumte alle paar Nächte einmal, ich
ſei einem Luſtmörder unter die Hände geraten. — Komm,
gieb mir einen Kuß!
Alwa. In Deinen Augen ſchimmert es wie der
Waſſerſpiegel in einem tiefen Brunnen, in den man
einen Stein geworfen hat.
Lulu. Komm!
Alwa (küßt ſie). Deine Lippen ſind allerdings etwas
ſchmal geworden.
Lulu. Komm! (Sie drängt ihn in einen Seſſel und ſetzt ſich
ihm aufs Knie.) Graut Dir vor mir? — Im Hotel „Ochſen-
butter“ bekamen wir alle vier Wochen ein lauwarmes
Bad. Die Aufſeherinnen benutzten dann die Gelegen-
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Zitationshilfe: | Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903], S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902/34>, abgerufen am 03.07.2024. |