Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903]. Alwa. Guten Abend! Schigolch. Angenehme Ruhe! -- Danke, ich kenne hier jede Thürklinke. Auf Wiedersehen! Viel Ver- gnügen! -- (Durch die Mittelthür ab.) Lulu. Ich habe seit anderthalb Jahren kein Zimmer gesehen -- Gardinen, Sessel, Bilder ... Alwa. Willst Du nicht trinken? Lulu. Ich habe seit fünf Tagen schwarzen Kaffee genug geschluckt. Hast Du keinen Schnaps? Alwa. Ich habe Elexier de Spa. Lulu. Das erinnert an alte Zeiten. (Sieht sich, während Alwa zwei Gläschen füllt, im Saal um.) Wo ist denn mein Bild? Alwa. Das habe ich in meinem Zimmer, damit man es hier nicht sieht. Lulu. Hol doch das Bild her. Alwa. Hast Du Deine Eitelkeit auch im Gefängnis nicht verloren? Lulu. Wie angstvoll einem ums Herz wird, wenn man Monate lang sich selbst nicht mehr gesehen hat. Dann bekam ich eine nagelneue Kehrichtschaufel. Wenn ich morgens um sieben ausfegte, hielt ich sie mir mit der Rückseite vors Gesicht. Das Blech schmeichelt nicht, aber ich hatte doch meine Freude. -- Hol das Bild aus Deinem Zimmer. Soll ich mitkommen? Alwa. Um Gottes Willen, Du mußt Dich schonen! Lulu. Ich habe mich jetzt lang genug geschont. Alwa (geht durch die Thüre rechts ab, um das Bild zu holen). Lulu (allein). Er ist herzleidend; aber sich vierzehn Monate mit der Einbildung plagen müssen -- wer er- trägt das! Er küßt mit Todesbangen, und seine beiden Kniee schlottern, wie bei einem ausgefrorenen Handwerks- burschen. Aber in Gottes Namen! -- -- Hätte ich in Alwa. Guten Abend! Schigolch. Angenehme Ruhe! — Danke, ich kenne hier jede Thürklinke. Auf Wiederſehen! Viel Ver- gnügen! — (Durch die Mittelthür ab.) Lulu. Ich habe ſeit anderthalb Jahren kein Zimmer geſehen — Gardinen, Seſſel, Bilder … Alwa. Willſt Du nicht trinken? Lulu. Ich habe ſeit fünf Tagen ſchwarzen Kaffee genug geſchluckt. Haſt Du keinen Schnaps? Alwa. Ich habe Elexier de Spa. Lulu. Das erinnert an alte Zeiten. (Sieht ſich, während Alwa zwei Gläschen füllt, im Saal um.) Wo iſt denn mein Bild? Alwa. Das habe ich in meinem Zimmer, damit man es hier nicht ſieht. Lulu. Hol doch das Bild her. Alwa. Haſt Du Deine Eitelkeit auch im Gefängnis nicht verloren? Lulu. Wie angſtvoll einem ums Herz wird, wenn man Monate lang ſich ſelbſt nicht mehr geſehen hat. Dann bekam ich eine nagelneue Kehrichtſchaufel. Wenn ich morgens um ſieben ausfegte, hielt ich ſie mir mit der Rückſeite vors Geſicht. Das Blech ſchmeichelt nicht, aber ich hatte doch meine Freude. — Hol das Bild aus Deinem Zimmer. Soll ich mitkommen? Alwa. Um Gottes Willen, Du mußt Dich ſchonen! Lulu. Ich habe mich jetzt lang genug geſchont. Alwa (geht durch die Thüre rechts ab, um das Bild zu holen). Lulu (allein). Er iſt herzleidend; aber ſich vierzehn Monate mit der Einbildung plagen müſſen — wer er- trägt das! Er küßt mit Todesbangen, und ſeine beiden Kniee ſchlottern, wie bei einem ausgefrorenen Handwerks- burſchen. 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geſehen — Gardinen, Seſſel, Bilder …
Alwa. Willſt Du nicht trinken?
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genug geſchluckt. Haſt Du keinen Schnaps?
Alwa. Ich habe Elexier de Spa.
Lulu. Das erinnert an alte Zeiten. (Sieht ſich, während
Alwa zwei Gläschen füllt, im Saal um.) Wo iſt denn mein
Bild?
Alwa. Das habe ich in meinem Zimmer, damit
man es hier nicht ſieht.
Lulu. Hol doch das Bild her.
Alwa. Haſt Du Deine Eitelkeit auch im Gefängnis
nicht verloren?
Lulu. Wie angſtvoll einem ums Herz wird, wenn
man Monate lang ſich ſelbſt nicht mehr geſehen hat.
Dann bekam ich eine nagelneue Kehrichtſchaufel. Wenn
ich morgens um ſieben ausfegte, hielt ich ſie mir mit der
Rückſeite vors Geſicht. Das Blech ſchmeichelt nicht,
aber ich hatte doch meine Freude. — Hol das Bild
aus Deinem Zimmer. Soll ich mitkommen?
Alwa. Um Gottes Willen, Du mußt Dich ſchonen!
Lulu. Ich habe mich jetzt lang genug geſchont.
Alwa (geht durch die Thüre rechts ab, um das Bild zu holen).
Lulu (allein). Er iſt herzleidend; aber ſich vierzehn
Monate mit der Einbildung plagen müſſen — wer er-
trägt das! Er küßt mit Todesbangen, und ſeine beiden
Kniee ſchlottern, wie bei einem ausgefrorenen Handwerks-
burſchen. Aber in Gottes Namen! — — Hätte ich in
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