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Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.

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Diesen mit der Kunst gemeinsamen Vorbedingungen unserer
Arbeit steht nun gegenüber ein Schicksal, das sie von der
künstlerischen Arbeit tief unterscheidet. Die wissenschaftliche
Arbeit ist eingespannt in den Ablauf des Fortschritts.
Auf dem Gebiete der Kunst dagegen gibt es - in diesem
Sinne - keinen Fortschritt. Es ist nicht wahr, daß ein Kunst-
werk einer Zeit, welche neue technische Mittel oder etwa die
Gesetze der Perspektive sich erarbeitet hatte, um deswillen rein
künstlerisch höher stehe als ein aller Kenntnis jener Mittel und
Gesetze entblößtes Kunstwerk, - wenn es nur material- und
formgerecht war, das heißt: wenn es seinen Gegenstand so
wählte und formte, wie dies ohne Anwendung jener Be-
dingungen und Mittel kunstgerecht zu leisten war. Ein Kunst-
werk, das wirklich "Erfüllung" ist, wird nie überboten, es wird
nie veralten; der einzelne kann seine Bedeutsamkeit für sich
persönlich verschieden einschätzen; aber niemand wird von einem
Werk, das wirklich im künstlerischen Sinne "Erfüllung" ist,
jemals sagen können, daß es durch ein anderes, das ebenfalls
"Erfüllung" ist, "überholt" sei. Jeder von uns dagegen in
der Wissenschaft weiß, daß das, was er gearbeitet hat, in
10, 20, 50 Jahren veraltet ist. Das ist das Schicksal, ja: das
ist der Sinn der Arbeit der Wissenschaft, dem sie, in ganz
spezifischem Sinne gegenüber allen anderen Kulturelementen, für
die es sonst noch gilt, unterworfen und hingegeben ist: jede
wissenschaftliche "Erfüllung" bedeutet neue "Fragen" und will
"überboten" werden und veralten. Damit hat sich jeder ab-
zufinden, der der Wissenschaft dienen will. Wissenschaftliche
Arbeiten können gewiß dauernd, als "Genußmittel" ihrer künst-
lerischen Qualität wegen, oder als Mittel der Schulung zur
Arbeit, wichtig bleiben. Wissenschaftlich aber überholt zu werden,
ist - es sei wiederholt - nicht nur unser aller Schicksal,
sondern unser aller Zweck. Wir können nicht arbeiten, ohne
zu hoffen, daß andere weiter kommen werden als wir. Prin-
zipiell geht dieser Fortschritt in das Unendliche. Und damit
kommen wir zu dem Sinnproblem der Wissenschaft.
Denn das versteht sich ja doch nicht so von selbst, daß etwas,
das einem solchen Gesetz unterstellt ist, Sinn und Verstand

Dieſen mit der Kunſt gemeinſamen Vorbedingungen unſerer
Arbeit ſteht nun gegenüber ein Schickſal, das ſie von der
künſtleriſchen Arbeit tief unterſcheidet. Die wiſſenſchaftliche
Arbeit iſt eingeſpannt in den Ablauf des Fortſchritts.
Auf dem Gebiete der Kunſt dagegen gibt es – in dieſem
Sinne – keinen Fortſchritt. Es iſt nicht wahr, daß ein Kunſt-
werk einer Zeit, welche neue techniſche Mittel oder etwa die
Geſetze der Perſpektive ſich erarbeitet hatte, um deswillen rein
künſtleriſch höher ſtehe als ein aller Kenntnis jener Mittel und
Geſetze entblößtes Kunſtwerk, – wenn es nur material- und
formgerecht war, das heißt: wenn es ſeinen Gegenſtand ſo
wählte und formte, wie dies ohne Anwendung jener Be-
dingungen und Mittel kunſtgerecht zu leiſten war. Ein Kunſt-
werk, das wirklich „Erfüllung“ iſt, wird nie überboten, es wird
nie veralten; der einzelne kann ſeine Bedeutſamkeit für ſich
perſönlich verſchieden einſchätzen; aber niemand wird von einem
Werk, das wirklich im künſtleriſchen Sinne „Erfüllung“ iſt,
jemals ſagen können, daß es durch ein anderes, das ebenfalls
„Erfüllung“ iſt, „überholt“ ſei. Jeder von uns dagegen in
der Wiſſenſchaft weiß, daß das, was er gearbeitet hat, in
10, 20, 50 Jahren veraltet iſt. Das iſt das Schickſal, ja: das
iſt der Sinn der Arbeit der Wiſſenſchaft, dem ſie, in ganz
ſpezifiſchem Sinne gegenüber allen anderen Kulturelementen, für
die es ſonſt noch gilt, unterworfen und hingegeben iſt: jede
wiſſenſchaftliche „Erfüllung“ bedeutet neue „Fragen“ und will
„überboten“ werden und veralten. Damit hat ſich jeder ab-
zufinden, der der Wiſſenſchaft dienen will. Wiſſenſchaftliche
Arbeiten können gewiß dauernd, als „Genußmittel“ ihrer künſt-
leriſchen Qualität wegen, oder als Mittel der Schulung zur
Arbeit, wichtig bleiben. Wiſſenſchaftlich aber überholt zu werden,
iſt – es ſei wiederholt – nicht nur unſer aller Schickſal,
ſondern unſer aller Zweck. Wir können nicht arbeiten, ohne
zu hoffen, daß andere weiter kommen werden als wir. Prin-
zipiell geht dieſer Fortſchritt in das Unendliche. Und damit
kommen wir zu dem Sinnproblem der Wiſſenſchaft.
Denn das verſteht ſich ja doch nicht ſo von ſelbſt, daß etwas,
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[14/0013] Dieſen mit der Kunſt gemeinſamen Vorbedingungen unſerer Arbeit ſteht nun gegenüber ein Schickſal, das ſie von der künſtleriſchen Arbeit tief unterſcheidet. Die wiſſenſchaftliche Arbeit iſt eingeſpannt in den Ablauf des Fortſchritts. Auf dem Gebiete der Kunſt dagegen gibt es – in dieſem Sinne – keinen Fortſchritt. Es iſt nicht wahr, daß ein Kunſt- werk einer Zeit, welche neue techniſche Mittel oder etwa die Geſetze der Perſpektive ſich erarbeitet hatte, um deswillen rein künſtleriſch höher ſtehe als ein aller Kenntnis jener Mittel und Geſetze entblößtes Kunſtwerk, – wenn es nur material- und formgerecht war, das heißt: wenn es ſeinen Gegenſtand ſo wählte und formte, wie dies ohne Anwendung jener Be- dingungen und Mittel kunſtgerecht zu leiſten war. Ein Kunſt- werk, das wirklich „Erfüllung“ iſt, wird nie überboten, es wird nie veralten; der einzelne kann ſeine Bedeutſamkeit für ſich perſönlich verſchieden einſchätzen; aber niemand wird von einem Werk, das wirklich im künſtleriſchen Sinne „Erfüllung“ iſt, jemals ſagen können, daß es durch ein anderes, das ebenfalls „Erfüllung“ iſt, „überholt“ ſei. Jeder von uns dagegen in der Wiſſenſchaft weiß, daß das, was er gearbeitet hat, in 10, 20, 50 Jahren veraltet iſt. Das iſt das Schickſal, ja: das iſt der Sinn der Arbeit der Wiſſenſchaft, dem ſie, in ganz ſpezifiſchem Sinne gegenüber allen anderen Kulturelementen, für die es ſonſt noch gilt, unterworfen und hingegeben iſt: jede wiſſenſchaftliche „Erfüllung“ bedeutet neue „Fragen“ und will „überboten“ werden und veralten. Damit hat ſich jeder ab- zufinden, der der Wiſſenſchaft dienen will. Wiſſenſchaftliche Arbeiten können gewiß dauernd, als „Genußmittel“ ihrer künſt- leriſchen Qualität wegen, oder als Mittel der Schulung zur Arbeit, wichtig bleiben. Wiſſenſchaftlich aber überholt zu werden, iſt – es ſei wiederholt – nicht nur unſer aller Schickſal, ſondern unſer aller Zweck. Wir können nicht arbeiten, ohne zu hoffen, daß andere weiter kommen werden als wir. Prin- zipiell geht dieſer Fortſchritt in das Unendliche. Und damit kommen wir zu dem Sinnproblem der Wiſſenſchaft. Denn das verſteht ſich ja doch nicht ſo von ſelbſt, daß etwas, das einem ſolchen Geſetz unterſtellt iſt, Sinn und Verſtand

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Zitationshilfe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/13>, abgerufen am 28.11.2024.